Meuterei auf der „Amistad“

1839 gelingt Sklaven auf der Schiffspassage von Afrika in die Karibik eine Meuterei. Die Folgen reichen weit: Es ist der Anfang vom Ende der Sklaverei in Amerika

Selten hat ein Schiff einen derartig falschen Namen getragen wie der spanische Schoner „La Amistad“, „Die Freundschaft“. Denn ausgerechnet dieser Segler steht für zynischen Menschenschmuggel, grausamen Spott, mörderische Wut – und für eine der berühmtesten Meutereien der Seefahrtgeschichte gegen eines der ältesten Übel menschlicher Zivilisation: die Sklaverei.

Seit dem 16. Jahrhundert ist die Sklaverei Teil der beginnenden Globalisierung.

In den Südstaaten der USA, in der Karibik sowie in Mittel- und Südamerika schuften Millionen zumeist afrikanischstämmige Unfreie auf Plantagen oder in Bergwerken. Afrikaner werden über Jahrhunderte von europäischen, arabischen und einheimischen Menschenjägern entführt und über den Atlantik verschifft. Und das alles ganz legal.

Erst um 1800 tröpfelt in die Köpfe von Europas und Amerikas Regenten die Erkenntnis, dass die Sklaverei unmoralisch, ja ein Verbrechen und also zu verdammen sei. Das hat, neben manch anderen Ursachen, mit der Französischen Revolution zu tun, die unter der universellen Parole „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ ausgerufen worden ist. 1808 schafft Großbritannien, die führende Großmacht der Epoche, die Sklaverei in allen seinen Territorien ab. Und auf britischen Druck bequemen sich 1808 auch die USA und 1820 Spanien – als Kolonialmacht für den Großteil der Karibik sowie Mittel- und Lateinamerika verantwortlich –, den transozeanischen Sklavenhandel zu verbieten.

Seither ist die Sklaverei gewissermaßen ein zur Hälfte verbotenes und zur Gänze verlogenes Geschäft: Verträge verbieten es, in Afrika Menschen zu kidnappen und nach Amerika zu bringen. In Amerika selbst jedoch bleibt die Sklaverei erlaubt. Sklavenhandel also ist illegal, Sklavenhaltung legal.

Da es Plantagenbesitzer jedoch billiger kommt, erwachsene Afrikaner zu verschleppen, als Nachwuchs auf den eigenen Besitzungen großzuziehen, befeuert dieses Paradox den Menschenschmuggel.

Afrikaner werden weiterhin entführt und nun eben heimlich über den Atlantik gebracht. Sind die Opfer erst einmal in Amerika, kann man sie mit gefälschten Papieren „legalisieren“.

Wie sollen sich die Verschleppten denn wehren? Theoretisch können Kriegsschiffe auf dem Atlantik Sklavenschmuggler aufbringen, deren Kapitänen droht gar die Todesstrafe. Doch Madrid beispielsweise entsendet gerade zwei Patrouillen in den weiten Ozean. Allein der Hafen von Havanna nimmt jedoch jährlich 1500 Schiffe auf – die meisten werden nie kontrolliert. Zudem kümmern sich in der Karibik weder Gouverneure noch Zollbeamte um die Ladung. Zu mächtig sind die Plantagenbesitzer, als dass jemand ernsthaft den Menschenschmuggel unterbinden will. Fast zwei Jahrzehnte währt dieses zynische Spiel nahezu ungestört, bis sich im Sommer 1839 auf der „Amistad“ die Opfer wehren.


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mare No. 143

mare No. 143Dezember 2020 / Januar 2021

Von Cay Rademacher

Cay Rademacher, Jahrgang 1965, lebt als Autor in der Provence. Er hat in Köln und Washington Anglo-Amerikanische Geschichte studiert – und fürchtet manchmal, dass die Urteilsbegründung von 1841 zur „extremen Unterdrückung“ im heutigen Amerika wieder aktuell werden könnte."

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