Hitfabrik mit Fischgeruch

Ein Shantychor wie viele andere – und doch gefeierte Stars mit Golde­nen Schallplatten und Tourneen. In Cornwall ist das möglich

Am Hafen von Port Isaac steht ein windschiefes Gebäude aus verwittertem Granit, „Fish Cellars“ genannt, erbaut im 19. Jahrhundert, jünger als die meisten anderen Häuschen in dem kleinen Ort an der Nordküste Cornwalls. Vorne ist der winzige Laden der örtlichen Fischerkooperative untergebracht, im Hinterhof rumpelt es. Ein Mann in Ölzeug schiebt Kisten mit Hummer hin und her, sortiert die Fänge nach Größe, wirft sie in Hälterbecken mit frischem Seewasser. Jeremy Brown, 51, Skipper der „Free Spirit II“, ist so in die Arbeit vertieft, dass er die nahende Gefahr nicht bemerkt. Ein Mann mit Shorts und Sonnenhut betritt den Hinterhof, geht auf ihn zu, hebt seine schillernd rote Kamera, fragt „Sind Sie nicht …?“ und feuert einen Blitz ab. „Ja, aber im Moment muss ich leider arbeiten“, versucht Jeremy zu antworten. Doch die Erscheinung ist schon wieder verschwunden. Der Skipper reibt sich nachdenklich die Nasenspitze. „Ob du nun Fischer bist oder Popstar, hat alles seine Nachteile.“ Tatsächlich ist Jeremy Brown beides: Herr über 1200 Hummertöpfe. Und Besitzer einer Goldenen Schallplatte.

Jeremy steht als Einsänger der Shantygruppe Fisherman’s Friends auf der Bühne. Seit 2010, dem Jahr ihres Durchbruchs, haben die Fisherman’s Friends eine Top-Ten-Platte produziert, über 100 Konzerte gegeben, für einen Dokumentarfilm der renommierten Ealing Studios posiert und ein opulentes Buch über sich selbst herausgebracht, „Sailing at Eight Bells“. 2011 erhielten sie den BBC 2 Folk Award. Die Jungs vom Fischerchor – in wechselnder Besetzung von neun bis elf Mann stark und gemeinsam fast 600 Jahre alt – singen schon seit Mitte der 1990er Jahre zusammen. Jeden Mittwoch trafen sie sich in der Töpferei von Billy Hawkins zum Üben, jeden Freitagabend im Sommer schmetterten sie ihren Männergesang von der sanft abfallenden Betonfläche am Hafen, die sie hier „The Platt“ nennen, hinaus aufs Meer. Sie hatten auch schon CDs aufgenommen und selbst vertrieben, mit bescheidenem Erfolg. Und wäre es dabei geblieben, hätte sich keiner beschwert. Port Isaac, das schöne Hafenstädtchen, lockt das ganze Jahr über Touristen an und ermöglicht seinen Bewohnern ein gutes Auskommen.

Doch im Sommer 2009 sollte es zu einem Ereignis kommen, das das geregelte Leben der Männer in kürzester Zeit durcheinanderwirbelte. Es ist eine schöne Geschichte. So schön, wie sie nur das Leben, eine britische Boulevardzeitung oder die PR-Abteilung einer Plattenfirma schreibt: Rupert Christie, gefragter Musikproduzent, Arrangeur, Songwriter (unter anderen für U2, Coldplay, Kate Bush und Lou Reed), erholt sich an einem Wochenende von seiner anstrengenden Arbeit im „Slipway Hotel“ in Port Isaac. Er hat die Meersuite gebucht, es ist Freitag, das Fenster ist offen, vielleicht hat er einen Gin Tonic in der Hand. Plötzlich hört er tiefen, vielstimmigen Männergesang vom Hafen herüberwehen: „A drop of Nelson’s blood wouldn’t do us any harm!“

Es rührte ihn wie ein Donnerschlag, gibt er später der Presse zu Protokoll. In diesem Moment wusste er: „Das wird das nächste große Ding!“ Er nimmt Kontakt mit der Truppe auf, unterbreitet ihr die Vorschläge mehrerer großer Plattenfirmen. Die Fisherman’s Friends unterzeichnen bei Island Records. Unterstützt werden sie dabei vom legendären BBC-DJ Johnnie Walker – der war ganz zufällig am gleichen Wochenende in Port Isaac wie Rupert Christie. Es sind schon eine Menge Zufälle. Wenig später stehen in den Zeitungen Schlagzeilen wie diese: „Cornish fishermen net £1m record deal!“

„Das muss man sich einmal vorstellen: eine Million Pfund!“, sagt Jeremy und lacht laut. Er hat jetzt Feierabend, sprintet so, wie er vom Kutter kam, in gelbem Ölzeug und schmierigem Wollpulli, hinüber zur „Platt“. Dort warten die Freunde schon, mit ein paar Bieren vom „Mote“, der Hafenbar nebenan. Zwischen hohen Stapeln von Hummerkörben haben sie Bänke aufgestellt. Es riecht intensiv nach Hafen, ein bisschen faulig, salzig, mit einer Spur von Dieseldunst.

Die Fisherman’s Friends, das sind Jeremys Brüder Julian und John – Ersterer hat seinen Hummerkutter im nahen Padstow liegen; Letzterer war 27 Jahre bei der Rettungsbootcrew, er fährt mittlerweile nur noch Touristen zum Makrelenfischen hinaus und verdient seinen Lebensunterhalt mit Ferienwohnungen. Dann sind da noch Peter Rowe, Exfischer, Exhafenmeister, mittlerweile 78 Jahre alt, Rentner und ein Freund der Blumen. Außerdem Jon Cleave, mit Walrossbart und Prinz-Heinrich-Mütze, ehemaliger Polizist, Kinderbuchautor und Andenkenladenbesitzer. Der Töpfer Billy Hawkins hat heute keine Zeit, und John McDonnell ist noch beim Dachdecken. Dafür sind Zimmermann Trevor Grills und Cafébetreiber Nigel Sherratt gekommen. Alle kennen sich eine Ewigkeit, alle stammen aus der Umgebung. Einzig der Bauer John Lethbridge wird manchmal wie ein Außenseiter behandelt. Schließlich wohnt er fünf Kilometer von der Küste entfernt, er riecht eher nach Sau als nach Sardine.


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mare No. 95

No. 95Dezember 2012 / Januar 2013

Von Andreas Beerlage und Achim Multhaupt

Andreas Beerlage, Jahrgang 1965, freier Journalist aus Hamburg, hat in mare No. 36 über eine Familie von Strandsuchern an Cornwalls Küste geschrieben. Seitdem zieht es ihn regelmäßig dahin zurück.

Fotograf Achim Multhaupt, geboren 1967, war begeistert von der rauen Herzlichkeit und dem Humor der Sänger. Er hat einige Erfahrung mit Seebären: Für die mare-Kolumne Hier spricht der Kapitän hat er von 2006 bis 2008 Schiffsführer fotografiert.

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Vita Andreas Beerlage, Jahrgang 1965, freier Journalist aus Hamburg, hat in mare No. 36 über eine Familie von Strandsuchern an Cornwalls Küste geschrieben. Seitdem zieht es ihn regelmäßig dahin zurück.

Fotograf Achim Multhaupt, geboren 1967, war begeistert von der rauen Herzlichkeit und dem Humor der Sänger. Er hat einige Erfahrung mit Seebären: Für die mare-Kolumne Hier spricht der Kapitän hat er von 2006 bis 2008 Schiffsführer fotografiert.
Person Von Andreas Beerlage und Achim Multhaupt
Vita Andreas Beerlage, Jahrgang 1965, freier Journalist aus Hamburg, hat in mare No. 36 über eine Familie von Strandsuchern an Cornwalls Küste geschrieben. Seitdem zieht es ihn regelmäßig dahin zurück.

Fotograf Achim Multhaupt, geboren 1967, war begeistert von der rauen Herzlichkeit und dem Humor der Sänger. Er hat einige Erfahrung mit Seebären: Für die mare-Kolumne Hier spricht der Kapitän hat er von 2006 bis 2008 Schiffsführer fotografiert.
Person Von Andreas Beerlage und Achim Multhaupt