Wehe, wenn die Auster splittert

Einmal im Jahr feiern die Iren ihre Muschel, die so gut zum Bier passt: auf dem Austernfestival von Clarenbridge

Martha Flaherty mag keine Austern, aber das gibt sie ungern zu. Schließlich ist sie die Austernkönigin, und im blauen Kleid mit der Königinnenschärpe hat die 21-jährige so ihre Repräsentationspflichten. Hier, in Clarenbridge im Westen Irlands, findet seit 1954 jedes Jahr das Austernfestival statt. Ein bisschen aufgeregt ist sie noch. Aber das vergeht schnell.

Als Königin Martha auf ihrer Sänfte ins Festzelt getragen wird, schwappt ihr eine Welle des Wohlwollens entgegen. Die etwa 2000 Gäste, überwiegend Einheimische, sind schon in prächtiger Stimmung. Sie haben sich richtig fein gemacht, denn das Austernfestival ist hier der Höhepunkt des Jahres. Kein Tag für Wolle und Tweed, heute sind Krawatten angesagt, Flanell und Seide. Hier feiert das moderne Irland, nicht die keltische, romantisch verklärte Vergangenheit. Früher galt die Auster als Futter für Exzentriker. Heute ist nicht nur Speise, sondern auch Symbol: Irland boomt und kann sich Luxus leisten.

Auf der Bühne singt Linda Martin, eine der vielen irischen Siegerinnen beim Eurovisions-Schlagerwettbewerb. Sie ist älter geworden, darüber täuscht auch das leuchtend grüne Kleid mit dem tiefen Rückenausschnitt nicht hinweg. Aber Linda bringt die Gäste immer noch in Fahrt. Oder ist es der Alkohol? Kaum ein Mann kann dem kostenlosen Bier des Sponsors Murphy’s widerstehen, die meisten haben zwei, drei Pints vor sich stehen – jene magischen 0,56 Liter, in denen das Bier in Irland ausgeschenkt wird. Murphy’s ist der Konkurrent von Guinness, der Brauerei, die das irische Nationalgetränk herstellt. Murphy’s ist genauso schwarz, nur eine Spur süßlicher vielleicht.

Die Frauen umringen den Ehrengast: Keith Duffy von der Popgruppe Boyzone. „Ich stamme aus einem Arbeiterviertel in Nord-Dublin“, sagt er, „und da gab’s keinen Fisch. Höchstens Fischstäbchen.“ Man reicht ihm die erste Auster seines Lebens. „Wunderbar“, verkündet er brav. Aber warum verzieht er dabei sein Gesicht?

Peggy Carthy O’Brien hingegen isst Austern für ihr Leben gern. Sie war auch einmal Austernkönigin, aber das ist lange her. Es war 1954, als das Festival zum ersten Mal stattfand, damals war sie 18, jetzt hat sie sechs erwachsene Kinder. „Es kamen nur 34 Gäste“, erzählt sie. „Ich musste in Moran’s Restaurant mit einer Auster um ein Bierfass tanzen und sie dann dem Bürgermeister von Clarenbridge überreichen.“

Noch immer wird das Festival am Freitagabend offiziell bei Moran’s eröffnet. Vor dem reetgedeckten Haus ist unter einer Markise eine Bühne aufgebaut, eine Band spielt irische Schlager. Als sie Pause macht, ruft der Besitzer Willie Moran einen Wettbewerb im Austernöffnen aus. „Only for our foreign guests!“ Nur für die Zugereisten! Ein Amerikaner, eine Amerikanerin, ein Franzose und eine Schwedin melden sich. Willie Moran zeigt, wie es gemacht wird: „Man bohrt das Küchenmesser gegenüber dem Scharnier hinein, dabei schneidet man den Muskel der Auster durch, eine leichte Drehung, und die Schale zerfällt in zwei Hälften. Jetzt noch die Auster von der Schale abschneiden, wenden – fertig.“

Es sieht leichter aus als es ist. Die vier Teilnehmer tun sich trotz der Anfeuerungsrufe des Publikums schwer. Die Schwedin hat nach drei Minuten als Erste eine Auster geöffnet. Aber dann scheitert sie kläglich an der zweiten. Sie stochert noch immer in der Schale herum, als der Franzose seine sechs Austern schon auf dem Teller arrangiert. Er bekommt einen kleinen Pokal: eine versilberte Auster.

Moran’s ist das berühmteste Restaurant weit und breit. Der US-Regisseur John Houston, der ganz in der Nähe ein Haus besaß, war Stammkunde. Einmal, Willie war noch klein, brachte er einen Schauspieler mit. Er rief Willie zu sich an den Tisch und sagte: „Merk dir diesen Namen, Willie. Das ist Paul Newman.“

Inzwischen ist Moran 44 und hat viele Prominente in seinem Restaurant bewirtet. Zu den Gästen zählten Prinzessin Margaret und Lord Snowdon, Gracia Patricia von Monaco und Bing Crosby, John Steinbeck und Joan Baez. Und der irische Literaturnobelpreisträger Seamus Heaney hat Moran’s ein Gedicht gewidmet, das im Speisesaal an der Wand hängt: „Lebendig und verletzt lagen sie auf ihrem Bett aus Eis“, beginnt es.

„Einmal war sogar die japanische Kaiserin hier“, erzählt Willie Moran. „Ihr Protokollchef und seine Leute kamen am Vortag und brachten uns die Verhaltensregeln bei. Wir sollten uns verbeugen und durften erst reden, wenn wir angesprochen wurden. Am nächsten Tag warteten wir vor der Tür auf die Ankunft der Kaiserin. Kaum war sie aus der Limousine ausgestiegen, da ging mein Vater – er war damals 80 – auf sie zu, schüttelte ihre Hand und hieß sie herzlich willkommen. Der Protokollchef wurde blass, aber die Kaiserin schien ganz froh, dass man sie wie einen normalem Menschen behandelte.“


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 18. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 18

No. 18Februar / März 2000

Von Ralf Sotscheck und Ed Kashi

Ralf Sotscheck, Jahrgang 1954, ist Korrespondent der tageszeitung und lebt in Dublin. In mare No. 12 schrieb er über die Hafenarbeiter von Liverpool.

Ed Kashi, geboren 1957, ist freier Fotograf und lebt in San Francisco. Dies ist seine erste Arbeit für mare

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