Fisch sucht Baum

Der Killifisch hat eine Menge Begabungen. Für Biologen am spannendsten ist allerdings sein bizarres Sexleben

Viele glauben, der Name des Killifischs komme von „Killer“. Denn Killifische neigen zur Aggressivität. Bei Revierkämpfen rammen sie sich gegenseitig die Zähne in Flossen und Flanken, reißen einander Fleischstücke aus dem Leib. Nicht selten enden solche Duelle mit dem Tod eines der Rivalen.

Zumindest Mangrovenkillifische können aber auch anders, hat der amerikanische Forscher Scott Taylor herausgefunden. „An Land sind sie sehr gesellig und zahm wie Lämmer“, erzählt er. An Land? „Genau. Mehr als zwei Monate lang können sie am Ufer leben. Sie atmen dann einfach nicht mehr durch die Kiemen, sondern durch feine Poren in der Haut.“

Taylor, Biologieprofessor am Brevard Community College in Florida, muss es wissen. Der Mann ist Mangrovenexperte und der wohl beste Kenner dieser Tiere. Auf den Killi ist er durch Zufall gekommen.

Im Sommer 1987 watete er in den Mangrovenwäldern an der Atlantikküste Floridas knietief im Schlamm, um nach Moskitoeiern zu fischen. Dabei zog er auch vier unscheinbare, kleine Flossler aus dem Wasser. Mangrovenkillis, stellte er später im Labor fest, Kryptolebias marmoratus.

Die ersten dieser seltenen Tiere hatte 1880 ein Naturkundler auf Kuba entdeckt. Danach waren jahrzehntelang keine mehr gesichtet worden. Killifische, auch Eierlegende Zahnkarpfen genannt, sind eine riesige Familie mit mehr als 700 Arten. Sie gehören zu den farbenprächtigsten Fischen der Welt: karminrot, neongelb, grün, lila, orange, himmelblau. Ausgerechnet der Mangrovenkilli ist jedoch optisch eher unattraktiv. Mit seinem leicht gebogenen Körper und der bräunlich-grauen Färbung erinnert er an eine faulige Zwergbanane mit Flossen.

Dennoch begeistert dieser nur etwa sieben bis acht Zentimeter lange Fisch immer mehr Wissenschaftler. „Auch wegen seines bizarren Sexlebens“, sagt Taylor. „Es ist der coolste Fisch der Welt.“ Es gebe einen triftigen Grund, warum der Mangrovenkilli so farblos sei, erklärt der Forscher: „Er muss keine Sexualpartner anlocken.“ Die lästige Sucherei nach paarungswilligen Artgenossen entfällt; nichts lenkt ihn vom Schwimmen, Kriechen, Hopsen, Futtern und Kopulieren ab. Er pflanzt sich einfach selbst fort.

Mangrovenkillifische sind Hermaphroditen, Lebewesen mit sowohl männlichen als auch weiblichen Geschlechtsorganen. Sie sind die einzigen bekannten Wirbeltiere, die sich ohne Partner reproduzieren können. Sie befruchten ihre eigenen Eier vor dem Ablaichen mit selbstproduziertem Sperma und zeugen auf diese Weise genetisch identische Nachkommen: Klone.

Dennoch gibt es auch Mangrovenkillimännchen. Einige wenige unter den Tausenden, die Taylor mittlerweile in Florida gefangen hat, hatten ausschließlich männliche Genitalien. Und weiter südlich, in Belize, beträgt der Anteil der Männchen sogar fast ein Viertel der Gesamtpopulation. Eine Fehlleistung der Natur?

Bei besonders hohen oder niedrigen Temperaturen entwickeln sich aus den Jungtieren statt Hermaphroditen überzufällig häufig Männchen, konnte Taylor im Labor nachweisen. Spezielle Umweltbedingungen schienen also der Grund zu sein. Doch als andere Forscher Mangrovenkillifische aus Belize und Florida in einem Aquarium Nachkommen produzieren ließen, entstanden aus den befruchteten Eiern aus Belize auch in diesem neutralen Habitat prompt viel mehr Männchen als aus denjenigen aus Nordamerika.

Genetische Faktoren spielen also offensichtlich ebenfalls eine Rolle. Weibchen wurden weltweit noch nie gesichtet. Wenn Männchen auftauchen, übernehmen zwittrige Killis vorübergehend die weibliche Rolle bei der Paarung und unterdrücken den Mechanismus der Selbstbefruchtung. Der wahrscheinlichste Grund: Bei extremen Bedingungen wie Hitze, Kälte oder Futtermangel versucht der Killi mit einer „Genauffrischung“ die Fitness seiner Nachkommen zu steigern.

Das Verbreitungsgebiet der Mangrovenkillifische reicht von Südbrasilien über die Bahamas und die Karibik bis nach Nordamerika. Und sie sind gar nicht so selten, wie man bislang dachte. Forscher aus früheren Zeiten haben lediglich am falschen Ort gesucht. Dabei hätte sie bereits der Name Killifisch auf die richtige Spur führen können. Er komme nämlich keineswegs von „Killer“, sagt Taylor, sondern vom niederländischen Begriff „kill“, der „kleines Gewässer“ oder „Graben“ bedeutet, also Orte, in denen sich Mangrovenkillis bevorzugt aufhalten.


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mare No. 76

No. 76Oktober / November 2009

Von Till Hein und Jan Feindt

Als der Berliner Reporter Till Hein, Jahrgang 1969, für seinen Artikel über Fischintelligenz (mare No. 72) den Verhaltensforscher Ben Chapman interviewte, berichtete dieser von einem Erlebnis an Floridas Küste. „Bei einer Wanderung sprangen plötzlich kleine Fische aus dem Unterholz.“ Es waren Mangrovenkillis – und Hein hatte sein nächstes Thema gefunden.

Der Berliner Illustrator Jan Feindt, geboren 1975, tat sich nicht leicht bei der Arbeit. „Noch nie habe ich einen Fisch gezeichnet, der auf einem Baum sitzt.“

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Vita Als der Berliner Reporter Till Hein, Jahrgang 1969, für seinen Artikel über Fischintelligenz (mare No. 72) den Verhaltensforscher Ben Chapman interviewte, berichtete dieser von einem Erlebnis an Floridas Küste. „Bei einer Wanderung sprangen plötzlich kleine Fische aus dem Unterholz.“ Es waren Mangrovenkillis – und Hein hatte sein nächstes Thema gefunden.

Der Berliner Illustrator Jan Feindt, geboren 1975, tat sich nicht leicht bei der Arbeit. „Noch nie habe ich einen Fisch gezeichnet, der auf einem Baum sitzt.“
Person Von Till Hein und Jan Feindt
Vita Als der Berliner Reporter Till Hein, Jahrgang 1969, für seinen Artikel über Fischintelligenz (mare No. 72) den Verhaltensforscher Ben Chapman interviewte, berichtete dieser von einem Erlebnis an Floridas Küste. „Bei einer Wanderung sprangen plötzlich kleine Fische aus dem Unterholz.“ Es waren Mangrovenkillis – und Hein hatte sein nächstes Thema gefunden.

Der Berliner Illustrator Jan Feindt, geboren 1975, tat sich nicht leicht bei der Arbeit. „Noch nie habe ich einen Fisch gezeichnet, der auf einem Baum sitzt.“
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