Reich für die Insel

Es ist ein weltweit einmaliges Konstrukt: Der Meeresboden rund um Großbritannien gehört seit 1964 offiziell der Krone. Über eine royale Firma vergeben die Windsors Lizenzen für die Nutzung der Meeresböden und verdienen damit Milliarden

Steve, 40, zieht den Kopf ein und klettert in das niedrige Cockpit der „Delta Star“, seines kleinen Fischerboots, das im Hafen von Brighton an der Pier dümpelt, direkt vor den imposanten Kreidefelsen. Tief muss er sich ducken, er ist ein Hüne von Mann mit kräftigen Händen und rauer Haut. Er fährt den Computer hoch, schaltet die drei Bildschirme an und steht da, wie Steve immer dasteht: den Kopf tief eingezogen zwischen den Schultern, beide Hände in den Taschen seines ausgewaschenen dunkelblauen Overalls. Auf einer Karte ploppt gerade sein persönlicher Schmerzpunkt der vergangenen sechs Jahre auf: 116 Windräder, schön symmetrisch als pinkfarbene Punkte auf der Karte verteilt, etwa 15 Kilometer vor der Küste von Sussex. Es ist die Rampion Offshore Windfarm des Energiekonzerns RWE. Seit 2018 liefert sie Strom, jetzt soll sie erweitert werden. Noch einmal 90 Windräder, jedes von ihnen fast so hoch wie der Berliner Fernsehturm. Die Fläche des Windparks soll sich mehr als verdoppeln. 

„Es ist einfach nur noch frustrierend, wo sollen wir denn noch fischen?“, fragt Steve, der lieber nur mit Vornamen genannt werden will. Offiziell bleibe zwar das Fischen erlaubt, aber das Rangieren sei viel zu kompliziert. Er zeigt nach rechts auf der Karte: Weiter im Osten kann er nicht fischen, da wird Sand abgebaggert. Im Westen auch nicht, da liegen die dicken Stromkabel des Windparks. Und weiter hinaus auf den Ärmelkanal? Da seien die Belgier mit großen Baumkurren-Schleppnetzen unterwegs, da könne er mit seiner „Delta Star“ eh nicht mithalten. 

Es wird eng für Steve und sein knappes Dutzend Fischerkumpel in Brighton. Denn Steve hat einen mächtigen Gegenspieler, den wohl mächtigsten, den man sich in Großbritannien aus­suchen kann: His Royal Highness persönlich, King Charles III. Ein König von Gottes Gnaden, gesalbt mit heiligem Öl aus Jerusalem. Ein alter Mann, der seine lebenslange Wartezeit auf den Königsthron damit totschlug, sich als Naturfreund und Klimaschützer zu etablieren. Ein König, der nach dem Tod von Gott-hab-sie-selig-Queen Elizabeth II. ein milliardenschweres Imperium aus Grund und Boden erbte – und zu dem ausgerechnet auch Steves Arbeitsplatz gehört: der Meeresboden rund um England, Wales und Nordirland. Eine Fläche, die viermal so groß ist wie das britische Festland. 

Inzwischen entpuppt sie sich als wichtigste Einnahmequelle für das britische Königshaus. Verwaltet wird dieses Reich 120 Kilometer entfernt, in London, von einer der exklusivsten Adressen aus: 1 St James’s Market, gleich um die Ecke der prunkvollen Regent Street und dem trubeligen Piccadilly Circus. Hier residiert seit einigen Jahren der Crown Estate, zu deutsch: der Kronbesitz. 

Was Google schnöde als „Bauprojektentwickler“ listet, ist die milliardenschwere Immobilienverwaltung des britischen Königshauses. Ein sehr spezielles Konstrukt, denn offiziell gehört der Crown Estate King Charles III. Allerdings nur „im Namen der Krone“, also nicht persönlich. Verkaufen kann er ihn auch nicht. Es ist, nun ja, very british. Und weltweit einmalig. 

Der Crown Estate empfängt Besucher standesgemäß in einem riesigen Foyer, einer Halle mit vier Meter hohen Decken und einem großen, abstrakten Gemälde. Hier ist nichts grell oder laut – britisches Understatement. Wer hier arbeitet, checkt mit seinem Hausausweis wie am Flughafen ein, fährt in einem lautlosen Fahrstuhl ins Dachgeschoss im siebten Stock. Oben herrscht eine dezent-coole Werbefilmkulisse mit dem beruhigenden Geklacker von Computertastaturen, bunten Sitzgruppen und Schalen mit sehr viel Obst. Draußen, hinter den bodentiefen Fenstern, liegt die regenverhangene City. Auch wenn der Himmel so grau ist wie im Hafen von Brighton: Nirgendwo sonst fühlt sich wohl das Meer so weit weg an wie hier.  

Der Großteil der Häuserschluchten, auf die der Crown Estate hinunterblickt, gehört ihm auch. Es ist ein exklusives Immobilien­portfolio inklusive Buckingham Palace und jeder Menge Landgüter in ganz Großbritannien. Zudem – und das macht es so besonders – nennt der Crown Estate den gesamten Meeresboden rund um England, Wales und Nordirland sein Eigen, inklusive diverser Küstenabschnitte und Flussmündungen. 


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mare No. 165

mare No. 165August / September 2024

Von Marlies Uken und Vanessa Winship

Marlies Uken, Jahrgang 1977, Autorin in Berlin, hatte nicht erwartet, dass Prince William sogar als Ferienhausvermieter auftritt. Im Tamarisk House auf den Isles of Scilly, für das er bis zu 5500 Euro die Woche aufruft, soll er selbst schon mit Bruder Harry und seinen Eltern Charles und Diana übernachtet haben.

Vanessa Winship, geboren 1960, wuchs in England auf, ehe sie als Fotografin die Welt erkundete, vor allem den Balkan. Für diese Geschichte wieder in ihrer Heimat zu fotografieren bereitete ihr große Freude.

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Marlies Uken, Jahrgang 1977, Autorin in Berlin, hatte nicht erwartet, dass Prince William sogar als Ferienhausvermieter auftritt. Im Tamarisk House auf den Isles of Scilly, für das er bis zu 5500 Euro die Woche aufruft, soll er selbst schon mit Bruder Harry und seinen Eltern Charles und Diana übernachtet haben.

Vanessa Winship, geboren 1960, wuchs in England auf, ehe sie als Fotografin die Welt erkundete, vor allem den Balkan. Für diese Geschichte wieder in ihrer Heimat zu fotografieren bereitete ihr große Freude.

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Marlies Uken, Jahrgang 1977, Autorin in Berlin, hatte nicht erwartet, dass Prince William sogar als Ferienhausvermieter auftritt. Im Tamarisk House auf den Isles of Scilly, für das er bis zu 5500 Euro die Woche aufruft, soll er selbst schon mit Bruder Harry und seinen Eltern Charles und Diana übernachtet haben.

Vanessa Winship, geboren 1960, wuchs in England auf, ehe sie als Fotografin die Welt erkundete, vor allem den Balkan. Für diese Geschichte wieder in ihrer Heimat zu fotografieren bereitete ihr große Freude.

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