Keine Angst vor Bindung

Eine alte Dame ist die Meisterin von Cajun, der französisch geprägten Küche Louisianas. Ihr winziges Lokal ist legendär

Alzina Toups, auch Chief  genannt, steht in ihrer Küche und erteilt ihrer Enkelin Anweisungen. „Jenny, hol einen Topf für die Shrimps!“ „Jenny, hör nicht auf zu rühren!“

Miss Alzina ist 87 Jahre alt, hat kurze, schlohweiße Haare und kocht, seit sie denken kann. Es ist keine Übertreibung zu sagen, dass sie das kulinarische Gedächtnis ihres Landes ist. Und ihr Land, das ist der Süden Louisianas, das Mississippidelta. Da, wo Shrimps zur Familie gehören. Die Menschen hier leben vom Shrimpfang, wenn sie nicht in der Ölindustrie arbeiten. Zweimal im Jahr ist Saison; einmal für die weißen, einmal für die roten Garnelen. Jetzt gerade gibt es die weißen. Auf einem Blech schmoren sie im Ofen.

Schon als Mädchen hat Alzina ihrer Mutter beim Kochen zugeschaut und sich gemerkt, was die Cajunküche ausmacht. Cajun – so nennt sich die französischstämmige Bevölkerung Louisianas. Und ihre Küche ist eine Mischung aus all den französischen, spanischen und afrikanischen Einflüssen, die hier im Süden, am Golf von Mexiko, zusammenkommen. Dazu gehört etwa Gumbo, ein dicker Eintopf mit Meeresfrüchten, oft mit einer Mehlschwitze als Grundlage. Die verleiht dem Ganzen seine dunkle, satte Farbe. Oder Jambalaya, wofür langkörniger Reis mit Meeresfrüchten geschmort wird, mit Sellerie, Zwiebeln und Paprika. Die Cajunküche begnügt sich mit einfachen Zutaten, aber aus denen macht sie etwas Besonderes.

Und wenn jemand weiß, wie das geht, dann ist das Miss Alzina. Sie ist selbst ein richtiges Cajungewächs. Ihr Vater kam aus Nova Scotia in Kanada nach Louisiana, ihre Mutter aus Portugal. Zu Hause sprachen sie Französisch, man war katholisch, wie die meisten am Mississippi. Neben dem Ofen in Alzinas Küche hängt ein Marienbild, Gott ist hier immer anwesend.

Irgendwann „vor 60 oder 70 Jahren“ begann sie, von Tür zu Tür zu gehen, den Leuten beim Kochen zuzuschauen und die Rezepte zu sammeln. Heute hat sie in ihrem Wohnzimmer ein Bord voller Kladden, 1981 hat sie daraus im Selbstverlag ein Kochbuch gemacht, „Cajun’s joy, cookin’ ’n eatin’“. Noch immer werde es in der nahe gelegenen Stadt verkauft. Ständig komme es vor, dass jemand bei ihr anrufe und frage, wie seine verstorbene Großmutter die Shrimps mit heißer Knoblauchsauce zubereitet habe. Und mit ziemlicher Sicherheit kann Miss Alzina es ihm sagen.

Sie selbst kann schneller als ihr eigener Schatten einen Fisch filetieren und Garnelen pulen sowieso. 20 Jahre lang ist sie mit ihrem Mann im Golf von Mexiko auf Shrimpfang gegangen, eine Männerwelt war das, aber sie hat sich zurechtgefunden. Und als das vorbei war, wollte sie weiterarbeiten. Der Herd im Heim wäre nichts für Miss Alzina gewesen. Also eröffnete sie ein Restaurant. Seit mittlerweile 36 Jahren betreibt sie es in der ehemaligen Schweißerei ihres Sohnes, direkt am Bayou Lafourche gelegen, dem Mississippiarm, an dem sie lebt und an dem ihre Mutter schon mit einem Wurfnetz auf Fischfang gegangen ist. In Miss Alzinas Restaurant kommt man nur mit Anmeldung und nur als geschlossene Gruppe. „Ich möchte, dass meine Gäste für sich sein können, privat“, sagt sie. Meistens ist sie auf Monate ausgebucht. Wer den echten Cajungeschmack probieren will, sollte also rechtzeitig reservieren.

Das Restaurant ist von außen eine fabrikartige, metallverkleidete Halle. Von innen ist es ein fensterloser Raum mit zwei langen Tischen für die Gäste – und mit Miss Alzinas Küche. Jeder Gast kann hier in die Töpfe gucken, es gibt nichts zu verbergen. Ihre Enkelin Jenny hilft inzwischen aus, irgendwann einmal wird sie das Restaurant übernehmen. Die Tradition fortführen – und weiterentwickeln. Jenny hat Pläne: ein Drive-in hinterm Haus, expandieren. Aber solange Miss Alzina hier noch das Regiment führt, bliebt alles beim Alten. Sie misst die Zutaten mit der Hand ab und benutzt am liebsten den alten Ofen, der neue hat ihr zu viele Knöpfe.

Heute hat sich eine Gruppe von Campern angekündigt, 35 Menschen, die sich auf traditionelle Cajunküche freuen. Und was ist das nun, typisch Cajun? An diesem Abend unter anderem Gumbo mit Okraschoten und Shrimps, Ofenshrimps, grüne Bohnen, Amarettosüßkartoffeln, Kuchen mit Zuckerguss. „Einfaches Essen, aber mit Liebe gemacht“, sagt Miss Alzina. „Und mit Salz und Pfeffer.“


Alzinas geröstete Garnelen

Zutaten (für 4 Personen) 
900 g Garnelen, gepult und entdarmt
Olivenöl
50 g Frühlingszwiebeln
5 Knoblauchzehen
4 Esslöffel Butter
60 ml Weißwein
1 Esslöffel frischer Zitronensaft
2 Esslöffel Petersilie
2 gehackte Jalapeñoschoten
Salz und Pfeffer, Brötchen oder Reis.

Zubereitung
Garnelen mit Öl, Salz, Pfeffer marinieren und fünf Minuten bei 200 Grad backen. Frühlingszwiebeln, Jalapeños, Knoblauch in Butter und Öl anbraten, acht Minuten schmoren lassen. Wein, Zitronensaft, Salz, Pfeffer dazugeben und fünf Minuten kochen. Petersilie und Garnelen dazu, weitere drei Minuten kochen.  Auf Brötchen oder Reis servieren.

Alzina’s.
117 E 132nd St, Galliano,  LA, 70354; Tel. +1-985-632-7200.

mare No. 112

No. 112Oktober / November 2015

Von Judith Scholter und Imke Lass

Judith Scholter, Jahrgang 1980, ist in Schweden aufgewachsen und hat schon auf der Schlittschuhbahn gelernt, dass es nicht egal ist, wer sonst noch auf dem Eis ist.
Imke Lass, geboren 1967, lebt in Hamburg und Savannah, Georgia (USA).

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Vita Judith Scholter, Jahrgang 1980, ist in Schweden aufgewachsen und hat schon auf der Schlittschuhbahn gelernt, dass es nicht egal ist, wer sonst noch auf dem Eis ist.
Imke Lass, geboren 1967, lebt in Hamburg und Savannah, Georgia (USA).
Person Von Judith Scholter und Imke Lass
Vita Judith Scholter, Jahrgang 1980, ist in Schweden aufgewachsen und hat schon auf der Schlittschuhbahn gelernt, dass es nicht egal ist, wer sonst noch auf dem Eis ist.
Imke Lass, geboren 1967, lebt in Hamburg und Savannah, Georgia (USA).
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