Am 10. November 1922, an Bord des Ozeandampfers „Kitano Maru“, erreicht Albert Einstein ein Telegramm aus Stockholm: Er wird den Nobelpreis für Physik erhalten. Es ist ein überraschend früher Höhepunkt einer langen Schiffsreise, auf die sich der Wissenschaftler unendlich gefreut hat. „Zwölf Wochen des Friedens auf dem offenen Meer“, schwärmte er vor dem Aufbruch in einem Brief an einen Freund.
Einstein liebt die See. Und er war froh, Berlin hinter sich zu lassen. In Deutschland drängen die Nationalsozialisten an die Macht. Am 24. Juni wurde Außenminister Walther Rathenau, ein langjähriger Freund Einsteins – und ebenso Jude –, von Rechtsextremen erschossen. Juden und politisch Linke können sich nicht mehr sicher fühlen. Auch daher kam Einstein die Einladung zu einer Vortragstournee nach Asien, Palästina und Südeuropa wie gerufen. Doch knapp 100 Jahre später lösen seine Notizen von jener Reise eine Diskussion aus. Als das Tagebuch 2018 erstmals auf Englisch erscheint, stellt die renommierte Tageszeitung „The Guardian“ aus London die Frage: War Albert Einstein ein Rassist?
Der Verdacht wirkt grotesk: Ausgerechnet Einstein, der als Humanist und Pazifist weltberühmt ist und den das US-Magazin „Time“ zur „bedeutendsten Person des 20. Jahrhunderts“ gewählt hat, soll Menschen aus anderen Kulturen verachten?
Es ist ein über weite Strecken witziges Reisetagebuch, an dem sich die Debatte entzündet. Einstein macht sich darin oft über sich selbst und auch über andere lustig. „An Grenze Frau verloren“, heißt es gleich im ersten Eintrag, am 6. Oktober 1922. Die Rede ist nicht von irgendeiner Frau, sondern von seiner Gattin Elsa Einstein, seiner zweiten Ehefrau. Auch auf kulinarischem Gebiet erlebt er Abenteuer: „Das Essen höchst raffiniert, schier endlos“, notiert er am 14. November in Shanghai. „Man fischt unausgesetzt mit Stäbchen aus gemeinsamen Schüsselchen, die in großer Anzahl auf dem Tisch stehen. Mein Inneres reagierte recht temperamentvoll.“
Manches erinnert Einstein an die Heimat: eine mit Lampions und Fähnchen geschmückte Straße in Kioto an das Oktoberfest, der See Genezareth in Palästina, über den Christus einst gewandelt sein soll, an den Genfersee. Mitunter sinniert er darüber, wie die Menschen, denen er auf der Reise begegnet, dieses Zusammentreffen wohl erleben. Und im Dezember 1922, nach zwei Wochen Aufenthalt in Japan, verfasst er eine Hommage an sein Gastland, in der er von der „Reinheit und Ruhe der japanischen Seele“ spricht. So jemand soll Rassist sein?
Am 3. Oktober brechen Albert und Elsa Einstein in Berlin auf. Über Zürich und Genf reisen sie nach Marseille, wo sie sich an Bord des Dampfers „Kitano Maru“ begeben. Der erste Teil der Überfahrt führt durch den Suezkanal über Colombo und Singapur nach Hongkong. Der Physiker scheint die Schiffsreise sehr zu genießen. „Die Sonne erquickt mich“, notiert er am 9. Oktober und berichtet von der Lektüre eines Buchs über Psychologie, das ihn zum Nachdenken über seine Jugend anregt. „Innerlich gehemmt und weltfremd“, erinnert er sich zurück. „Glasscheibe zwischen Subjekt und andern Menschen. Unmotiviertes Misstrauen. Papierene Ersatzwelt.“
Während dieser Überfahrt aber, mit 43 Jahren, scheinen solche Gefühle der Befangenheit überwunden. Einstein freundet sich mit zwei „alten gemütlichen Schweizer Offizieren“ an. Und insbesondere das Meer zieht ihn immer wieder in seinen Bann. „Zwei Haifische neben Dampfer gesehen mit gewaltiger Rückenflosse und Schwanzflossen“, notiert er am 16. Oktober. „Auch fliegende Fische. Temperatur zunehmend, aber sehr erträglich. Wunderbarer Sonnenuntergang. Widerschein im Osten mit rötlicher Meeroberfläche. Östlicher Himmel blaugrau, weiter oben rötlich. Venus glänzt wunderbar und spiegelt sich im Meer.“
Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 166. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.
Till Hein, geboren 1969, Wissenschaftsjournalist in Berlin, beneidet die Einsteins um diese Tour. Seit mehr als 20 Jahren übt er japanische Kampfkunst aus – und träumt von einer Reise nach Tokio und Kioto. Am liebsten mit dem Schiff.
Lieferstatus | Lieferbar |
---|---|
Vita | Till Hein, geboren 1969, Wissenschaftsjournalist in Berlin, beneidet die Einsteins um diese Tour. Seit mehr als 20 Jahren übt er japanische Kampfkunst aus – und träumt von einer Reise nach Tokio und Kioto. Am liebsten mit dem Schiff. |
Person | Von Till Hein |
Lieferstatus | Lieferbar |
Vita | Till Hein, geboren 1969, Wissenschaftsjournalist in Berlin, beneidet die Einsteins um diese Tour. Seit mehr als 20 Jahren übt er japanische Kampfkunst aus – und träumt von einer Reise nach Tokio und Kioto. Am liebsten mit dem Schiff. |
Person | Von Till Hein |