Insel der Steinreichen

Auf Yap im Pazifik gibt es meterhohe Steingeldmünzen, mit denen man sich heute noch was kaufen kann

Der Linoleumboden des Gerichtssaales in Colonia, der Hauptstadt des Inselstaates Yap im Pazifik, ist bedeckt mit Münzen. Durchaus wertvolle sind es, und sie liegen dort seit Monaten herum. Die Tür ist unverschlossen, jedermann könnte tagsüber unbehelligt eintreten und wieder verschwinden. Doch ist noch niemand auf die Idee gekommen, die Geldstücke einfach mitgehen zu lassen. Er hätte nicht viel davon. Kein Unbefugter könnte sich damit etwas kaufen. Die Insel ist klein, die Münzen sind groß, sodass die Besitzverhältnisse allseits bekannt sind. Und überhaupt: Das Hartgeld ist von solchem Gewicht, dass ein Mensch allein es nur schwerlich bewegen könnte.

Zwei Männer allerdings hatten sich vor einigen Jahren an diesen Münzen vergriffen. Deshalb werden die beiden in diesem Saal auch bald ihrem Richter gegenübersitzen. Ihr Vergehen: versuchter Export von Münzgeld, auf Yap streng verboten. Corpora delicti: elf „Raay“, wie das einzigartige Geld dieser Südseeinsel heißt. Es handelt sich um Steinscheiben, um Monolithe, man könnte sagen: Moneylithe. Jede hat einen Durchmesser von etwa einem Meter und ein Loch in der Mitte.

Gut vier Jahre ist es her, dass die beiden Angeklagten, ein Yapese und ein US-Bürger, versuchten, die Geldstücke außer Landes zu schaffen. Das Exportverbot auf Yap wird streng ausgelegt – kein Wunder, die Steingiganten erfüllen nach wie vor ihre Geld-Funktion. Unkontrollierte Ausfuhr könnte den Kreislauf ins Stocken bringen, Neuprägungen gibt es nicht. Doch was das Vergehen zu einem schweren Frevel machte: Der yapesische Tatverdächtige ist Sohn des persönlichen Medizinmannes der drei obersten Häuptlinge.

Ein Fluch liegt seither über dem Lande Yap. Das meinen viele in Colonia und den Dörfern ringsum. Warum sonst hätte gleich im Tatjahr 1996 der Taifun „Fern“ die Insel verheert? Schlimme Dinge passierten seither. Im August 2000 wurde sogar der oberste Richter von seinem eigenen Sohn erschlagen. Was unter anderem zur Folge hatte, dass sich der Prozess um die Münzschieberei erheblich verzögerte. Ein neuer Richter muss sich erst in den Fall einarbeiten. Wollten die Götter nicht, dass sich ein weltliches Gericht des Verbrechens annimmt? Der Vatermörder gilt als geisteskrank und darf deshalb in Colonia noch heute frei seiner Wege gehen.

Es ist eine besondere Insel im Archipel der Karolinen im Westpazifik: Yap, Teilstaat der Föderation von Mikronesien. 9000 Einwohner leben dort in Kasten und Dorfgemeinschaften organisiert, mit komplizierten Abhängigkeitsverhältnissen, die für Außenstehende undurchschaubar sind. Kaum ein Yapese kann sich einfach in seinem Land frei bewegen. Vielfältige Tabuzonen und Vorrechte sind zu beachten, Privatbesitz ist heilig.

Was die Insel aber einzigartig macht, ist ihr Steingeld. Fehltritte, Missetaten, Tabubrüche sind in Yap schnell begangen. Allfällige Bußgeldzahlungen erfolgen mit Raay. Auch sonst werden viele Knoten des insularen Beziehungsgeflechtes durch diese gewichtigsten Münzen der Welt gehalten. Viele sind mannshoch, die größte misst 3,60 Meter. Whiskey, Dosenspaghetti und Radiobatterien im Supermarkt sind mit Dollars zu bezahlen. Aber wer eine Hochzeit ausrichtet, ein Haus, Land oder anderes fürs Leben braucht, hat ohne sie wenig zu bestellen.

Nicht immer werden die Steinräder beim Besitzerwechsel bewegt, oft bleiben sie am Standort, vor allem die schwereren. Viele sind im Urwald von Wurzeln überwachsen und blieben dort, obwohl das Dorf nebenan längst aufgegeben ist. Doch die Besitzverhältnisse sind geklärt. Und keine Währungsreform in den letzten zwei Jahrtausenden hat den Wert der Ungetüme gemindert. In den letzten 100 Jahren zählten die Raay zu den Valuten mit dem weltweit stabilsten Binnenwert.

Simpel ist der Grund, der sie so hoch im Kurs stehen lässt: Die 6500 Geldstücke, die heute auf Yap stehen, sind nicht nur mit ungeheurem Aufwand hergestellt. Sie haben auch einen weiten und beschwerlichen Seeweg hinter sich. Die Münzstätte, der Steinbruch, aus dem sie gemeißelt wurden, liegt auf Palau, einer Insel 400 Kilometer südwestlich.

Die Anfänge des Steingeldes verlieren sich in Legenden und Mythen. Danach hatte einst ein gewisser Anagumang, ein Seefahrer, seiner Mannschaft aufgetragen, in Palau einen Fisch aus Stein zu formen. Was ihm dann aber aus Aragonit, dem kristallinen Kalksandstein dieser Insel, gehauen wurde, stellte den polynesischen Argonauten nicht zufrieden. Nun wollte er lieber einen Vollmond. So kam es zur Form des Raay.

Wann die erste Münze tatsächlich gefertigt wurde, ist unklar. Immerhin konnten Archäologen ein Geldstück auf das Jahr 125 nach Christus bestimmen. Spätestens in diesem Jahr also begannen die Yapesen mit unglaublichem Eifer mit der Herstellung und dem Transport von Raay, der bis vor gut 60 Jahren anhielt. Schätzungen gehen auf über 20000 Stück, die die Insulaner in Palau fertigten.


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mare No. 24

No. 24Februar / März 2001

Von Ulli Kulke und Robert Voit

Ulli Kulke, Jahrgang 1952, ist stellvertretender mare-Chefredakteur. Zuletzt schrieb er über „Die Radlosigkeit der Weltgeschichte“ (in Heft 20). Der Yap-Besuch wird auch in mare-tv zu sehen sein (siehe S. 129).

Robert Voit, geboren 1969, schlug bei der Arbeit auf Yap das Angebot eines Häuptlings aus, ihn zu adoptieren und ihm Land zu geben. In No.18 erschienen seine Fotos vom Arsenal in Venedig

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Vita Ulli Kulke, Jahrgang 1952, ist stellvertretender mare-Chefredakteur. Zuletzt schrieb er über „Die Radlosigkeit der Weltgeschichte“ (in Heft 20). Der Yap-Besuch wird auch in mare-tv zu sehen sein (siehe S. 129).

Robert Voit, geboren 1969, schlug bei der Arbeit auf Yap das Angebot eines Häuptlings aus, ihn zu adoptieren und ihm Land zu geben. In No.18 erschienen seine Fotos vom Arsenal in Venedig
Person Von Ulli Kulke und Robert Voit
Vita Ulli Kulke, Jahrgang 1952, ist stellvertretender mare-Chefredakteur. Zuletzt schrieb er über „Die Radlosigkeit der Weltgeschichte“ (in Heft 20). Der Yap-Besuch wird auch in mare-tv zu sehen sein (siehe S. 129).

Robert Voit, geboren 1969, schlug bei der Arbeit auf Yap das Angebot eines Häuptlings aus, ihn zu adoptieren und ihm Land zu geben. In No.18 erschienen seine Fotos vom Arsenal in Venedig
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