Wildwestfischen

Den Hafen von Sitka an der Küste Alaskas teilen die Kraftlinien eines alten Streits: Gibt es genug Hering im Meer oder nicht?

Jeff Feldpausch, ein bulliger Kerl mit ergrauendem Schnauzer, hält sich mit beiden Händen fest, um auf seinem Sitz die Balance zu bewahren. Das kleine Boot hüpft über die Wellen des Nordpazifiks, der sich rau und kalt und grau bis zum Horizont erstreckt. Feldpauschs Füße stecken in Gummistiefeln, er trägt schwere Regenkleidung, Hose und Jacke in Neonorange, die Handschuhe aus dickem Gummi hat er neben sich gelegt. Feldpausch blickt nach vorn durch die Scheibe, an der der Regen endlos und schnell herunterrinnt. Feldpausch sagt, endlich sei er da, der Frühling. Die Temperaturen liegen knapp über null.

In Sitka im Südosten Alaskas kündigt nicht die warme Luft den Frühling an. Auch nicht der Himmel. Der hängt an diesem Morgen so tief über Wald und Berg und Meer wie seit Monaten.

Es ist das Wasser. Wenn das Wasser wieder zum Leben erwacht, wissen sie in Sitka: Der Winter ist vorbei. Und besonders deutlich ist das in der Bucht, die sie „Keksdose“ nennen.

Feldpausch sieht es schon von Weitem, noch eher hört er es. Während der Kapitän das Boot langsam in die Bucht steuert, streift Feldpausch seine Handschuhe über, zieht sich die Kapuze ins Gesicht und tritt hinaus aufs Heck des Boots, hinaus in den Sound des Lebens.

Von oben prasselt der Regen. Von unten klopfen die Wellen gegen die Bordwand. In der Luft kreischen die Möwen, eine schrille Kakofonie aus Hunderten Kehlen. An Land, auf großen Felsen, sitzen Weißkopfseeadler wie Erwachsene am Rand eines Spielplatzes, immer wieder erhebt sich einer über die Bucht und schwingt groß und autoritär durch das weiß geflügelte Chaos. Im Wasser tauchen Seelöwen, dick und schwarz, und draußen vor der Bucht, wo es schnell tief wird, patrouillieren zwei Buckelwale, die regelmäßig Fontänen in die Luft blasen, bevor sie wieder abtauchen und warten.

Als ob Noah die Tiere zusammengerufen hätte, scheint sich Alaskas Wunderfauna an diesem Morgen in der Bucht versammelt zu haben. Alle sind sie aus demselben Grund hier, die Tiere und Jeff Feldpausch.

Wegen der Heringe.

In Sitka gelten sie als die Boten des Frühlings. Jedes Jahr kommen sie an die Südostküste Alaskas zum Laichen. Und mit sich bringen sie einen neuen Lebenszyklus. Die Natur beginnt nach dem Winter wieder ihr Spiel: im März und April die Heringe, gefolgt von den Lachsen im Mai und Juni, die sich von ihnen ernähren, und direkt nach den Lachsen die Killerwale, die die Lachse fressen. So gliedert die Natur das Leben hier jedes Jahr. Seit Jahrzehnten ist das so, seit Jahrhunderten, seit Jahrtausenden, verlässlich wie der Lauf der Zeit.

Oder vielleicht auch nicht.

Zu glauben, was schon immer so war, wird auch immer so sein, sei eine Illusion, sagt Feldpausch. Wird es nächstes Jahr noch so sein? In zehn Jahren? In 100? Er ist sich da nicht so sicher.

Feldpausch ist überzeugt, dass es immer weniger Heringe gibt, bedrohlich wenige, und natürlich hat er den Klimawandel im Sinn, die Erwärmung des Meeres, das labile Gleichgewicht der Nahrungskette, schließlich sind die Heringe ein elementarer Teil davon. Aber das ist nicht alles.

Feldpausch sieht auch die jahrtausendealte Lebenskultur der Indianer in Gefahr. Er arbeitet für den Sitka-Stamm, dem 4500 Mitglieder in Sitka und Umgebung angehören. Jeff Feldpausch sieht erst einmal nicht aus, wie man sich einen Indianer vorstellt. Eher wie einer, der sich aus Iowa hierher verirrt hat, was daran liegt, dass es genauso war. Aber jetzt ist Feldpausch die wichtigste Waffe des Stamms im Kampf um die Heringe.


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mare No. 135

No. 135August / September 2019

Von Bastian Berbner und Pieter ten Hoopen

In Alaska wurde Bastian Berbner, Jahrgang 1985, Journalist in Hamburg, von einer Fischerfamilie in ihre Hütte eingeladen. In deren Mitte stand ein Ölofen. Doch das Öl reichte nicht, um nachts zu heizen. Berbner fror so sehr, dass er in vier Schichten Kleidung schlief, inklusive Mütze und Handschuhe. Der dreijährigen Tochter dagegen reichte ein Pyjama.

In Sitka zu arbeiten war für Pieter ten Hoopen, geboren 1974, Fotograf in Stockholm und Mitglied der Agence VU, etwas Besonderes. Er liebt die Natur in dieser Region, den Reichtum des Walds, das Gleichgewicht aller Elemente. Allerdings bereitet ihm die Überfischung der dortigen Gewässer zunehmend Sorgen.

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Vita In Alaska wurde Bastian Berbner, Jahrgang 1985, Journalist in Hamburg, von einer Fischerfamilie in ihre Hütte eingeladen. In deren Mitte stand ein Ölofen. Doch das Öl reichte nicht, um nachts zu heizen. Berbner fror so sehr, dass er in vier Schichten Kleidung schlief, inklusive Mütze und Handschuhe. Der dreijährigen Tochter dagegen reichte ein Pyjama.

In Sitka zu arbeiten war für Pieter ten Hoopen, geboren 1974, Fotograf in Stockholm und Mitglied der Agence VU, etwas Besonderes. Er liebt die Natur in dieser Region, den Reichtum des Walds, das Gleichgewicht aller Elemente. Allerdings bereitet ihm die Überfischung der dortigen Gewässer zunehmend Sorgen.
Person Von Bastian Berbner und Pieter ten Hoopen
Vita In Alaska wurde Bastian Berbner, Jahrgang 1985, Journalist in Hamburg, von einer Fischerfamilie in ihre Hütte eingeladen. In deren Mitte stand ein Ölofen. Doch das Öl reichte nicht, um nachts zu heizen. Berbner fror so sehr, dass er in vier Schichten Kleidung schlief, inklusive Mütze und Handschuhe. Der dreijährigen Tochter dagegen reichte ein Pyjama.

In Sitka zu arbeiten war für Pieter ten Hoopen, geboren 1974, Fotograf in Stockholm und Mitglied der Agence VU, etwas Besonderes. Er liebt die Natur in dieser Region, den Reichtum des Walds, das Gleichgewicht aller Elemente. Allerdings bereitet ihm die Überfischung der dortigen Gewässer zunehmend Sorgen.
Person Von Bastian Berbner und Pieter ten Hoopen