Schnee von vorgestern

Dem Ingenieur einer Antarktisstation gelang es, den rätselhaften, flüchtigen Zauber von Schneeflocken für immer zu konservieren

Ein Mann steht allein auf dem schrundigen Schelfeis des Südpolarmeers. Die Luft hat minus 17 Grad Celsius an diesem Vormittag im Februar 2021. Doch Thomas Hoffmann harrt aus, ein rechteckiges Stück Pappe zwischen den klammen Fingern, den Blick zum Himmel gerichtet. Plötzlich streckt Hoffmann seine Arme aus, bringt die Pappscheibe in Position und hält den Atem an. Dann fängt er sie auf: die erste Flocke des Tages. Hoffmanns Warten ist auf Wunder der Natur gerichtet, die so zart und vergänglich sind wie das Glück. Er ist Schneeflockenfänger. Seit Jahren bemüht er sich, diese zauberhaften Gebilde vor dem Dahinscheiden zu bewahren.

Und von Flocke zu Flocke gelingt ihm das besser.

Hoffmann, 37, hat Energietechnik studiert, 2016 bewarb er sich beim Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven – und wurde genommen. „Ich war ziemlich überrascht“, erzählt er in einem holzvertäfelten Saal des Forschungsinstituts. An drei großen Expeditionen hat er bereits teilgenommen. Mehr als 27 Monate verbrachte er in den Polarregionen. „Weltweit gibt es nur ganz wenige Leute, die, so wie ich, bereits in der Arktis und der Antarktis überwintert haben“, sagt er stolz. Bald wird Hoffmann wieder ins Polarmeer reisen, zu einer Forschungsstation in der Nähe des Südpols. Ein knappes Dutzend AWI-Wissenschaftler soll dort Daten erheben zum Klimawandel, zur Biodiversität, zur Versauerung der Meere. Hoffmann wird Messgeräte von Eisschichten befreien, wissenschaftliches Equipment und die Motoren havarierter Schneemobile reparieren, Störungen am Blockheizkraftwerk beheben. „Wird nie fad“, sagt er. 

Worauf er sich besonders freut: In der spärlichen Freizeit wird er sich seiner Passion widmen können: dem Schnee. Handschuhe seien beim Flockenfang tabu, sagt er. „Das Präparieren der Kristalle erfordert Präzisionsarbeit.“ Letztlich jage er nämlich nicht nach Schneeflocken, sondern nach Schneekristallen. Fallen solche Kristalle zur Erde herab, kommt es unterwegs zu Kollisionen. Dabei verhaken sie sich ineinander, und es bilden sich dicke Flocken. Ideal für seine Ziele seien deswegen Tage, an denen nur vereinzelte kleine Flocken zur Erde herabrieseln. So wie an jenem Morgen im Februar, auf dem Schelfeis der Antarktis, an dem er einen der schönsten Schneekristalle seines Lebens entdeckte.

Ist eine Flocke auf der Pappscheibe gelandet, kommt die „Cryobox“ ins Spiel, ein Werkzeugkasten mit Temperaturregulierung, den er selbst konstruiert hat. Hoffmann kniet sich dann aufs Eis und legt die Pappe samt Schneeflocke behutsam auf der minus 20 Grad kalten Arbeitsfläche der Kühlbox ab. Er öffnet eine Schublade der Box, zieht seine Juwelierlupe heraus und mustert die Schneeflocke. Mit spitzen Fingern greift er nach einem Skalpell, versucht, die Verbindungen zwischen den Schneekristallen zu lösen und den interessantesten freizulegen.


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 149. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 149

mare No. 149Dezember 2021/ Januar 2022

Von Till Hein und Thomas Hoffmann

In Till Heins Kindheit gab es auch in unseren Breiten mehr Schnee. Und er verfolgte begeistert die Abfahrtsduelle zwischen Bernhard Russi und Franz Klammer.

Mehr Informationen
Vita In Till Heins Kindheit gab es auch in unseren Breiten mehr Schnee. Und er verfolgte begeistert die Abfahrtsduelle zwischen Bernhard Russi und Franz Klammer.
Person Von Till Hein und Thomas Hoffmann
Vita In Till Heins Kindheit gab es auch in unseren Breiten mehr Schnee. Und er verfolgte begeistert die Abfahrtsduelle zwischen Bernhard Russi und Franz Klammer.
Person Von Till Hein und Thomas Hoffmann