Humboldtkalmar: Der Rote

In den Häfen der Cortezsee heißt der Kopffüßer nur „roter Teufel“: weil seine Haut rot leuchtet, wenn er sich aufregt – dann ist er das gefährlichste, gefräßigste Weichtier überhaupt

Killer-Kalmar! Roter Teufel! Tödliche Tentakel! – Fernsehdokumentationen über den Humboldtkalmar sparen nicht mit reißerischem Vokabular. Dosidicus gigas, wie der Tintenfisch wissenschaftlich heißt, eignet sich aber auch zu gut für eine TV-gerechte Verklärung zur artgenossen- und menschenfressenden Bestie. Denn die zentnerschweren Kopffüßer verbringen den Großteil ihres Lebens in mehreren hundert Meter Wassertiefe, wo sie sich dem Forscherblick weitgehend entziehen und so der Legendenbildung Vorschub leisten.

Humboldtkalmare sind Raubtiere, große Raubtiere. Wie groß die Jumbos tatsächlich werden, ist allerdings umstritten und wegen der langen, dehnbaren Tentakel auch nicht leicht zu messen. Die zuverlässigste Längenangabe für einen Kalmar bezieht sich auf den Mantel, jene muskuläre Hülle, welche die inneren Organe enthält und, senkrecht zur Körperachse geschnitten, die gummiartigen Calamari-fritti-Ringe liefert. Im Fall des Humboldtkalmars glichen solche Ringe eher Schwimmreifen: Ihr Mantel kann über einen Meter lang werden, zusammen mit dem daraus hervortretenden Kopf und den Fangarmen messen große Exemplare leicht zwei Meter, manche sollen auch noch deutlich größer werden.

Damit ist er zwar immer noch um einiges kleiner als die gigantischen Riesenkalmare der Tiefsee. Deren größter, der Gallertkalmar Mesonychoteuthis hamiltoni, bringt es vermutlich auf Mantellängen von vier und Gesamtlängen von bis zu 15 Metern. Doch diese Kolosse verbringen ihr gesamtes Leben in der Tiefsee des Süd-polarmeers. Sichtungen sind so rar, dass der Wissenschaft erst wenige komplette Exemplare bekannt sind. Dosidicus gigas, der Humboldt- oder Jumbokalmar, dagegen kommt regelmäßig an die Wasseroberfläche. Humboldt heißt der Kalmar, weil er in der kalten Meeresströmung vor der Westküste Südamerikas zu Hause ist, die nach dem berühmten deutschen Naturforscher benannt ist.

Anders als ihre nächsten Verwandten, die Sepien und Kraken, sind die meisten Kalmare ausdauernde Schwimmer und mit ihren kräftigen Flossen an ein Leben im offenen Meer angepasst. Soll es besonders schnell gehen, schalten sie auf Düsenantrieb. Dabei wird das in der Mantelhöhle befindliche Wasser mit Hochdruck durch den Siphon, eine Art drehbarer Rückstoßdüse, gepresst.

An die Grenzen seines Lebensraums stößt der hoch mobile Humboldtkalmar dort, wo der Nährstoffgehalt des Wassers eine kritische Grenze unterschreitet.

Denn von den gelösten Nährstoffen, allen voran Phosphor, hängt die Menge des pflanzlichen Planktons ab. Dieses bildet die Basis der ozeanischen Nahrungspyramide, an deren Spitze neben großen Raubfischen und Meeressäugern auch der Humboldtkalmar jagt. Und der Jumbo-Squid, wie ihn die Amerikaner nennen, braucht viel Futter: täglich rund zehn Prozent seines eigenen Gewichts. Damit wächst er in seinem nur ein bis zwei Jahre währenden Leben von einer wenige Milligramm schweren Larve zu einem Kaventsmann von 50 Kilogramm Lebendgewicht heran – ein menschliches Neugeborenes müsste in der gleichen Zeit zur Größe eines erwachsenen Blauwals heranwachsen, würde es mit demselben Tempo wachsen.

Auf dem kurzen Weg zum Erwachsenenalter fressen sich die Tiere durch das komplette Nahrungsangebot des Ozeans, angefangen bei tierischem Plankton über Krill und Sardinen bis hin zu größeren Fischen. Die Beute wird nach der allen Kalmaren und Sepien eigenen Methode erlegt: Der Jäger schleicht sich dicht an sein Opfer heran, dann schießen die beiden langen, mit kräftigen Saugnäpfen bestückten Fangarme nach vorn. Die Tentakel packen die Beute und ziehen sie blitzschnell in den Kranz der acht kürzeren, aber dafür noch stärkeren Arme.

Spätestens jetzt gibt es kein Entkommen mehr: Mehr als 1000, mit scharfen Chitinzähnen bestückte Saugnäpfe halten auch den glitschigsten Fisch fest und bugsieren ihn zu den ebenfalls aus Chitin bestehenden Mundwerkzeugen im Zentrum des Armkranzes. Der Kalmarschnabel, der äußerlich dem eines Papageien ähnelt, reißt mit seinen geriffelten Schneideflächen, die wie bei einer Geflügelschere ineinandergreifen, große Stücke aus der Beute und befördert sie in den Schlund.

Auf diese Weise machen die Tiere Jagd auf alles, was nur irgendwie ins Beuteschema passt. Besonders häufig erwischt es Laternenfische, deren fast 250 bekannte Arten in der Zone zwischen 300 und 1000 Meter Meerestiefe den Großteil des beschuppten Lebens ausmachen – ihre Leuchtorgane machen sie für die Tinten-fische zur leichten Beute.

In den Mägen gefangener Humboldtkalmare finden sich neben Fischen und Krustentieren aller Art aber auch Überreste anderer Kopffüßer, darunter regelmäßig Angehörige der eigenen Art. Diese kannibalistische Ader trägt zum schlechten Ruf von Dosidicus gigas bei, der von lateinamerikanischen Fischern auch als Diabolo Rojo, roter Teufel, bekannt ist.


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mare No. 62

No. 62Juni / Juli 2007

Von Georg Rüschemeyer und Ivo Kocherscheidt

Der Biologe Georg Rüschemeyer kennt die roten Teufel nur aus der Literatur und vom Fernsehschirm.

Fotograf Ivo Kocherscheidt besuchte sie in ihrem Reich, der Cortezsee. Glück für den Österreicher, dass die Kalmare sich gerade rar machten und nicht im Schwarm auf ihn losgingen.

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Fotograf Ivo Kocherscheidt besuchte sie in ihrem Reich, der Cortezsee. Glück für den Österreicher, dass die Kalmare sich gerade rar machten und nicht im Schwarm auf ihn losgingen.
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