Piratenkönigin Grace O’Malley

Eine irische Adlige wird im 16. Jahrhundert als Piratin zur Fürstin der Meere. Sogar Königin Elizabeth I. ist ihr erlegen

Alles Betteln, Flehen, Fluchen und Schimpfen hilft nichts. Eóghan Dubhdara Ní Mháille, Oberhaupt des Ní-Mháille-Clans (anglisiert O’Malley), bleibt hart. Ein Mädchen hat auf See nichts verloren. Allein schon deshalb, weil sich ihre langen Haare in den Seilen des Schiffs verfangen könnten. Da greift Gráinne (anglisiert Grace) zur Schere, schneidet sich die Haare raspelkurz und schlüpft in Hosen und Hemd ihres gleichaltrigen Cousins. „Gráinne Mhaol“ (frei übersetzt: Grace, die Geschorene) ist nun ihr Spitzname. Daraus entwickelte sich der Name „Granuaile“, unter dem Grace bis heute in Irland als Volksheldin bekannt ist. Ihr Vater hat nun kein Argument mehr, sie nicht auf die Handelsexpedition nach Spanien mitzunehmen, befiehlt ihr aber, während der Reise unter Deck zu bleiben. Daran hält sich der aufmüpfige Teen­ager nicht, und Eóghan (sprich Owen) schwört, seine Tochter nach der Reise so schnell wie möglich unter die Haube zu bringen. 

Die Liebe zur Seefahrt wird Grace, die um 1530 auf Clare Island im County Mayo an der zerklüfteten irischen Westküste zur Welt kommt, in die Wiege gelegt. Die Handelsschiffe der O’Malleys fahren nach Spanien, Portugal und Schottland. Auch wenn er eigentlich nie vorhatte, ­Grace auf eine längere Handelsreise mitzunehmen, bringt Eóghan seinem einzigen Kind das Seefahrerhandwerk schon von Kindesbeinen an bei. Daneben erhält Grace Unterricht in Latein und Spanisch. Englisch bleibt außen vor – die Sprache der feindlichen Invasoren, die zwischen 1169 und 1171 in Irland einfielen, steht damals auf keinem irischen Stundenplan. Die Insel ist im 16. Jahrhundert ein Flickenteppich aus kleinen Königreichen und Fürstentümern, über die irische Clans herrschten. Als sich Henry VIII. von England 1541 zum König von Irland ernennt und die Insel nun direkt der englischen Krone unterstellt ist, beginnt die Unterdrückung der irischen Katholiken, die jahrhundertelang andauern wird. 

Grace plagen indes andere Probleme. Damit sie sich die Seefahrt aus dem Kopf schlägt, wird sie als 16-Jährige mit dem kaum älteren Dónal Ó Flaithbheartaigh (anglisiert O’Flaherty) verheiratet. Als „Kronprinz“ des mächtigen O’Flaherty-Clans ist Dónal eine gute Partie. Der Wohnsitz der Frischvermählten ist Bunowen Castle in der mit Felsen, Mooren und Seen übersäten Region Connemara im benachbarten County Galway. Später ziehen sie in den Vorgängerbau des wenige Kilometer weiter nordöstlich gelegenen Ballynahinch Castle, das sich bei der Hochzeit noch im Bau befindet (und heute ein Luxushotel beherbergt).

Dass sie sich nun auf ein Hausfrauendasein konzentrieren soll, passt Grace überhaupt nicht. Wie gut, dass sich Dónal nach dem Tod seines Vaters als nicht sehr geschäftstüchtig erweist. Die junge Frau steigt in das Handelsschiff­unternehmen der O’Flahertys ein, wo sie sich um den Export landwirtschaftlicher Produkte kümmert. Dank ihres ökonomischen Talents und ihres Scharfsinns kann sie ihre Autorität in der Männerwelt des O’Flaherty-Clans durchsetzen und zudem auf Spanisch mit Kunden verhandeln. Nebenher bekommt sie drei Kinder: Eóghan (Owen), Méadhbh (Maeve) und Murchadh (Murrough). 

Galway City ist in jener Zeit ein wichtiges Handelszentrum der Engländer, was den irischen Adelsclans, die sich den Invasoren nicht unterworfen haben, ein Dorn im Auge ist. Den Iren ist der Handel in der eigenen Stadt verboten, und die wenigen, die handeln dürfen, müssen so hohe Steuern an die Engländer zahlen, dass ihnen kaum Geld zum Leben bleibt. 

Zahlreiche Clans an der Küste, auch die O’Flahertys, greifen daher auf Piraterie und die Erpressung von Schutzgeldern vorbeifahrender Schiffe zurück, um damit ihren Lebensunterhalt zu sichern. Sobald sie ihren Tribut (Bargeld oder einen Teil der Fracht) erhalten haben, verschwinden die O’Flaherty-Schiffe in einer der vielen Buchten der Gegend. Grace geht einen Schritt weiter: Sie fährt selbst nach Portugal und Spanien, um dort Seide, Gewürze, Wein und andere Waren zu erwerben, die sie in Irland verkauft, allerdings ohne an die Engländer den obligatorischen Zoll zu zahlen. 

Als Dónal 1565 in einer Fehde sein Leben verliert, verlässt Grace Galway und kehrt mit 200 Gefolgsleuten nach Clare Island zurück, wo sie die Familiengeschäfte fortführt und nach dem Tod ihres Vaters Oberhaupt des O’Malley-Clans wird. Eines Tages fällt ihr die Burg Rockfleet Castle an der Mündung eines schmalen Meeresarms am Nord­ufer der Clew Bay auf, und sie erkennt, dass die Bucht ein ­strategisch günstiger Liegeplatz für eine 20 Schiffe starke Flotte wäre. Sie gehört dem unverheirateten Richard „the Iron“ Bourke. Grace schlägt ihm ein Geschäft vor: ein Jahr Ehe auf Probe, ihm einen Erben, ihr die Burg. Bourke ­willigt ein. 


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mare No. 165

mare No. 165August / September 2024

Von Cornelia Lohs

Cornelia Lohs, Jahrgang 1960, ist freie Journalistin und Reisebuchautorin in Heidelberg und Irlandfan. Ihre Liebe zu der Grünen Insel und ihrer Geschichte verdankt sie ihrem amerikanischen Ehemann mit irischen Wurzeln. Dessen Ahnenforschung und ihre Recherchen für diverse Reiseführer haben sie in den vergangenen Jahren quer über die Insel geführt. Bei einer privaten Führung durch das Westport House, das auf den Ruinen eines der vielen Schlösser der Piratenkönigin errichtet wurde, erfuhr sie erstmals ­etwas über das Leben von Grace O’Malley. Anschließend las sie alles, was sie über die hinreißende Irin in die Hände kriegen konnte, und begab sich zur Spurensuche auf Clare Island.

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Vita Cornelia Lohs, Jahrgang 1960, ist freie Journalistin und Reisebuchautorin in Heidelberg und Irlandfan. Ihre Liebe zu der Grünen Insel und ihrer Geschichte verdankt sie ihrem amerikanischen Ehemann mit irischen Wurzeln. Dessen Ahnenforschung und ihre Recherchen für diverse Reiseführer haben sie in den vergangenen Jahren quer über die Insel geführt. Bei einer privaten Führung durch das Westport House, das auf den Ruinen eines der vielen Schlösser der Piratenkönigin errichtet wurde, erfuhr sie erstmals ­etwas über das Leben von Grace O’Malley. Anschließend las sie alles, was sie über die hinreißende Irin in die Hände kriegen konnte, und begab sich zur Spurensuche auf Clare Island.
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Vita Cornelia Lohs, Jahrgang 1960, ist freie Journalistin und Reisebuchautorin in Heidelberg und Irlandfan. Ihre Liebe zu der Grünen Insel und ihrer Geschichte verdankt sie ihrem amerikanischen Ehemann mit irischen Wurzeln. Dessen Ahnenforschung und ihre Recherchen für diverse Reiseführer haben sie in den vergangenen Jahren quer über die Insel geführt. Bei einer privaten Führung durch das Westport House, das auf den Ruinen eines der vielen Schlösser der Piratenkönigin errichtet wurde, erfuhr sie erstmals ­etwas über das Leben von Grace O’Malley. Anschließend las sie alles, was sie über die hinreißende Irin in die Hände kriegen konnte, und begab sich zur Spurensuche auf Clare Island.
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