Fabelhafte Schleimer

Der unscheinbare Schleimaal kann etwas Einzigartiges, was Forscher fasziniert. Jetzt ist er Objekt ihres wissenschaftlichen Interesses

Der Hai wittert Beute. Lautlos schwimmt er auf einen Aal zu und reißt sein Maul auf. Doch als er zubeißen will, schießt ihm eine gallertartige Masse in den Rachen. Irritiert versucht der Raubfisch, den zähflüssigen Glibber auszuspucken – und dem Schleimaal gelingt die Flucht.

„Super Trick, oder?“, sagt Lukas Böni und grinst, als er die Stopptaste drückt. Der Forscher von der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich hat das Video schon unzählige Mal gesehen. Immer ist er aufs Neue beeindruckt. Was die Schleimer der Tiefsee für Lebensmittelverfahrenstechniker wie ihn so attraktiv macht: Sie sind Minimalisten. Wenige Tropfen Geliermittel reichen ihnen aus, um riesige Mengen Glibber zu erzeugen. Die schwabbelige Masse, mit der sie Angriffe von Raubfischen zurückschlagen, besteht zu fast 100 Prozent aus Wasser. „Bis heute ist es Menschen nicht gelungen, ein auch nur annähernd so starkes Bindemittel für Flüssigkeiten zu entwickeln“, sagt Böni.

Seit mehr als 300 Millionen Jahren gibt es Schleimaale. Sie haben den großen Meteoriteneinschlag vor 66 Millionen -Jahren überlebt sowie mehrere Eiszeiten. Jetzt wollen Produktentwickler von diesen schlangenartigen Wesen lernen. Sie träumen schon von einem Supergeliermittel. „Zuerst aber müssen wir noch genauer verstehen, was das Sekret dieser Tiere so leistungsfähig macht“, sagt Böni, „und wie es sich konservieren lässt.“

Trotz ihrer für Aale typischen lang gezogenen Körperform gehören Schleimaale nicht zu dieser Gattung. Aale sind Knochenfische, Schleimaale dagegen zählen zu den Wirbellosen und haben nur im Mundbereich verhärtete Teile. In erster Linie ernähren sie sich von Aas. „Als eine Art Totengräber der Meere erfüllen sie eine wichtige ökologische Aufgabe“, sagt Böni. Fischer aber hassen Schleimaale. Denn häufig schlüpfen sie durch die Maschen von Reusen, kriechen den darin gefangenen Fischen in die Kiemen und fressen sie von innen auf. Oft ziehen Fischer am Ende nur noch die leeren Hüllen ihres Fangs aus dem Wasser.

Der wirtschaftliche Nutzen der Schleimaale fällt bescheiden aus. Immerhin: Bereits die alten Römer verarbeiteten ihre Haut zu Peitschenschnüren. Und bis heute werden aus diesem „Leder“ Geldbörsen, Gürtel, Schuhe, Handtaschen und Stiefel hergestellt. George W. Bush etwa trug am 20. Januar 2001 bei seinem Amtsantritt als US-Präsident Schuhe aus Schleimaal-leder.

Lukas Böni, der zum Team um Peter Fischer, Professor für Lebensmittelverfahrenstechnik der ETH, gehört, interessiert sich nicht für die Haut, sondern für das Sekret dieser Tiere. Mit Projektpartnern vom Aquarium Atlantic Sea Park im norwegischen Ålesund fährt er regelmäßig in die Fjorde hinaus, um Schleimaale der Art Myxine glutinosa zu fangen.

Der Forscher klickt ein weiteres Video an. Etwa 80 Meter tief lassen die Männer mit Fischabfällen gefüllte löchrige Kanister an dicken Seilen auf den schlammigen Meeresgrund hinab. Kaum hat ein Kanister den Meeresboden erreicht, kriechen erste Schleim-aale aus dem Schlamm und schlüpfen durch die Öffnungen in das Behältnis. „Sie haben eine sehr feine Nase“, sagt Böni. Als die Männer die Kanister später an Bord ihres Motorboots hieven, winden sich die schmutzig-rosafarbenen Schleim-aale heraus und wuseln übers Deck. Viele hundert Stück sind es, bis zu 60 Zentimeter lang. Der Transport bis in die Schweiz wäre mit zu viel Stress verbunden. „Die Tiere könnten dabei so viel schleimen, dass sie selbst daran ersticken“, sagt Böni. „Aber man kann sie melken.“


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mare No. 133

No. 133April / Mai 2019

Von Till Hein

Till Hein, Jahrgang 1969, Wissenschaftsjournalist in Berlin, erfuhr bei der Recherche, dass manche Forscher vermuten, der letzte gemeinsame Vorfahre aller heutigen Wirbeltiere – also auch des Homo sapiens – sei eine Art Urschleimaal gewesen.

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Vita Till Hein, Jahrgang 1969, Wissenschaftsjournalist in Berlin, erfuhr bei der Recherche, dass manche Forscher vermuten, der letzte gemeinsame Vorfahre aller heutigen Wirbeltiere – also auch des Homo sapiens – sei eine Art Urschleimaal gewesen.
Person Von Till Hein
Vita Till Hein, Jahrgang 1969, Wissenschaftsjournalist in Berlin, erfuhr bei der Recherche, dass manche Forscher vermuten, der letzte gemeinsame Vorfahre aller heutigen Wirbeltiere – also auch des Homo sapiens – sei eine Art Urschleimaal gewesen.
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