Schwamm drüber

Delfine sind klug. Aber so klug? In einer Bucht in Australien ­ver­wenden sie ihre Werkzeuge ähnlich raffiniert wie Primaten

In einer einsamen Bucht im Indischen Ozean gleitet ein Boot über das Türkis. Am Horizont erheben sich rostrote Felsen, der Himmel ist stahlblau. Das Meer liegt da wie ein Tischtuch. Auf der „Pomboo“ sitzen drei junge Frauen. Sie blicken auf das Meer. Mit dem einzigen Fernglas an Bord observieren sie abwechselnd das Wasser, ob sich irgendetwas rührt. Das Wasser ist so klar, dass man an vielen Stellen den Grund sehen kann. Doch noch tut sich nichts.

Eine der drei ist Ellen Jacobs von der Georgetown University in Washington, D. C. Gemeinsam mit zwei Studentinnen ist sie auf der Suche nach Delfinen. Es sind nicht irgendwelche Delfine. Die Großen Tümmler (Tursiops truncatus) der Shark Bay, einer durch zwei lange Halbinseln zweigeteilten Meeresbucht an Aus­traliens Westküste etwa 750 Kilometer nördlich von Perth, sind bei Forschern weltweit bekannt. Seit 40 Jahren werden sie intensiv erforscht. Viele der Erkenntnisse, die die Wissenschaft heute über Delfine hat, stammen von hier. Vor allem eine: Wie Schimpansen benutzen die Delfine Werkzeuge, um an Nahrung zu gelangen, eine hochintelligente Verhaltensweise, die Wissenschaftler seit ihrer Endeckung fasziniert.

Es war ein Fischer, der der Biologin Rachel Smolker 1984 von einem seltsam aussehenden Delfin mit einem riesigen Wuchs auf dem Maul erzählte. Smolker wollte es nicht glauben. Doch kurz darauf sah sie selbst den Delfin mit einem gelborangen Wuchs auf dem Gesicht. Schnell war klar: Es handelte sich nicht um ein Geschwür, sondern um einen Schwamm. Sie hatten den ersten Delfin entdeckt, der ein Werkzeug einsetzte. Seitdem wurden in der Shark Bay über 100 Delfine be­obachtet, die Schwämme bei der Jagd verwenden. 

Die Forscherinnen sind im Auftrag von Janet Mann hier. Sie ist eine Ikone der Delfinforschung. Die Biologie- und Psychologieprofessorin lehrt an der Georgetown University und studiert das Verhalten von Delfinen seit mehr als drei Jahrzehnten. Oft reist sie für Monate in die Shark Bay, um sie zu beobachten. Gerade ist sie abgereist. Doch die Kolleginnen sammeln weiter Daten. „Ein Großteil unserer Arbeit ist es, herauszufinden, wer gerade mit wem abhängt“, sagt Jacobs. Vor allem aber wollen sie mehr über die Schwammjagd erfahren. 

In der Shark Bay leben etwa 2500 bis 3000 Große Tümmler. Nur etwa vier Prozent von ihnen beherrschen die raffinierte Jagdtechnik. Und die funktioniert so: Zuerst brechen die Tiere einen Schwamm am Meeresboden ab. Dann stülpen sie ihn sich zum Schutz vor Muscheln und spitzen Steinen über das Maul. Ein, zwei Minuten durchfurchen sie damit den Meeresgrund. Sobald ein Beutetier aus dem Sand schießt, lässt der Delfin den Schwamm fallen, jagt der Beute nach und schnappt sie sich. Dann sammelt er den Schwamm wieder auf, und die Schwammjagd beginnt von Neuem. „Das wiederholen sie oft stundenlang“, sagt Jacobs.

Diese Jagdtechnik ist bei Meeressäugern einzig­artig. Flossen und Mäuler von Delfinen eignen sich eigentlich gar nicht für den Werkzeuggebrauch. Warum also benutzen sie Schwämme bei der Jagd? „Die meisten Fische verfügen über Schwimmblasen, die den Auftrieb regu­lieren. Schwimmblasen haben eine andere Dichte als ­Wasser, weswegen Delfine die Beute mithilfe der Echo­ortung lokalisieren können“, sagt Jacobs. „Schwammnutzer suchen Beute, die trotz Echoortung schwer aufzuspüren ist, zum Beispiel Flundern und Sandbarsche, die keine Schwimmblase haben und versteckt am Meeresgrund leben. Der Werkzeuggebrauch eröffnet ihnen eine ökologische Nische.“ 

In der Shark Bay liegen die größten Seegraswiesen der Erde. Das Wasser ist klar, fischreich und kaum irgendwo tiefer als 15 Meter – ideale Bedingungen für Delfine, aber auch für die Forschung. Die Wissenschaftler haben ihr Camp auf dem Campingplatz von Monkey Mia aufgeschlagen: Ein Wohnmobil, ein kleines Büro, ein Besprechungsraum in einem Container, das ist alles. Wenn das Wetter es zulässt, brechen sie kurz nach Tagesbeginn auf, um die Tiere zu suchen. Dann schleppen sie die drei mal sechs Meter große „Pomboo“ auf dem Hänger an den Strand, lassen sie ins Wasser gleiten und verbringen Stunden, manchmal den ganzen Tag auf dem Wasser.


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mare No. 165

mare No. 165August / September 2024

Von Fabian von Poser und Darren Jew

Fabian von Poser, Jahrgang 1969, freier Journalist in München, hat schon über die skurrilsten Tiere geschrieben. Dass er den Werkzeuggebrauch der Delfine mit eigenen Augen beobachten durfte, gehört für ihn zu seinen „schönsten Erlebnissen auf dem Meer“.

Der Australier Darren Jew wurde mehrmals mit dem Titel „Australian Professional Photographer of the Year“ ausgezeichnet.

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Fabian von Poser, Jahrgang 1969, freier Journalist in München, hat schon über die skurrilsten Tiere geschrieben. Dass er den Werkzeuggebrauch der Delfine mit eigenen Augen beobachten durfte, gehört für ihn zu seinen „schönsten Erlebnissen auf dem Meer“.

Der Australier Darren Jew wurde mehrmals mit dem Titel „Australian Professional Photographer of the Year“ ausgezeichnet.

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