Lebende Leinwände

Mit ihrer Haut erzeugen Fische eine Sprache aus Farben und Mustern – wie Maler in ihren Bildern

Extravagant die Färbung, kompliziert die Muster, überwältigend die Vielfalt der Fische. Kaum ein anderer Ort der Erde ist so voller Farben wie die Korallenriffe der tropischen Meere. Selbst die europäischen Entdecker, die erstmals die Lebenswelt der Polypenstöcke beschrieben, verloren die ihnen so eigene Zurückhaltung und schwärmten überschwenglich von den Fischen „geschmückt mit polierten Schuppen von Gold, überzogen von Lapis-Lazuli, Rubinen, Saphiren und Amethysten“.

Dabei ist das Design der Riffbewohner nicht entstanden, einen zufälligen menschlichen Beobachter zu erfreuen. Vielmehr steuert jede einzelne Facette einen sinnvollen Beitrag zum Leben im Riff bei. Konrad Lorenz, der bekannteste deutsche Verhaltensforscher, bezeichnete die farbenfrohe Vielfalt der Muster und Zeichnungen als „Plakatfarben“. Für ihn wirken all diese barocken Ornamente der Natur in der gleichen Weise wie Werbeplakate, die eine Botschaft senden. So wird das Riff zum Ort reger visueller Sprache mit Wörtern aus Farbe, Form und Verhalten.

Aber welche Art von Kommunikation, für uns so exotisch wie anfänglich noch rätselhaft, tragen die Fische durch ihre Farben übers Riff? Wie können so viele Arten der Riffbewohner ihre Existenz so dreist jeglichem potentiellen Feind darlegen? Und viel grundlegender: Wie erschaffen sie all die Farben, die wie Kreationen Picassos oder Dalís über den Korallen tanzen – Kunsttechnik der Natur?

Die Gesetze der Physik diktieren, dass beide, die Tiere in der Natur wie die Künstler in den Ateliers, ihre Farben in gleicher Weise erzeugen und beiden Werken die gleichen Eigenheiten von Licht und Farbe zugrunde liegen. Der einzige Unterschied zwischen menschlichem Kunsthandwerk und den Zeichnungen der Fischhaut: Gemälde entstehen aus der Mischung farbiger Pigmente auf einer Leinwand, die Zeichnungen der Fische aber aus lebenden Farben, durch spezielle Hautzellen, die die Lichtstrahlen beeinflussen.

Der sichtbare Teil des Lichtes, das sogenannte „weiße Licht“, enthält elektromagnetische Energie in einem Spektrum von violett bis dunkelrot. Weiß erscheinende Gegenstände – etwa das Federkleid des Reihers oder die glänzende Schneekappe eines Eisbergs – reflektieren die ganze Spanne dieser Wellenlängen. Das tiefe Schwarz des Pantherfells oder der Miesmuscheln hingegen absorbiert fast das gesamte sichtbare Licht. Hell leuchtende Blüten, irisierende Schmetterlinge und farbenfrohe Fische tragen Pigmente, die das meiste Licht bestimmter Wellenlängen absorbieren, während sie gleichzeitig ihre „typischen“ Wellenlängen fast vollständig reflektieren. Rotalgen und gekochte Hummer werfen das rote Licht zurück, während sie grüne, gelbe und blaue Teile des Spektrums absorbieren.

Praktisch alle Färbungen lassen sich in der Malerei durch die Mischung der drei Primärfarben Rot, Gelb und Blau, zusammen mit den entsprechenden Anteilen an Weiß und Schwarz, erzeugen. Wenn auch andere Farben oft hilfreich sind, besonders brillante Resultate zu erschaffen, so reichen die drei Grundfarben in den meisten Fällen doch aus. Die meisten Maler färben zunächst ihre Leinwand weiß. Dies vermindert Ungleichheiten auf dem Trägermaterial und erzeugt, da es nunmehr das ganze Licht reflektiert, Brillanz in den Kontrasten. Darauf werden die unterschiedlichen Farben entweder einzeln oder in Mischungen, verschiedenen Lagen oder als feine Linien oder Punkte aufgebracht. Die einfachsten Mischungen sind uns aus der Kindheit mit Fingerfarben und Wachsmalstiften wohl bekannt: Rot und Gelb ergeben zusammen Orange, Blau und Gelb erzeugen Grün, Rot und Blau verwandeln sich in Lila. Andere, nicht so offensichtliche Tricks sind nicht weniger wichtig für die Künstler. Etwas Schwarz zum Orange sorgt für ein warmes Braun, und erhält die Mischung aus Blau und Rot noch etwas Weiß, entsteht Rosa.

Die Fische hingegen erzeugen ihre weiße Leinwand selbst – aus einer häufigen natürlichen Substanz, der Aminosäure Guanin. In reiner Form bildet Guanin kleine, abgeflachte Kristalle, die das Licht wie mikroskopische Spiegel reflektieren. In der Fischhaut sind diese Kristalle in parallelen Reihen gelagert, so dass das Licht gleichmäßig in alle Richtungen zurückgeworfen wird. Durch diese Lagen von Guanin entsteht das blendende Weiß des Schmetterlingsfisches. Auf diesem glitzernden Hintergrund tragen die Fische – ähnlich den Malern – ihre Lagen anderer Farben auf. Die dunklen Schattierungen werden durch Melanin, ein bräunlich-schwarzes Pigment, erzeugt. Allein durch Schichten von Melanin und Guanin erreichen zahlreiche Arten auffällige und bewundernswerte Zeichnungen in klarstem Schwarz und Weiß.

Auch Menschen besitzen Melanin. Unterschiedliche Mengen dieses Pigmentes bestimmen unsere Hautfarbe, und eine zusätzliche Melaninproduktion als Antwort auf das Sonnenlicht beschert uns die Sonnenbräune. Obwohl das Melanin einem stetigen Auf- und Abbau unterliegt, haben wir doch wenig Kontrolle über unsere Hautfarbe – abgesehen von einem gelegentlichen Sonnenbrand oder der hart erarbeiteten Urlaubsbräune bleiben wir, wie wir geboren wurden. Einige Fische dagegen können ihre Hautpigmente buchstäblich tanzen lassen und erzeugen Farbwechsel so dramatisch wie bunte Neonreklamen.

Denn kleine Melaninkörnchen können in die Ausläufer großer, weit verzweigter Hautzellen wandern, die unter den Fischschuppen liegen. In weniger als einer Minute vermögen die Fische diese Melaninkörnchen zu verlagern. Entweder klumpen die Pigmente zusammen, dann passiert viel einfallendes Licht die Zellen, wird an der weißen Unterschicht reflektiert und zurückgestrahlt – die Haut erscheint hell. Oder die Farbkörner verteilen sich weitläufig in den Zellarmen, absorbieren große Lichtmengen, und die Haut verdunkelt sich. Durch zusätzliche Schichten von Zellen mit gelben, orangen und roten Farbtönen ergänzen die leuchtenden Kaiser- und Papageifische ihr Programm. Dabei nutzen sie, wie Generationen von Malern vergangener Jahrhunderte, pflanzliche, nämlich von Algen produzierte Pigmente. Natürlich kochen und extrahieren Fische die Algen nicht, sondern erlangen die Farbstoffe durch ihre natürliche Nahrung. Während der Verdauung leiten sie die Farbkomponenten in die verantwortlichen Hautzellen um.

Blautöne sind für die Fische schwieriger zu erzeugen. Einige wenige Arten, hauptsächlich Papageifische, können blaue und blaugrüne Pigmente synthetisieren, doch die meisten müssen sich eines optischen Tricks bedienen, quasi eines Spiegels: Sie richten Winkel und Abstand ihrer Guanin-Kristalle gerade so aus, dass einige Wellenlängen des Lichtes dieses Arrangement passieren können, andere aber zurückgespiegelt werden. Das Ergebnis ist ein irisierendes, silbriges Blau.

Als seien diese Farbentricks nicht erstaunlich genug, so dienen sie auch noch einer Vielfalt von Zwecken. Einige Fische müssen sich verstecken und tarnen – entweder, um ihr nächstes Mahl zu erhaschen, oder um zu vermeiden, selber das nächste Mahl zu werden. Diese Arten passen sich so weit wie möglich dem Untergrund an, auf dem sie gerade sitzen. Nun wird jeder Maler bestätigen, wie schwierig es ist, Formen, Farben und Strukturen von Felsen, Sandflächen und Korallenstöcken nachzuahmen oder einen bunten, lebenden Teppich aus Grün-, Rot- und Braunalgen zu imitieren. Und dennoch passen sich die Plattfische heimischer Meere, aber auch die tropischen Seeskorpione so perfekt ihrer Umgebung an, dass selbst erfahrene Taucher sie nicht leicht ausfindig machen.


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 10. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 10

No. 10Oktober / November 1998

Von Frank J. Jochem und Jeffrey L. Rotman

Frank J. Jochem, Jahrgang 1961, ist promovierter Meeresökologe und mare-Wissenschaftsredakteur.

Jeffrey L. Rotman, Jahrgang 1949, zählt zu den bekanntesten amerikanischen Unterwasserfotografen. Gemeinsam berichteten sie in mare No. 4 über die verschiedenen Maulformen der Fische und in No. 6 über das Schwarmverhalten der Fische.

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Vita Frank J. Jochem, Jahrgang 1961, ist promovierter Meeresökologe und mare-Wissenschaftsredakteur.

Jeffrey L. Rotman, Jahrgang 1949, zählt zu den bekanntesten amerikanischen Unterwasserfotografen. Gemeinsam berichteten sie in mare No. 4 über die verschiedenen Maulformen der Fische und in No. 6 über das Schwarmverhalten der Fische.
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Vita Frank J. Jochem, Jahrgang 1961, ist promovierter Meeresökologe und mare-Wissenschaftsredakteur.

Jeffrey L. Rotman, Jahrgang 1949, zählt zu den bekanntesten amerikanischen Unterwasserfotografen. Gemeinsam berichteten sie in mare No. 4 über die verschiedenen Maulformen der Fische und in No. 6 über das Schwarmverhalten der Fische.
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