Liebe Leserin, lieber Leser,
es gibt Gegenden in der Welt, da sind selbst die grundsätzlichsten Angaben ungewiss. Angaben von sieben bis 30 Millionen Einwohnern, 15 000 bis 70 000 Quadratkilometer Fläche oder 7000 bis 15 000 Kilometer Ölpipelines fand ich als Informationen über das Nigerdelta auf die Vorbereitung dieser Zeilen. Solche Ungenauigkeiten wären in Europa unvorstellbar. Aber eben nicht für das Dasein der Bewohner eines Gebiets so groß wie Irland (oder eben auch Portugal, je nach Quelle), die fern unserer Alltagsrealität und fern Europas seit über 60 Jahren um ihre Rechte, ihre Natur – ihr Leben kämpfen.
1956 begann das Elend mit dem ersten Ölfund. Auf die Idee, dass von dem Öl die Bewohner des Nigerdeltas profitieren sollten, folgte der Krieg um die Unabhängigkeit der Deltaregion Biafra mit mehr als einer Million Opfern aufseiten der Separatisten. Da an der Exploration Unternehmen wie Shell, ExxonMobil, Chevron, Total, Elf oder Agip beteiligt waren und sind, unterstützten die jeweiligen Nationen die Regierungstruppen erfolgreich. Und im Grunde hat sich daran bis heute nichts geändert. Es fließen bis zu 44 Millionen Liter Öl jährlich aus geborstenen Pipelines, die Lebenserwartung im Delta sank um zehn Jahre, und das Volk der Ogoni, seine Bewohner, kämpft zwar nicht mehr um den ihm zustehenden Reichtum, aber zumindest um seine Natur, seine Lebensgrundlage – bescheiden angesichts der Interessen der Industrienationen.
Vor fast 100 mare-Ausgaben, im Frühjahr 2006, veröffentlichten wir die preisgekrönte Fotoreportage von Sophia Evans über die Zustände im Delta. Den Text schrieb für uns Ken Wiwa, Sohn des 1995 hingerichteten Menschenrechtlers Ken Saro-Wiwa. Nun richten wir wieder den Blick auf das Nigerdelta. Für die vorliegende Ausgabe beauftragten wir den Afrikaspezialisten Bartholomäus Grill mit einem Report zur Geschichte und dem Status quo des Lebens der Ogoni.
Auch wenn die Ogoni erste Erfolge auf Entschädigungen 2021 vor dem höchsten Gericht Großbritanniens erringen konnten, zeigen die 111 Millionen US-Dollar, die Shell für die Beseitigung der Ölverschmutzungen nun zahlen muss, angesichts des fast 30-jährigen Rechtsstreits und der 18 Milliarden Dollar Gewinn (sic !) von Shell im zweiten Quartal 2022, dass die Interessen der multinationalen Konzerne nicht einer historischen Einsicht in unermessliche Ungerechtigkeit entsprechen. Das Nigerdelta existiert eben nicht in unserer Alltagsrealität, und unsere Empathie reicht nicht über die südlichen Ufer des Mittelmeers hinaus. Deswegen werden wir darüber immer wieder auch in mare berichten.
Viel Spaß beim Lesen wünscht Ihnen
Nikolaus Gelpke
Ihre mare-Hotline in die unerforschten Weiten und Tiefen der Meere
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