Der Hund der Grönländer

Ohne die Grönlandhunde wäre die Entstehung inuitischen Lebens kaum möglich gewesen. Nun bedroht der Klimawandel die Tiere – und damit ein Stück Kultur der Menschen in der Arktis

In der Weite des grönländischen Eises bricht Karo zusammen. Onos Freundin, die so hart im Nehmen ist, die aufblüht in Kälte und Strapazen. Als junge Frau hat sie das Inlandeis schon einmal gequert – auf Skiern, mit zwei Gefährtinnen, als erste Grönländerin überhaupt. Nun sitzt sie da und weint. „Die Hunde können nicht mehr, sie leiden.“ Die oberste Schneelage ist gefroren, die zwölf Hunde brechen durch, scheuern ihre Pfoten und Läufe auf. Bei einigen sieht man schon die Sehnen. 

Nachmittags, wenn die Sonne flach über der Linie des Horizonts steht, Fällt das Thermometer auf minus 50 Grad Celsius. Das Robbenfleisch im Proviant klingt hell wie eine Glocke, wenn man mit einem Eisen draufschlägt, so tief gefroren ist es. Die Luft ist dünn. Das schier endlose Eis liegt so hoch über dem Meeresspiegel wie Berggipfel in den Alpen. Die Fahrt von Kangerlussuaq im Westen Grönlands geht im März des Jahres 2006 insgesamt 650 Kilometer weit über den Eisschild bis Isortoq an der Ostküste: der östlichste Punkt der Wanderungen der historischen Inuit über Kanada nach Grönland – für Jens Jørgen Fleischer, genannt Ono, der logische Schlusspunkt seiner Expeditionen per Hundeschlitten. 

Es ist seine sechste lange Reise. „Ich besuchte meine Stammesbrüder in West und Ost“ hat der Grönländer das Buch genannt, das er danach schrieb und das auf Grönländisch und Dänisch erschienen ist. 20 000 Kilometer insgesamt. Die zweite Tour führte ihn von Grönland bis an den nördlichen Zipfel von Alaska, 4000 Kilometer weit auf dem Schlitten. Man darf annehmen, dass nach Knud Rasmussen kein lebender Mensch mehr Expeditionskilometer mit Hunden zurückgelegt hat als Ono Fleischer. 

Polarforscher Knud Rasmussen und Onos Großvater waren Cousins. Rasmussen weckte durch seine „5. Thule-Expedition“ vor genau 100 Jahren das Bewusstsein von einer beinahe erdkreisumspan­nenden Inuitkultur mit gemeinsamer Sprache: von Sibirien über Alaska nach Kanada und Grönland. Es wurde viel über die Heldentaten des Verwandten erzählt, als Ono in der winzigen Siedlung Ilimanaq am Eisfjord von Ilulissat aufwuchs. 

Mit sieben Jahren bekam Ono die ersten zwei Hundewelpen und baute seinen ersten Schlitten, mit den Erzählungen des großen Knud im Kopf. Dessen bekanntestes Zitat heißt: „Gebt mir Schnee, gebt mir Hunde, den Rest könnt ihr behalten.“ 

Schon acht Monate nach seiner Geburt wird ein Grönlandhund eingeschirrt, gierig darauf, zu laufen und zu ziehen – tagelang, wochenlang. Die Hunde wenden bei ihrer Arbeit bis zu 11 000 Kalorien am Tag auf. Die etwa doppelt so schweren Radrennfahrer der Tour de France verbrauchen etwa 8000 Kalorien. Durch ihre Ausdauer machten Grönlandhunde die Antarktisexpedition von Roald Amundsen zum Erfolg. Robert Scott, sein Konkurrent im Wettlauf zum Südpol, hatte auf Motorschlitten und mongolische Ponys gesetzt. Er starb auf dem Rückmarsch an Kälte und Erschöpfung. 

Grönlandhunde könnten zwölf Jahre alt werden. Doch wenn sie nach fünf bis sieben Jahren nicht mehr mit den jüngeren Tieren im Gespann mithalten können, werden sie häufig getötet. Für Hundebesitzer in Europa klingt das brutal, aber für grönländische Jäger und Fänger sind die Hunde Arbeitstiere. Ein Tempo von fünf bis acht Kilometern in der Stunde hält ein Gespann viele Tage aufrecht. Die Schlitten wiegen teilweise eine Tonne. Auf langen Fahrten liegen die Tagesetappen von Ono Fleischer dennoch bei 45 bis 90 Kilometer. 

Schon durch ihre schiere Physis sind die Grönlandhunde eindrucksvoll. Wenn sie sich aufrichten, können sie ihre Vorderläufe leicht auf die Schultern der Gespannführer legen. Werden sie trainiert und erhalten sie die richtige Kost – kaum Kohlenhydrate, ein knappes Drittel Proteine und knapp zwei Drittel Fett –, werden die Polarspitze zu 40 Kilogramm schweren Muskelpaketen.

Aber jetzt, mitten auf dem grönländischen Eisschild, haben Onos Hunde fünf Kilogramm abgenommen. Normalerweise werden sie mit jedem Wetter fertig, aber nun setzt ihnen die Kälte zu. „Aus dem Eis steigt permanent Feuchtigkeit nach oben“, vermutet Ono. „Das schwächt sie.“ Hinzu kommt Schnee, wie ihn Ono und Karo noch nie erlebt hatten: grob und stumpf wie Sand. Der Nordwind weht unbarmherzig, Lee gibt es nur unter dem Schnee.  

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mare No. 154

mare No. 154Oktober / November 2022

Von Bernd Hauser und Ragnar Axelsson

Autor Bernd Hauser, Jahrgang 1971, lebt mit seiner ­Familie in Kopenhagen in einer Genossenschaftswohnung und bedauert, dass dort keine Hunde erlaubt sind.

Fotograf Ragnar Axelsson, Rax, Jahrgang 1958, lebt in Kópavogur auf Island. Seit mehr als 40 Jahren macht er Bilder von Menschen, Tieren oder auch Landschaften in den entlegensten Regionen Grönlands, Islands und Sibiriens.

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Vita Autor Bernd Hauser, Jahrgang 1971, lebt mit seiner ­Familie in Kopenhagen in einer Genossenschaftswohnung und bedauert, dass dort keine Hunde erlaubt sind.

Fotograf Ragnar Axelsson, Rax, Jahrgang 1958, lebt in Kópavogur auf Island. Seit mehr als 40 Jahren macht er Bilder von Menschen, Tieren oder auch Landschaften in den entlegensten Regionen Grönlands, Islands und Sibiriens.
Person Von Bernd Hauser und Ragnar Axelsson
Vita Autor Bernd Hauser, Jahrgang 1971, lebt mit seiner ­Familie in Kopenhagen in einer Genossenschaftswohnung und bedauert, dass dort keine Hunde erlaubt sind.

Fotograf Ragnar Axelsson, Rax, Jahrgang 1958, lebt in Kópavogur auf Island. Seit mehr als 40 Jahren macht er Bilder von Menschen, Tieren oder auch Landschaften in den entlegensten Regionen Grönlands, Islands und Sibiriens.
Person Von Bernd Hauser und Ragnar Axelsson