Lichtgestalten der Tiefsee

Im Dunkel der Ozeane leuchten die Bewohner aus sich heraus. Zur Verständigung, zum Schutz oder zur Jagd

Tausend Meter unter der Meeresoberfläche öffnet das Reich der Finsternis seine unsichtbaren Pforten. Das lebensspendende Licht ist auf dem Weg in die Tiefe längst erloschen. Gebrochen an kräuselnden Wellen oder verschluckt von sonnenhungrigen Kleinstlebewesen, verlieren die Strahlen erst das Rot, dann das Gelb und Grün, später das Blau und am Ende sich selbst. Die Unwirklichkeit des letzten Dämmers weicht spukhafter Schwärze, ewiger Nacht.

Die ersten Menschen, die sich mit Tauchfahrzeugen in die lichtfernen Zonen vorwagten, waren auf das Schlimmste gefasst. Furchterregende Monster, geisterhafte Untote – was würde die eiskalte, nasse Hölle hervorzaubern? Doch das, was die Forscher antrafen, überstieg ihre kühnsten Erwartungen. In der Tiefsee existieren nicht nur lebendige Geschöpfe, viele davon leuchten sogar. Auch William Beebe, einen der Pioniere der bemannten Tiefseeforschung, ließ der Anblick eines solchen Wesens nicht kalt: „Die Körperseiten des Fisches entlang liefen fünf unglaublich schöne Lichtstreifen, einer davon quer durch die Mitte, dazu zwei geschweifte darüber und zwei darunter“, schrieb Beebe im Jahre 1934. „Der Name, den ich ihm gab, lautete ,Der Fünfstreifige Sternbildfisch’. In meinem Gedächtnis wird er als eine der prächtigsten Erscheinungen weiterleben, die mir je zu schauen beschieden war.“ Außer Beebe hat kein Forscher diesen Fisch je wieder gesehen.

Heute, über sechzig Jahre später, ist der schwarze Schleier um die Lichter der Tiefsee ein Stück gelüftet. Mit Hilfe moderner Technik konnten Wissenschaftler die bizarren Leuchtgeschöpfe in ihrem Lebensraum aufspüren und beobachten. Inmitten der frostigen Finsternis verschlug es auch ihnen die Sprache. Sie erblickten schimmernde Wolken und blinkende Lichtsignale. Geisterhände schienen funkelnde Sternschnuppen ins nasse Dunkel zu streuen. Märchenhafte Wesen zogen vorbei, in einen Glitzermantel gehüllt. Ein explodierender Feuerstrahl blendete für Sekunden. Dann lange Zeit wieder nur Schwärze und Unendlichkeit.

„Das Ganze kann einerseits sehr spektakulär aussehen,“ berichtet Peter Herring vom Zentrum für Ozeanographie in Southampton. „Manchmal ist es aber auch einfach so, als ob gar nichts da wäre“, fügt er nüchtern hinzu. Der britische Wissenschaftler ist seit 35 Jahren jedes Jahr ein- bis zweimal mit Forschungsexpeditionen unterwegs, um den Zauber unter Wasser zu enträtseln.

Die wundersame Erscheinung der Biolumineszenz (von griechisch „bios“, Leben, und lateinisch „lumen“, Licht) gibt es nicht nur in der Tiefseewelt. Zu Lande werben Glühwürmchen mit einem leuchtenden Hinterteil um die Gunst des Partners. Auch in den seichteren Gefilden der Ozeane gibt es Organismen, die das Wasser zum Glimmen bringen. Schon im Altertum war das „nächtliche Meeresleuchten“ bekannt. Aber erst vor rund 150 Jahren gelang es den Forschern, den Ursachen für dieses mysteriöse Spektakel auf die Spur zu kommen.

Dafür bedurfte es schon eines genauen Blickes in den nassen Kosmos. Die Lichtquellen sind winzige Einzeller: die Dinoflagellaten. Mit ihren beiden Geißeln strudeln sich diese millimeterkleinen Panzeralgen durchs Wasser, nutzen das oberirdische Licht für Photosynthese und senden ab und zu Lichtblitze aus. Zu den kräftigsten Leuchtern gehört Noctiluca, der oft zahlreich an der Oberfläche des Meeres schwimmt und das Wasser zum Strahlen bringt.

Eindrucksvolle Effekte gibt es in der Natur aber nicht ohne tiefere Bedeutung. Die Evolution hat den Geschöpfen mit dieser Fähigkeit vielmehr eine Waffe an die Hand gegeben, um Feinde zu verwirren. Kleinkrebse, die sich von den Dinoflagellaten ernähren, schrecken auf, wenn sie während ihrer Mahlzeit urplötzlich aus ihrer unmittelbaren Umgebung angeblitzt werden. Den bereits vertilgten Panzeralgen nützt das zwar nichts, aber den Verwandten ringsumher. Dem Krebs vergeht nämlich der Appetit. Im Übrigen muss sich der Angreifer dann mitunter seiner eigenen Haut erwehren. Inmitten der Unterwasserbeleuchtung stellt er für seine eigenen Feinde ein gefundenes Fressen dar – im wahrsten Sinne des Wortes.

So werden einige Krustentiere beleuchtet, andere leuchten selber. Ein recht ungewöhnliches Verhalten zeigt der Muschelkrebs Vargula, und zwar insbesondere kurz nach Einbruch der Dämmerung. Gruppenweise durchstreifen die Männchen das Wasser, wobei eines von ihnen pulsierende Lichtsignale aussendet. Nach welchem Rhythmus dies abläuft, hängt von der genauen Artzugehörigkeit ab. Manche dieser gepanzerten Meeresbewohner haben eine andere Strategie: Sie schwimmen zwar ebenfalls in größeren Pulks umher, leuchten aber gemeinsam – und das sogar synchron. Weibchen scheint das Signalfeuer anzulocken, eine Antwort in der Lichtersprache geben sie jedoch nicht. Anders verhält es sich bei einem anderen Krustentierchen, dem Muschelkrebs Cypridina. Hat sich ein Paar gefunden und kommt es zum Liebesakt, strahlen beide Partner helles Licht aus.


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mare No. 16

No. 16Oktober / November 1999

Von Ute Schmidt

Ute Schmidt, Jahrgang 1966, ist Biologin und arbeitet als freie Journalistin in Solingen. Dies ist ihre erste Veröffentlichung in mare. Zu diesem Thema siehe auch mare No. 13 mit dem Schwerpunktthema „Tiefsee“.

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Vita Ute Schmidt, Jahrgang 1966, ist Biologin und arbeitet als freie Journalistin in Solingen. Dies ist ihre erste Veröffentlichung in mare. Zu diesem Thema siehe auch mare No. 13 mit dem Schwerpunktthema „Tiefsee“.
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Vita Ute Schmidt, Jahrgang 1966, ist Biologin und arbeitet als freie Journalistin in Solingen. Dies ist ihre erste Veröffentlichung in mare. Zu diesem Thema siehe auch mare No. 13 mit dem Schwerpunktthema „Tiefsee“.
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