Lage, Lage, Lage

Kein Alarmismus, vielmehr Stand der Wissenschaft: Der globale Meeresspiegel steigt, mit unübersehbaren Folgen für die Küstenbewohner in aller Welt. Welche Schlüsse sind daraus zu ziehen?

Am 24. Oktober 2012 trifft ein Tropensturm die Karibikinsel Jamaika und hinterlässt große Teile ohne Strom. Der Sturm überschwemmt das benachbarte Haiti mit schweren Regenfällen, 54 Menschen verlieren dort ihr Leben. Doch das ist erst der Anfang. Am 25. überquert der Sturm Kuba als Hurrikan der Kategorie zwei. Am 26. zieht er, abgeschwächt auf Kategorie eins, über die Bahamas. Dann bewegt er sich vor der US-Küste entlang nach Norden und folgt damit der typischen Zugbahn der Hurrikane, die meist nordostwärts über den Atlantik abziehen und sich abschwächen.

Doch der Sturm, genannt „Sandy“, ist kein gewöhnlicher: Mit 1800 Kilometer Durchmesser und der siebenfachen Fläche Deutschlands ist er der größte Hurrikan, der jemals über dem Atlantik beobachtet wurde. Und bereits am 23. Oktober haben die Supercomputer des Europäischen Zentrums für mittelfristige Wettervorhersage dem Sturm eine außergewöhnliche Bahn vorhergesagt: Er werde eine scharfe Linkskurve machen und die US-Küste treffen.

Leider erweist sich diese Prognose als korrekt. Am 29. schlägt „Sandy“ den erwarteten Haken nach Westen; das Auge trifft unweit von New York auf Land. Der Rest ist Geschichte. Manhattan liegt wegen Stromausfall in gespenstischer Dunkelheit da, große Teile stehen unter Wasser. Sieben U-Bahn-Tunnel unter dem East River werden geflutet – die schlimmste Katastrophe in der 108-jährigen Geschichte der Subway. Über 100 000 Häuser werden schwer beschädigt oder zerstört.

Die Verwüstungen durch Supersturm „Sandy“ illustrieren eine der Hauptfolgen des weltweit steigenden Meeresspiegels: Sturmfluten werden deutlich verheeren- der. Dabei sind die letzten zusätzlichen Zentimeter bei einer schweren Sturmflut meist die teuersten, werden davon doch Bereiche einer Stadt betroffen, die sonst sehr selten oder nie überflutet werden und entsprechend unvorbereitet sind.

Wissenschaftler aus New York haben die Sturmflut von „Sandy“ detailliert kartiert und im Computer simuliert. Während der um 20 Zentimeter gestiegene Meeresspiegel die Sturmflut um sieben Prozent erhöht hat, stiegen die Schäden dadurch um 24 Prozent. Die Kosten durch „Sandy“ wurden in der Geschichte der USA nur durch den Hurrikan „Katrina“ übertroffen, der 2005 New Orleans verwüstete.

Anfang November 2013 traf der Tropensturm „Haiyan“ die Philippinen. Bei der folgenden Sturmflut starben mindestens 6300 Menschen. Es war der stärkste gemessene Taifun, der jemals auf Land getroffen ist. Nach einer japanischen Studie hatte die globale Erwärmung seine Spitzenwindgeschwindigkeit um zehn Prozent erhöht. Und er traf ausgerechnet eine Küste, an der der Meeresspiegel seit Mitte des Jahrhunderts weit überdurchschnittlich angestiegen war: nämlich um rund 50 Zentimeter statt der üblichen 15 bis 20 Zentimeter. Ursache dafür war wieder um die Zunahme der Passatwinde im Lauf der letzten Jahrzehnte, die das Meerwasser im Westen des tropischen Pazifiks aufstauen. Beide Faktoren, die Rekordsturmstärke und der gestiegene Meeresspiegel, machten diesen Sturm so tödlich.


Doch weshalb und seit wann steigt das Wasser an unseren Küsten? Lokal gibt es dafür eine Reihe von Ursachen; im globalen Mittel aber ist die Hauptursache die vom Menschen verursachte globale Erwärmung. Durch die zunehmende Erwärmung dehnt sich das Meerwasser aus, und immer rascher schmelzen die Landeismassen: die Gletscher im Gebirge ebenso wie die großen Eisschilde auf Grönland und der Antarktis. Die Eisschilde in Grönland und der Antarktis verlieren inzwischen jährlich eine Eismenge, die einem Mehrfachen der Masse des Mount Everest entspricht. Die Westantarktis ist nach mehreren übereinstimmenden Studien inzwischen bereits destabilisiert: Wahrscheinlich wurde der kritische Punkt überschritten, ab dem der komplette Verlust des Eisschilds zum Selbstläufer wird, der in den folgenden Jahrhunderten zu einem unaufhaltsamen globalen Meeresanstieg um drei Meter führen wird.

Seit dem späten 19. Jahrhundert ist der globale Meeresspiegel um knapp 20 Zentimeter gestiegen. Allein seit 1993, dem Beginn der Satellitenmessung, kamen acht Zentimeter hinzu. Davon stammen 40 Prozent von der Erwärmung und thermischen Ausdehnung des Meerwassers, knapp 30 Prozent vom Verlust von Gebirgsgletschern und ein Viertel vom schwindenden Eis Grönlands und der Antarktis. Schmelzendes Meereis trägt übrigens nicht zum Anstieg bei, da es bereits schwimmt.

Die Geschichte des Meeresspiegels vor Beginn der regelmäßigen Pegelmessungen kann man aus sogenannten Proxydaten entschlüsseln. Dazu gehören vor allem Sedi­mentablagerungen, Korallen und teilweise auch archäologische Daten, wie etwa die Lage von mit dem Meer verbundenen Fischzuchtbecken aus dem Römischen Reich. Zahlreiche solcher Datenreihen aus verschiedenen Weltgegenden wurden kürzlich in einer Studie zu einer globalen Synthese zusammengeführt.


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mare No. 118

No. 118Oktober / November 2016

Von Stefan Rahmstorf und Kadir van Lohuizen

Autor Stefan Rahmstorf, Jahrgang 1960, ist Professor für Physik der Ozeane an der Universität Potsdam und einer der weltweit führenden Meeresspiegelexperten.

Der Niederländer Kadir van Lohuizen, geboren 1963, ist bekannt für seine fotografischen Langzeitprojekte und ist Mitglied der Fotoagentur Noor.

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Vita Autor Stefan Rahmstorf, Jahrgang 1960, ist Professor für Physik der Ozeane an der Universität Potsdam und einer der weltweit führenden Meeresspiegelexperten.

Der Niederländer Kadir van Lohuizen, geboren 1963, ist bekannt für seine fotografischen Langzeitprojekte und ist Mitglied der Fotoagentur Noor.
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