Liebe Leserin, lieber Leser,
Sehnsucht oder auch Ruhe überkommt mich, wenn ich aufs Meer blicke. Ich denke an Unendlichkeit, Frieden oder an die Freiheit, auch der Meere. Aber nie kamen mir dabei Gewinn- oder Verlustrechnungen in den Sinn, Geschäftsberichte oder, ganz abwegig, ein Königshaus. Aber das wäre wohl an Großbritanniens Stränden angemessen. Denn was man wahrnimmt, betrachtet man die Küsten des Königreichs, ist eines der lukrativsten Gewerbegebiete (sic!) der Welt. Ob die Windkraftfelder am Horizont, das begehrte ehemalige Fischerhäuschen an der Steilküste, teure Yachtliegeplätze, die Fische im Wasser oder der inzwischen so wertvolle Sand am Meeresgrund für die Herstellung von Beton: All dies und noch viel mehr gehört nicht irgendwem, sondern der Krone. Der Crown Estate ist eine gigantische Profitlandschaft, und 25 Prozent der Erlöse gehen direkt an das Königshaus. Und das mit guten Aussichten für die Zukunft. Denn nicht nur die Offshore-Windenergie plant enorme Zuwächse, auch der Küstentourismus boomt und mit ihm die Mieten und Grundstückspreise. Im Südwesten Englands erwirtschaften so mehr als 52 000 Hektar enorme Gewinne allein für Prinz William. Und die so profitable wie umstrittene Verpressung von CO2 im Meeresgrund, um den Klimawandel abzuschwächen, hat gerade erst begonnen.
Ab Seite 58 berichten wir über das königlich-maritime Wirtschaftsimperium. Die Reportage zeigt zudem, wie kongenial Fotografie und Text zusammenwirken können. Wir beauftragten die britische Fotografin Vanessa Winship, in Schwarz-Weiß die royalen Besitztümer abzulichten, und man erkennt auf den Bildern … eben die britische Küste. Erst der Text der mare-Autorin Marlies Uken erhellt die Umstände, ordnet die optischen Eindrücke anders ein.
Aber schon vor über 500 Jahren ermöglichten britische Gewässer lukrative Geschäfte. Vor allem für eine Frau. Die irische Piratenkönigin Grace O’Malley erlangte in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts mit Überfällen auf englische Schiffe ein Vermögen. Und als ihr Stern sank, ihre Söhne in englische Gefangenschaft gerieten, wagte sie das Unmögliche und besuchte die mächtigste Frau der Welt (Seite 34).
Mutig zeigten sich auch die Fischer der Île de Sein, ganz im Westen der Bretagne. Ihr Widerstand gegen die deutschen Besatzer im Zweiten Weltkrieg veranlasste Charles de Gaulle zu der Bemerkung: „Die Insel Sein ist ein Viertel Frankreichs.“ Warum? Das lesen Sie in dieser, wie ich finde, wieder sehr abwechslungsreichen mare-Ausgabe ab Seite 30.
Viel Spaß beim Lesen wünscht Ihnen
Nikolaus Gelpke
Der Fisherman’s Wharf in San Francisco wurde einst von italienischen Fischern gegründet. Noch heute sind ihre Nachfahren die Herrscher der Touristenikone. Aber der Glanz lässt nach
Im Juni 1940 schließen sich 124 Fischer einer bretonischen Insel dem Widerstand um den Exilgeneral Charles de Gaulle an
Eine irische Adlige wird im 16. Jahrhundert als Piratin zur Fürstin der Meere. Sogar Königin Elizabeth I. ist ihr erlegen
Zu seinem 250. Geburtstag wird der Maler Caspar David Friedrich weithin geehrt. Eine bedeutende Wirkung seines großen Werks wird dabei notorisch übersehen
Ein Küstengewächs mit eigenartigem Geschmack – aber kreuzgesund: der Sanddorn, das seit Jahrtausenden geschätzte Nahrungsergänzungsmittel. Nun zeigt sich: Der Sanddorn ist selbst krank
Beim bedeutendsten Segelrennen der Welt entscheidet ein Hightech-Bootsteil über Sieg und Niederlage. Und ein Physiker weiß die Formel dafür
Eine Taucherin in Norwegen beschafft dem Koch eines Haute-Cuisine-Restaurants eine begehrte Zutat: edle Algen
Es ist ein weltweit einmaliges Konstrukt: Der Meeresboden rund um Großbritannien gehört seit 1964 offiziell der Krone. Über eine royale Firma vergeben die Windsors Lizenzen für die Nutzung der Meeresböden und verdienen damit Milliarden
Die DDR-Lyrikerin Helga Novak fand ihr Glück auf Trawlern und in Islands Fischindustrie, ehe sie mit ihrer Kunst zur Staatsfeindin wurde
Dem deutsch-amerikanischen Maler Lyonel Feininger, vor den Nazis nach New York geflohen, waren Segelschiffe und das Meer zeitlebens eine Passion. Der Ursprung hierfür liegt an der deutschen Ostseeküste. Hier fand er zu seinem ureigenen Prismaismus
Delfine sind klug. Aber so klug? In einer Bucht in Australien verwenden sie ihre Werkzeuge ähnlich raffiniert wie Primaten
Ein Fluch unserer Zeit: Wie viel CO2 können die Weltmeere aufnehmen, ohne dabei immer stärker zu versauern? Eine Möglichkeit wäre, gigantische Mengen an pulverisiertem Gestein in den Ozeanen zu versenken. Aber die Chancen und Gefahren sind unüberschaubar