Südsee mit Sättigungsbeilage

Wenn die Gäste der „Marina Bar“ auf der Insel Yap Fisch speisen wollen, müssen sie erst angeln gehen

Begründen kann Hans es nicht, warum er nach Yap gekommen ist und hier eine Bar aufgemacht hat. Aus Sankt Anton in Tirol stammt er. Lange Jahre war er Chefarzt in Singapur, und jetzt lebt er auf Yap, der verschlafensten Insel westlich des Marianengrabens. Hans scheint kein glücklicher Mensch zu sein, doch an der schönen Chinesin, mit der er verheiratet ist, liegt es sicher nicht. Sie managt seine „Marina Bar“ in Colonia, der Hauptstadt des mikronesischen Bundesstaates Yap. Meist lehnt Hans derweil am langen Tresen und lässt sich von der milden Brise des Westpazifiks kühlen, die durch seine Freilufthallenbar weht.

Im vorigen Jahr ist auch noch Enrico in Yap gestrandet, ehemaliger Koch einer luxuriösen Motoryacht, die auf ihrer Pazifikkreuzfahrt im Hafen von Colonia angelegt hatte. Also praktisch an der Ecksäule der „Marina Bar“, die auf Stelzen am Hafen steht. Enrico kommt aus Dresden, spricht sprudelndes Sächsisch und macht mit seinen 27 Jahren einen quietschdynamischen Eindruck. Es wird ihn wohl nicht lange halten auf der dösigen Insel. Enrico kocht virtuos, er legt wunderbare Fischkreationen mit Kokosmilch und Olivenöl hin, die ihresgleichen suchen in diesem entlegenen Teil des Globus.

Damit kein falscher Eindruck aufkommt: Yap ist zwar träge, die Yapesen noch träger (sie würden nichts anderes von sich behaupten, so etwas ist hier nicht negativ besetzt), aber Yap ist eine ganz besondere Insel. Sie hat die traditionsreichste Gegenwart Mikronesiens und die eigentümlichste Währung der ganzen Welt (siehe mare No. 24): Das Geld der Yapesen besteht aus vielen tausend meterhohen Monolithen in Mühlsteinform, deren Ursprünge sich in grauer Vorzeit verlieren, mit denen man aber noch heute Geschäfte machen kann. Ansonsten erstreckt sich die Tradition auf Verbote, die besagen, wer welche Straße, welches Feld, welche Brücke betreten darf – „no-go areas“ allerorten. Nur die Hauptstadt ist frei von solchen Tabus, und so darf jeder in der Bar des Tirolers Platz nehmen und sich von Enrico bekochen lassen.

Die Kolonialmächte Spanien, Amerika, Japan und das Deutsche Reich stritten seit dem Ende des 19. Jahrhunderts um das Eiland, für einige Zeit durfte es Kaiser Wilhelm II. zu seinen „Plätzen an der Sonne“ zählen. Doch der deutsche Gouverneur Arno Senfft – dessen Wirken in aktuellen Broschüren durchaus gelobt wird – und seine Amtmänner mussten sich auch noch mit „King“ O’Keefe herumschlagen. Ursprünglich als Schiffbrüchiger halb tot an die Küste gespült, schaffte er es, von Yap aus mit dem Kokosnusshandel ein Geschäftsimperium zu errichten. Auf der kleinen O’Keefe-Insel im Hafen sind noch die Reste des Palasts vom Kokosnusskönig zu besichtigen.

Heute heißt der Regierungschef Vincent Figir. Er selbst übrigens hat den Rainbow Runner gefangen, den Enrico heute zum Hauptgang für seine Gäste verarbeitet. „Mit Tarowurzeln als Sättigungsbeilage“, kündigt der Dresdener an. Der Koch ist bisweilen angewiesen auf den Sportsgeist des Gouverneurs, denn er hat Schwierigkeiten, an Fisch zu kommen. Die Yapesen ziehen es nämlich vor, für den Eigenbedarf zu fischen, wenn überhaupt. Am liebsten bleiben sie zu Hause.

Die „Marina Bar“ will sich deshalb ein Boot für eigene Fänge zulegen. Bis dahin wird es noch öfter passieren, dass Gäste, zumeist Segler auf ihrem Weg zwischen Asien und Amerika, mit eigenem Fisch kommen, um ihn sich von Enrico zubereiten zu lassen. Doch Enrico schimpft: „Hoffentlich macht das nicht Schule.“


Vorspeise
Sashimi mit Orangen-Olivenöl-Soße

200 bis 300 Gramm festes Fischfleisch, zum Beispiel Thunfischsteak, in möglichst dünne Scheiben schneiden (einfacher, wenn es angefrostet ist). Ein Schnapsglas Olivenöl und den Saft zweier Orangen vermischen, ein bis zwei gehackte Schalotten hinzufügen, salzen und pfeffern. Fisch und Soße getrennt servieren.

Hauptgericht
Rainbow Runner mit Kokostaro

600 Gramm Taroknollen in dünne Scheiben schneiden und flach aufs Blech schichten. Mit Kokosmilch (zuvor gesalzen und mit Chili gewürzt) begießen, bis die Scheiben fast bedeckt sind. Danach im Backofen zwei bis drei Stunden bei mittlerer Hitze garen (nach gut eineinhalb Stunden einstechen, sie sollten eine ähnliche Konsistenz wie Kartoffeln haben). Einen Rainbow Runner (ersatzweise zwei Doraden) ausnehmen und entschuppen und am Stück grillen oder in Öl und Butter braten. Mit Zitrone servieren.

mare No. 29

No. 29Dezember 2001 / Januar 2002

Von Ulli Kulke und Robert Voit

Ulli Kulke, Jahrgang 1952, ist Chefreporter für Wissenschaft der Berliner Tageszeitung Die Welt.

Robert Voit, 1969 geboren in Erlangen, Studium an der Kunstakademie Düsseldorf bei dem weltweit bedeutenden Fotografiekünstler Professor Thomas Ruff. Voit ist ein Magier des Lichts, der seine Großformatkamera mit der Leichtigkeit einer Kleinbildkamera bedient. Seine Arbeiten waren in zahlreichen Ausstellungen im In- und Ausland zu sehen.

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Vita Ulli Kulke, Jahrgang 1952, ist Chefreporter für Wissenschaft der Berliner Tageszeitung Die Welt.

Robert Voit, 1969 geboren in Erlangen, Studium an der Kunstakademie Düsseldorf bei dem weltweit bedeutenden Fotografiekünstler Professor Thomas Ruff. Voit ist ein Magier des Lichts, der seine Großformatkamera mit der Leichtigkeit einer Kleinbildkamera bedient. Seine Arbeiten waren in zahlreichen Ausstellungen im In- und Ausland zu sehen.
Person Von Ulli Kulke und Robert Voit
Vita Ulli Kulke, Jahrgang 1952, ist Chefreporter für Wissenschaft der Berliner Tageszeitung Die Welt.

Robert Voit, 1969 geboren in Erlangen, Studium an der Kunstakademie Düsseldorf bei dem weltweit bedeutenden Fotografiekünstler Professor Thomas Ruff. Voit ist ein Magier des Lichts, der seine Großformatkamera mit der Leichtigkeit einer Kleinbildkamera bedient. Seine Arbeiten waren in zahlreichen Ausstellungen im In- und Ausland zu sehen.
Person Von Ulli Kulke und Robert Voit