Kleines Korn ganz groß

Letztlich nur eine Frage der Vergrößerung: Unter dem Rasterelektronenmikroskop offenbaren die scheinbar unscheinbaren Sandkörner eine komplexe Welt voller Schönheit

mare: Herr Schmiedl, wo haben Sie Ihren letzten Strandurlaub verbracht?
Gerhard Schmiedl: Strandurlaub? Da muss ich kurz über­legen. Ich glaube, das war auf Usedom.

Konnten Sie sich denn am Strand entspannen? Oder haben Sie ständig die Sandkörner um Sie herum analysiert? 
Das mit dem Entspannen hat gut geklappt. Aber ich gebe zu, wenn ich da so liege, schaue ich mir den Sand schon an. Wenn etwas Spannendes drin ist, zum Beispiel eine Großforaminifere, dann würde ich es meinen Kindern auf jeden Fall zeigen. Meine Tochter würde wohl sagen, na ja, ist halt Sand. Mein Sohn wäre da schon eher interessiert.

Was ist denn eine Großforaminifere?
Unter Foraminiferen versteht man eine Gruppe von einzelligen Organismen. Sie produzieren in der Regel harte kalkige Gehäuse, die dann als sogenannte Mikrofossilien im Sediment übrig bleiben. Manche Vertreter dieser Einzeller werden ein paar Zentimeter groß, dann sind es Großforaminiferen. Mikrofossilien können auch Teile von mehrzelligen Organismen sein, die zerfallen sind. Wenn ein Fisch stirbt, zerfällt er ja in tausend Teile, und es bleiben nur die harten Schuppen und Zähne übrig.

Aber mit Sand haben Foraminiferen nichts zu tun, oder?
Oh doch. Foraminiferen sind Teil des Sands. Sand kann nämlich aus sehr unterschiedlichen Partikeln bestehen, eben auch aus Resten von Organismen. Nehmen Sie zum Beispiel die Strände in der Karibik. Dort besteht der Sand fast ausschließlich aus Überbleibseln von Lebe­wesen, die vorher am Riff gelebt haben, von Wellen kleingerieben worden sind oder schon klein waren und Kalk enthalten.

Sind deshalb die Sandstrände dort so schön weiß?
Ja, gerade in tropischen Meeren leben viele Organismen, die Kalk abscheiden, allen voran natürlich die Korallen, aber auch damit assoziiert Schnecken, Muscheln und eben Foraminiferen, die das flache Wasser lieben. All diese Reste reichern sich an den tropischen Stränden an, die dann in erster Linie aus Calcit oder Aragonit bestehen, Varietäten von Kalk. Daher das schöne Weiß.

Und die Sandstrände an unseren Küsten? Die sind ja nicht ganz so weiß.
Bei uns kommen viele Verwitterungsprodukte von Gestein vom Land dazu. Ein Mineral ist dabei am häufigsten zu finden: Quarz. Während der Eiszeiten hat das Inlandeisschelf all die Gesteine in Skandinavien abgeschliffen und die Stücke wie mit einem Bulldozer zu uns transportiert, die dann vom Meer bearbeitet wurden. Übrig blieb der Quarz, weil er so hart und widerstandsfähig ist. Wenn Sie heute eine Probe vom Strand in Travemünde nehmen und unters Mikroskop legen, dann sehen Sie zu 90 Prozent wunderschöne, durchsichtige Quarzkörnchen. Aber Sie finden vielleicht auch ein Stück von einer Muschel und ein paar Einzeller. Ein paar wenige biogene Komponenten gibt es also auch am Ostseestrand.

So viel Quarz am Strand – ist das nun gut oder schlecht?
Das ist toll, Quarz ist klasse. Es gibt zum Beispiel einen ganz praktischen Vorteil. Wenn jemand eine Flasche am Strand zerschmeißt und die Scherben da liegen, dann dauert es nicht lange, bis dieses Glas durch die Wellen mit diesem Quarzsand abgerieben wird und nicht mehr scharf 
ist. Wenn Sie eine Flasche am weichen Karibik­strand zerschlagen, dann bleibt dieses Glas sehr lange scharf.

Okay, ein ganz praktischer Vorteil für Nord- und Ostseebesucher. Was bietet Quarz noch?
Quarzsand wird viel für die Bauindustrie genutzt. Es ist das Bindemittel im Beton. Ohne Sand kann nicht gebaut werden. Wenn Sie sich anschauen, wie viel in den Vereinigten Arabischen Emiraten und in China gebaut wird, können Sie sich ja vorstellen, wie viel Quarzsand benötigt wird.

Deshalb haben wir ja auch einen weltweiten Mangel an Quarzsand. 
Ja, viele Vorkommen auf der Erde sind bereits abgebaut. Und es ist schwierig, neue zu erschließen.

Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 154. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 154

mare No. 154Oktober / November 2022

Von Jan Keith, Gerhard Schmidel und Birgit Hofmann Birkenhall

Jan Keith, Jahrgang 1971. Studium der Politikwissenschaft, Japanologie und Geografie in Bonn, Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule in München.

Gerhard Schmiedl, Jahrgang 1965, ist Professor für Mikropaläontologie an der Universität Hamburg mit Schwerpunkt Foraminiferen.

Birgit Hofmann Birkenhall, geboren 1972, künstlerische Fotografin in Reutlingen, hat Sandproben von Stränden weltweit gesam­melt und sie dann unter dem Rasterelektronen­mikro­skop fotografiert.

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Vita Jan Keith, Jahrgang 1971. Studium der Politikwissenschaft, Japanologie und Geografie in Bonn, Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule in München.

Gerhard Schmiedl, Jahrgang 1965, ist Professor für Mikropaläontologie an der Universität Hamburg mit Schwerpunkt Foraminiferen.

Birgit Hofmann Birkenhall, geboren 1972, künstlerische Fotografin in Reutlingen, hat Sandproben von Stränden weltweit gesam­melt und sie dann unter dem Rasterelektronen­mikro­skop fotografiert.
Person Von Jan Keith, Gerhard Schmidel und Birgit Hofmann Birkenhall
Vita Jan Keith, Jahrgang 1971. Studium der Politikwissenschaft, Japanologie und Geografie in Bonn, Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule in München.

Gerhard Schmiedl, Jahrgang 1965, ist Professor für Mikropaläontologie an der Universität Hamburg mit Schwerpunkt Foraminiferen.

Birgit Hofmann Birkenhall, geboren 1972, künstlerische Fotografin in Reutlingen, hat Sandproben von Stränden weltweit gesam­melt und sie dann unter dem Rasterelektronen­mikro­skop fotografiert.
Person Von Jan Keith, Gerhard Schmidel und Birgit Hofmann Birkenhall