Die Mission der Millionärin

Eine in der Fremde reich gewordene Tochter einer Fischers auf einer kleinen Atlantik­insel zieht es in ihre verarmte Heimat zurück und macht sie zukunftstüchtig

Es hat geregnet damals, Pete Decker weiß das noch genau, einer dieser typischen frühen Julitage hier draußen, nasskalt, windig, das Meer bleiern, der teergraue Himmel wie ein Deckel über der Welt. Er war drüben im Schuppen, Ölzeug wachsen, Netze flicken. Im Radio spielten sie irischen Folk, dann kamen die Nachrichten, die Meldung aus St. John’s, und dann ging die Welt unter. Von jetzt auf gleich. Ohne Vorankündigung.

In Neufundlands Hauptstadt hatte Kanadas Fischereiminister John Crosbie soeben ein Fangverbot für Kabeljau verkündet. Bei einer Pressekonferenz. Mit wenigen Sätzen, die Hunderte Jahre Fischereitradition auf einen Schlag beendeten. Und 30 000 Arbeitsplätze vernichteten. „Einfach so. Crosbie hat das einfach so gesagt“, auch das wird Decker nie vergessen, „als verkünde er die neuen Haushaltszahlen.“ Anschließend musste der Minister um sein Leben fürchten, als Hunderte wütende Fischer versuchten, den Saal zu stürmen. „Und ich stand in meinem Schuppen. Hab da gestanden und hinaus aufs Meer gesehen.“ Es war der 2. Juli 1992.

Es war der 2. Juli 1992, und Zita Cobb weiß nicht mehr, wo sie war. In Kalifornien? In Tokio? Sie hat Firmen gekauft damals, 40 Unternehmen in wenigen Jahren, da verliert man schon mal den Überblick. Cobb war Finanzvorstand bei JDS Fitel, Silicon Valley, Glasfaser und Netzwerkkomponenten, eine der bestbezahlten Frauen der USA. Wo genau sie sich aufhielt an jenem Tag, spielt eigentlich auch keine Rolle – Zita Cobb taucht erst später auf in dieser Geschichte. Als das Fangverbot einen kompletten Wirtschaftszweig vernichtet hatte. Als alles schon den Bach heruntergegangen war auf der Insel, auf der sie und Pete Decker geboren wurden. Erst da kommt Zita Cobb ins Spiel. Mit ihrer Liebe für die Heimat. Mit ihrem Gefühl für Verantwortung. Mit einer Idee. Und mit ihren Millionen.

Fogo Island liegt vor Neufundland; eine Dreiviertelstunde braucht man mit der Fähre von einem Anleger mit dem poetischen Namen Farewell. Die Insel ist 25 Kilometer lang, 14 Kilometer breit und seit dem frühen 18. Jahrhundert besiedelt. Damals kamen Engländer und Iren aus Europa und blieben. Sie gründeten Orte mit Namen wie aus einem Fantasyepos, Joe Batt’s Arm, Seldom-Come-By, und vielleicht schien ihnen Fogo ja wirklich verzaubert, mit den Wäldern und kleinen Buchten, in denen morgens der Nebel hängt wie gezupfte Watte. Vor allem aber mussten sie keinen Hunger leiden hier in der Neuen Welt, die einen Atlantik entfernt war von der Alten. Es gab Kabeljau vor Fogo. Genug Kabeljau, um alle sattzubekommen. Genug, um Geld zu verdienen. Mehr als genug, als dass man sich je Sorgen machen müsste. Knapp 300 Jahre lang dachte man das.

Nach jenem 2. Juli 1992 passierte auf Fogo, was überall entlang Neufundlands Küste passierte. Zuerst kamen Entschädigungszahlungen von der Regierung, dann Arbeitslosengeld, dann nichts mehr. Die Menschen verarmten. Wer konnte, wanderte aus. Junge Leute packten am Abend ihres letzten Schultags ihre Taschen und verschwanden. Ehemänner verabschiedeten sich für Monate auf Alaskas Bohrinseln. Wer blieb, fing nun Krabben statt Kabeljau. Oder hielt sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Vor dem Atlantik mit seinen Stürmen hatte hier nie jemand kapituliert. Jetzt mussten es viele.

„Als ob der Insel allmählich die Lebensenergie entzogen würde, so hat sich das angefühlt.“ Pete Decker sitzt in seinem Schuppen, einer von denen, wie sie jeder Fischer auf Fogo besaß, um den Kabeljau gleich verarbeiten zu können – auf Stelzen im Wasser stehend, über einen Steg mit dem Land verbunden. Es ist wieder Anfang Juli, aber dieses Mal meint es der Sommer gut. Ein warmer Wind weht durch die offene Tür, durch die man das andere Ufer der Bucht sehen kann, die bunten Häuser, die Boote, die Wäsche auf der Leine – und ein Gebäude, das wie ein Raumschiff über dem Ort schwebt. Und von dem Pete Decker sagt, es sei das Beste, was Fogo seit dem Kabeljau passiert sei. „Das da“, sagt er und nickt Richtung Schuppentür, „das da hat uns gerettet.“

„Das da“ ist „The Inn“, ein vor Kurzem eröffnetes Hotel in Joe Batt’s Arm mit 29 Zimmern und einer Architektur, die trotz ihrer avantgardistischen Formen perfekt in die Landschaft passt. Es ist aus Holz, wie alle Häuser auf Fogo, und weiß wie die Eisberge, die im Frühjahr vorbeitreiben. Es steht auf Stelzen, wie die Schuppen der Fischer. Es ist so nah am Wasser gebaut, dass die Gischt an die Fenstern schlägt. Beinahe die gesamte Einrichtung wurde auf der Insel hergestellt, Schränke, Regale, geschreinert von ehemaligen Bootsbauern. Im Restaurant wird serviert, was die letzten verbliebenen Inselfischer gefangen haben. Ihre Frauen haben Kissen und Bezüge geschneidert und über 200 Quilts. Fast alle 69 Angestellten stammen von Fogo. Finanziert hat „The Inn“ Zita Cobb. Im Alleingang.


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mare No. 103

No. 103April / Mai 2014

Von Stefan Nink und Andrew Querner

Als Stefan Nink, Jahrgang 1965, Autor in Mainz, bei seinem Besuch auf Fogo nicht glauben mochte, dass sich die Kabeljaubestände tatsächlich erholt haben, fuhren Fischer prompt mit ihm aufs Meer und drückten ihm eine Angel in die Hand. Minuten später hatte Nink einen Zehnpfünder am Haken.

Andrew Querner,, geboren 1974, Fotograf in Vancouver, war angenehm überrascht, als Zita Cobb ihn nach dem Shooting zu sich nach Hause zum Essen einlud. Sie zauberte ihm einen Stockfisch, den er nicht vergessen wird.

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Vita Als Stefan Nink, Jahrgang 1965, Autor in Mainz, bei seinem Besuch auf Fogo nicht glauben mochte, dass sich die Kabeljaubestände tatsächlich erholt haben, fuhren Fischer prompt mit ihm aufs Meer und drückten ihm eine Angel in die Hand. Minuten später hatte Nink einen Zehnpfünder am Haken.

Andrew Querner,, geboren 1974, Fotograf in Vancouver, war angenehm überrascht, als Zita Cobb ihn nach dem Shooting zu sich nach Hause zum Essen einlud. Sie zauberte ihm einen Stockfisch, den er nicht vergessen wird.
Person Von Stefan Nink und Andrew Querner
Vita Als Stefan Nink, Jahrgang 1965, Autor in Mainz, bei seinem Besuch auf Fogo nicht glauben mochte, dass sich die Kabeljaubestände tatsächlich erholt haben, fuhren Fischer prompt mit ihm aufs Meer und drückten ihm eine Angel in die Hand. Minuten später hatte Nink einen Zehnpfünder am Haken.

Andrew Querner,, geboren 1974, Fotograf in Vancouver, war angenehm überrascht, als Zita Cobb ihn nach dem Shooting zu sich nach Hause zum Essen einlud. Sie zauberte ihm einen Stockfisch, den er nicht vergessen wird.
Person Von Stefan Nink und Andrew Querner