Nicht Fisch noch Fleisch

Wenn ein Wesen sich nicht zwischen dem Leben an Land und dem im Wasser entscheiden kann, dann muss es sich neu erfinden

Manche von ihnen scheinen drauf und dran, das Wasser endgültig zu verlassen. Aber dann tun sie es doch nicht. Andere haben sich eigentlich schon für das Land entschieden, aber dann kehren sie doch wieder zu den alten Gefilden zurück. Jedenfalls gibt es eine Reihe von Lebewesen, die verharren, wo Meer und Land sich treffen, an den Schnittstellen zwischen Wasser und Erde, vertraut mit beiden Sphären und doch zu keiner ganz gehörend. Wohl die interessantesten von ihnen sind Palmendieb und Schlammspringer.

Eigentlich ist der Schlammspringer ja ein Fisch. Er hat einen stromlinienförmigen Körper, breite Flossen, Kiemen. Aber so richtig ernst scheint er das Ganze nicht zu nehmen. Denn welcher Fisch turnt schon bei Ebbe die Bäume hoch? Kein anderer Fisch erledigt so viele seiner Lebensaktivitäten an Land: Fressen, Balzen und Revierverteidigung gehören dazu. Wie eine Nadel zwischen zwei Stoffstücken schlüpft er zwischen den grundverschiedenen Habitaten hin und her.

Der Schlammspringer lebt in brackigen Flussmündungen und Mangrovenwäldern von Westafrika bis Papua-Neuguinea. Oft buddelt er sich tiefe, wassergefüllte Höhlen im schlammigen Boden der Gezeitenzone, wo er seine Eier ablegt und sich vor gefräßigen Feinden versteckt. Aber gerne kommt er auch aus dem Wasser heraus, nagt Algen von Mangrovenwurzeln oder jagt Insekten, Spinnen und Krebstierchen. Manche Schlammspringer verbringen genauso viel Zeit auf dem Land wie im Wasser, teilweise mehrere Stunden am Stück. Dabei nehmen sie die Fischversion eines Atemgeräts mit: In einer erweiterten Kiemenhöhle tragen sie einen Vorrat an Wasser mit sich herum. Zusätzlich nehmen sie über ihre Haut Sauerstoff aus der Luft auf. Auf ähnliche Weise könnten die ersten Wirbeltiere vor rund 400 Millionen Jahren das Land erobert haben.

Graziös ist ein Schlammspringer an Land nicht, aber flink. Wie auf Krücken hoppelt er mit seinen kräftigen Brustflossen über den Schlick und selbst senkrecht an Mangrovenwurzeln empor. Sein breites Maul lässt ihn dabei immer etwas empört wirken. Hoch auf seinem Kopf thronen zwei Glubschaugen. Der Schlammspringer kann sie unabhängig voneinander rotieren und sieht mit ihnen an Land sogar besser als unter Wasser.

Besonders munter werden Schlammspringer zur Paarungszeit. Taucht dann ein eierbeladenes Weibchen auf, versuchen sämtliche Männchen der Nachbarschaft, sie durch energisches Turnen in den eigenen Bau zu locken. Der australische Scartelaos histophorus etwa hat eigens dafür ein Manöver entwickelt, das sich am besten als „Schwanzstand-und-seitwärts-Plumps“ beschreiben lässt. Dafür schnellt der Fisch hoch, bis er senkrecht auf seiner Schwanzflosse balanciert. Dann klatscht er seitlich in den Matsch. Biologen haben Scartelaos-Männchen beobachtet, die diese Choreografie 83 Mal hintereinander ausführten, um ein Weibchen zu betören.

Wer am überzeugendsten turnt, darf sich anschließend in seiner Höhle paaren. Später legt das Weibchen die befruchteten Eier in den schlammigen Wänden des Baus ab. Die unterirdische Behausung dient dem Schlammspringer auch als Zufluchtsort während seiner Zeiten im Wasser. Allerdings muss er seine Aufenthalte hier gründlich vorbereiten, denn das Brackwasser der Mangrovenwälder enthält nur wenig Sauerstoff. Will der Schlammspringer nicht ersticken, muss er deshalb beizeiten einen Vorrat anlegen. Er tut dies, indem er an der Oberfläche ein Maul voll Luft schnappt und damit in die Höhle schwimmt, wo er sie ausspuckt. Er wiederholt dies so oft, bis sich in der Tiefe eine Luftglocke bildet.

Sein breites Maul erweist sich auch in umgekehrter Richtung als praktisches Transportmittel. In gleichmäßigen Kügelchen trägt der Fisch den Schlamm von Höhlenneubauten nach draußen. Manche Arten statten ihren Unterwasserhort mit bis zu vier Ausgängen aus und sichern diese mit Mäuerchen und Türmchen. Der Periophthalmus argentilineatus, ebenfalls in Australien heimisch, hebt sogar eine Art Burggraben aus. Ob der Schlammspringer solche „Festungen“ nutzt, um nach Landfeinden wie Reiher und Wasserschlange Ausschau zu halten?


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mare No. 49

No. 49April / Mai 2005

Von Ute Eberle

Ute Eberle, Jahrgang 1972, lebt als freie Wissenschaftsjournalistin im niederländischen Leiden.

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Vita Ute Eberle, Jahrgang 1972, lebt als freie Wissenschaftsjournalistin im niederländischen Leiden.
Person Von Ute Eberle
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