Gesprächig wie ein Fisch

Fische sind alles andere als stumm, haben Forscher nachgewiesen. Sie behaupten sogar: Fische sind wahre Kommunikationsgenies

Johannes Kinzer war irritiert. Was für ein Grollen drang da plötzlich an seine Ohren? Ein Gewitter? Der Himmel war wolkenlos. Als er seine Wohnung nach der Geräuschquelle absuchte, machte er eine verblüffende Entdeckung: Der Lärm schien aus dem Aquarium zu kommen. Steckten tatsächlich die Schwarzgrundeln dahinter? Kleine, unscheinbare Bodenfische aus dem Mittelmeer?

Inzwischen sind mehr als 60 Jahre vergangen, seit Kinzer erstmals Fische sprechen hörte. Damals, in den späten 1940er Jahren, studierte er in Berlin Biologie. Wie fast alle Menschen war er überzeugt, dass Fische stumm seien. Doch es gelang ihm, die Stimmen seiner Schwarzgrundeln (Gobius niger) auf Tonband festzuhalten. „Ich steckte einfach ein Mikrofon in einen Plastikbeutel und ließ es am Kabel ins Becken hinunter“, erzählt der heute 84-Jährige. Hochwertigere Aufnahmegeräte schützte der emeritierte Professor für Meeresbiologie der Universität Kiel später mit Gehäusen aus Plexiglas, und er belauschte immer mehr Fischarten.

Die geheimnisvolle Sprache der Tiere sollte ihn sein gesamtes Forscherleben lang nicht mehr loslassen. Was vor Jahrzehnten aus seinem Aquarium schallte, waren tatsächlich Lockrufe von Schwarzgrundelmännchen, weiß Kinzer heute. Mit sehnsuchtsvollen Brummtönen versuchen sie im Sommer, zur Laichzeit, Weibchen in ihre Höhle zu lotsen. „Aber auch viele weitere Fischarten sind sehr mitteilsam“, sagt er und lässt nun die Lippen flattern wie ein Kind, das einen Motor nachahmt. „Brrrrr! So ruft zum Beispiel das Knurrhahnmännchen.“ Was diesen Fischen wohl auch zu ihrem Namen verholfen hat. Umständlich legt der Wissenschaftler einen Tonträger in die Stereoanlage ein und drückt die Play-Taste. Ein sphärisches Bellen wie aus einer anderen Welt erfüllt den Raum: „Bou-bou-bou-bou.“ So klingen Seeskorpione, nachtaktive Raubfische aus dem Nordatlantik. Dann spielt Kinzer die Laute eines Schwarzen Zackenbarschs vor. Sie hören sich an wie ein Trommelwirbel. Wir lauschen den Rufen eines Atlantischen Krötenfischs, auch Austernfisch (Opsanus tau) genannt, wehmütige Töne, die an ein Nebelhorn erinnern. „Schön, nicht wahr?“, sagt der Meeresbiologe versonnen. Nicht umsonst würden diese Krötenfische auch „Meistersänger“ genannt.

In den frühen 1960er Jahren brachten Kinzer seine Studien zur Sprache der Fische eine Einladung nach Washington, D.C., ein. Kinzer sollte seine Erkenntnisse den Fachleuten des Marineforschungsamts, des Office of Naval Research, präsentieren. Denn die Militärs hatten ein Problem: Bei Seeschlachten funkten ihnen häufig Fische dazwischen. Während des Zweiten Weltkriegs etwa, im Frühjahr 1942, rechnete die US Navy mit einem U-Boot-Angriff der deutschen Kriegsma- rine. Unterwassermikrofone hatten nachts verdächtige Motorengeräusche aufgezeichnet. Doch die Attacke blieb aus – und viele Jahre später stellte sich heraus, dass wahrscheinlich flirtende, singende Umberfische, auch Trommler genannt, den Lärm erzeugt hatten. In der Folge begannen Marineoffiziere, Fischschwärme gezielt zu nutzen, um die Geräusche ihrer U-Boote akustisch zu tarnen. „Auch die Sowjets meldeten sich bei mir und wollten, dass ich für sie arbeite“, erzählt Kinzer.

Inzwischen ist der Kalte Krieg Geschichte, die Militärtechnik hat sich gewandelt, aus den Einzelleistungen von Pionieren wie Johannes Kinzer aber ist eine etablierte Forschungsrichtung erwachsen: die Hydrobioakustik. Welche Sprechwerkzeuge nutzen Fische? Wie breiten sich Schallwellen im Wasser aus? Wie gut hören Fische und Meeressäuger?

Solche Fragen stellen sich die Vertreter dieser jungen Disziplin. Der Zoologe Friedrich Ladich hat im Department für Verhaltensbiologie der Universität Wien, einer Hochburg der Hydrobioakustik, bereits die Lautäußerungen von rund 30 Fischarten genauer untersucht. Bei manchen benötigte er dazu nicht einmal ein Unterwassermikrofon. „Hören Sie selbst“, sagt er und fischt mit einem Kescher einen mittelgroßen, braun-weiß gestreiften Wels aus einem der Becken. Der Fisch, ein Liniendornwels, versucht zu fliehen und lässt dabei ein heiseres Krächzen verlauten.

„Fische sind wahre Kommunikationsgenies“, sagt der Forscher. Manche teilen ihre Absichten über Farbveränderungen mit. Andere setzen auf Duftstoffe, wieder andere auf elektrische Signale – und sehr viele auf Töne. Die wichtigsten Funktionen der akustischen Fischsprache seien Partnerwerbung und Reviermarkierung. Doch wenn Fische im Wasser lärmen, könne es sich auch um Territorialkämpfe oder die Warnung vor Gefahr handeln. Experten unterscheiden zwischen Lockrufen, Alarm- tönen, Kriegsgeschrei und einem breiten Repertoire an Liebesliedern.


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mare No. 95

No. 95Dezember 2012 / Januar 2013

Von Till Hein und Julie Sodré

Till Hein, Jahrgang 1969, ist ein Freund der Fische und ihrer vielfältigen Begabungen. Für mare hat er auch bereits erkundet, dass manche Flossentiere zählen und logisch denken können – und ein besseres Gedächtnis haben als er (mare No. 72).

Illustratorin Julie Sodré, geboren 1978 in Rio de Janeiro, lebt seit zehn Jahren in Deutschland. Sie zeichnet vorzugsweise Tieren und Pflanzen, hat viele Kindersachbücher bebildert und unterrichtet an der HAW Hamburg. Von sprechenden Fischen aber hatte sie noch nie gehört.

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Vita Till Hein, Jahrgang 1969, ist ein Freund der Fische und ihrer vielfältigen Begabungen. Für mare hat er auch bereits erkundet, dass manche Flossentiere zählen und logisch denken können – und ein besseres Gedächtnis haben als er (mare No. 72).

Illustratorin Julie Sodré, geboren 1978 in Rio de Janeiro, lebt seit zehn Jahren in Deutschland. Sie zeichnet vorzugsweise Tieren und Pflanzen, hat viele Kindersachbücher bebildert und unterrichtet an der HAW Hamburg. Von sprechenden Fischen aber hatte sie noch nie gehört.
Person Von Till Hein und Julie Sodré
Vita Till Hein, Jahrgang 1969, ist ein Freund der Fische und ihrer vielfältigen Begabungen. Für mare hat er auch bereits erkundet, dass manche Flossentiere zählen und logisch denken können – und ein besseres Gedächtnis haben als er (mare No. 72).

Illustratorin Julie Sodré, geboren 1978 in Rio de Janeiro, lebt seit zehn Jahren in Deutschland. Sie zeichnet vorzugsweise Tieren und Pflanzen, hat viele Kindersachbücher bebildert und unterrichtet an der HAW Hamburg. Von sprechenden Fischen aber hatte sie noch nie gehört.
Person Von Till Hein und Julie Sodré