Fliegen für die Freiheit

Zu Hause diskriminiert, in Übersee eine Heldin – Bessie Coleman wurde am Ärmelkanal zur ersten afroamerikanischen Pilotin

Unten kräuseln sich die Wellen zu schaumigen Walzen. Fischerboote mit rostroten Segeln kreuzen gegen den Wind. Doch in ihrem  offenen Cockpit hat Bessie Coleman jetzt keine Augen für die Schönheiten der Sommebucht. An diesem 15. Juni des Jahres 1921 ist sie konzentriert, umklammert den Steuerknüppel ihres Doppeldeckers, der sich brummend durch die feuchte Atlantikluft schraubt. Gerade erst hat die Pilotin von der Piste der Flugschule Caudron, am Strand des Fischerstädtchens Le Crotoy gelegen, abgehoben. Jetzt dreht Bessie Coleman vom Meer ab, fliegt über Dünen und Gehöfte landeinwärts und biegt dann küstenwärts nach Dieppe ab, penibel die von den Examinatoren vorgeschriebenen Routen und Höhen einhaltend. Als sie nach dem Prüfungsflug wieder in Le Crotoy landet, wird sie von den Fluglehrern und Mechanikern mit Champagner empfangen.

Die junge Frau, von zierlicher Statur und mit verschmitztem Lächeln, hat ihren Traum wahr gemacht: Als erste Afroamerikanerin weltweit hat sie erfolgreich den Pilotenschein geschafft. Obendrein ist sie nun die erste Frau überhaupt, die sich einer international gültigen Lizenz der Fédéra­tion Aéronautique Internationale rühmen kann.  

Dabei hat Colemans bescheidene Herkunft niemals auf diese spektakuläre Leis­tung, seinerzeit Vorbild für zahlreiche Männer und Frauen von dunkler Hautfarbe, hingedeutet. Sie wird am 26. Januar 1892 in der Kleinstadt Atlanta, Texas, als zehntes von 13 Kindern geboren. Die Eltern sind arme Baumwollpflücker, sie können weder lesen noch schreiben. Der Vater hat indigene und afroamerikanische Wurzeln, die Mutter rein schwarze Vorfahren. Es ist eine Zeit der brutalen Rassendiskriminierung. Zwischen 1882 und 1920 werden in den USA jede Woche ein bis zwei schwarze Menschen gelyncht. Die Hinrichtungen sind regelrechte Volksfeste. Sonderzüge bringen den Mob zu den Schauplätzen. Kinder bekommen schulfrei, damit sie sich die makabren Spektakel ansehen können. Fotografen rücken an, um die öffent­lichen Hinrichtungen zu fotografieren und die Bilder der Gehängten und Totgeprügelten als Postkarten zu verkaufen.

Der Vater macht sich aus dem Staub, als Bessie neun ist. Susan, die Mutter, muss ihre Kinderschar allein durchbringen. Die Familie lebt am Rand der Bedürftigkeit. Ein weißes Ehepaar, das Susan als Köchin beschäftigt, greift den Colemans finanziell unter die Arme. Die Mutter pocht auf gute Manieren, saubere Kleidung und vor allem gute Schulleistungen. Wissbegierig vertieft sich Bessie in William Stills Buch „The Underground Railroad“, das von dem Schleusernetzwerk, in dem versklavte Afroamerikaner in die sicheren Nordstaaten gelangten, erzählt. Harriet Tubman war Teil davon. Die furchtlose Bürgerrecht­lerin wird zum Vorbild für ­Bessie Coleman, die sich entschließt, selbst gegen ein ungleiches Amerika anzukämpfen, wo „Whites only“-Schilder und die brennenden Kreuze des Ku-Klux-Klans Alltag sind.  

1910 schreibt sich Coleman an der Universität von Langston, Oklahoma, für ein Landwirtschaftsstudium ein. Die Hochschule dieser „Black Town“ unterrichtet ausschließlich afroamerikanische Studenten. Doch nach einem Semester geht ihr das Geld aus, und sie muss ihre Ausbildung abbrechen. 1912 zieht sie nach Chicago, wo sie im Schwarzenviertel Stroll als Maniküre arbeitet. Die von den Weißen als Sündenpfuhl verschrienen Straßenblöcke an der State Street sind vergleichbar mit Harlem in New York. 

Es ist ein brodelnder Kessel, aus dem Jazz und Blues dringen, in dem afroamerikanische Businessmänner, Showakteure und Gangster bei Whiskeygelagen und von Zigarrenrauch eingenebelt ihre Deals aushandeln. Zu den Kunden, denen Coleman die Fingernägel feilt, gehören prominente Schwarze wie der Jazztrompeter Louis Armstrong, William A. Buckner, Baseballtrainer der Chicago White Sox, oder Robert S.   Abbott, einflussreicher ­Verleger der populären und militanten Schwarzen­postille „Chicago Defender“. 

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mare No. 154

mare No. 154Oktober / November 2022

Von Rob Kieffer

Rob Kieffer, Jahrgang 1957, lebt als Journalist und ­Autor in Luxemburg. Auf Bessie Coleman wurde er durch Zufall aufmerksam. Bei einer Recherche für eine Reisereportage über die Sommebucht entdeckte er im Rathaus von Rue, einem Nachbarort von Le Crotoy, ein kleines Museum, das der legendären Flugschule Caudron und ihren berühmten Schülerinnen und Schülern gewidmet ist.

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Vita Rob Kieffer, Jahrgang 1957, lebt als Journalist und ­Autor in Luxemburg. Auf Bessie Coleman wurde er durch Zufall aufmerksam. Bei einer Recherche für eine Reisereportage über die Sommebucht entdeckte er im Rathaus von Rue, einem Nachbarort von Le Crotoy, ein kleines Museum, das der legendären Flugschule Caudron und ihren berühmten Schülerinnen und Schülern gewidmet ist.
Person Von Rob Kieffer
Vita Rob Kieffer, Jahrgang 1957, lebt als Journalist und ­Autor in Luxemburg. Auf Bessie Coleman wurde er durch Zufall aufmerksam. Bei einer Recherche für eine Reisereportage über die Sommebucht entdeckte er im Rathaus von Rue, einem Nachbarort von Le Crotoy, ein kleines Museum, das der legendären Flugschule Caudron und ihren berühmten Schülerinnen und Schülern gewidmet ist.
Person Von Rob Kieffer