Die Macht der Meere

Kaum eine Notlage des Menschen hat eine erschreckendere Wirkung als der Schiffbruch. Seit Beginn der Seefahrt ver­suchen wir, Schiffe sicherer zu machen, doch das Meer scheint stets überlegen. Ein Report zur Sicherheit an Bord

Am Morgen des 15. April 1912 hat sich die Welt verändert. Das „größte Schiffsunglück der Welt", schreibt das Hamburger Fremdenblatt, „trifft die gesamte Menschheit." Es zeige, wie „klein und schwach der Mensch ist gegenüber den roh waltenden Kräften der Natur". 1517 Passagiere und Besatzungsmitglieder der „Titanic" sind tot, ertrunken oder erfroren im eiskalten Nordatlantik. Der Schock sitzt tief, doch er löst auch etwas aus. „Der Untergang der ,Titanic' war so etwas wie der Startschuss für zahlreiche positive Entwicklungen."

Es sind die Worte von Gerd Holbach.Fast 100 Jahre nach der Katastrophe greift der Schiffbauprofessor an der Technischen Universität Berlin einen Wälzer aus seinem Bücherregal. „Dieses großartige Werk verdanken wir dem Untergang der ‚Titanic'", sagt er. Es ist eine Art Bibel für sein Fachgebiet. Auf mehr als 500 Seiten enthält es die neueste Fassung der „Safety of Life at Sea", kurz Solas, der UNO-Konvention zur Schiffssicherheit. Zwei Jahre nach dem Untergang der „Titanic" wurde erstmals eine solche internationale Konvention verabschiedet.

Anfang des 20. Jahrhunderts, erzählt Holbach, sei zum Beispiel die Anzahl der Rettungsboote an Bord nicht geregelt gewesen. Manche Werften orientierten sich einfach am Schiffsvolumen. Ob die Plätze im Notfall ausreichten, spielte keine Rolle. „Die ‚Titanic' hatte sogar mehr Rettungsboote als üblich." Platz gefunden hätte allerdings gerade jeder Zweite an Bord. Und da die Boote nicht optimal genutzt wurden, starben fast drei Viertel der Passagiere und Besatzung.

Wahrscheinlich hätten viele gerettet werden können. Doch als der Funker an Bord der „Titanic" kurz vor Mitternacht die Meldung durchgab „SOS. Habe Eisberg gerammt. Brauche Hilfe. Position 41° 46' N, 50° 14' W", schlief sein Kollege auf der SS „Californian", keine 30 Kilometer nördlich, bereits in seiner Koje. „Auch dass man Schiffsfunker nicht rund um die Uhr erreichen konnte, war damals nichts Ungewöhnliches", sagt Holbach.

Solche Missstände mussten dringend beseitigt werden, darin waren sich die Fachleute einig. Der Vorläufer der heutigen Solas-Konvention schreibt daher im Jahr 1914 nicht nur genügend Rettungsbootplätze vor, sondern auch, dass Bordfunkstationen künftig Tag und Nacht besetzt sein müssen.

Konsequenzen gab es auch für den Schiffbau. Von nun an mussten bei Neukonstruktionen die Schotten deutlich höher gezogen werden. Zwar hatte man bisher auch schon Schiffsrümpfe durch Stahlwände unterteilt, damit sich bei einem Leck ausschließlich die beschädigte Kammer mit Wasser füllt und das Schiff nicht untergeht. Doch bei der „Titanic" hatte dieses Prinzip nicht funktioniert.

Holbach skizziert ein Schiff, dessen Heck weit in die Höhe ragt, wie das der „Titanic", kurz bevor sie unterging. Im vorderen Schiffsteil stieg das durchs Leck einströmende Wasser bald so hoch, dass es auf die Zwischendecks gespült wurde. „Und bis dort hinauf reichten die stählernen Zwischenwände nicht." So konnte das Wasser in immer mehr Sektionen vordringen. Wie groß das Loch war, das der Eisberg in die Hülle der „Titanic" gerissen hat, ist bis heute nicht restlos geklärt. Doch die meisten Fachleute sind überzeugt: Hätte das Schiff höhere Schotten gehabt, wäre es viel langsamer gesunken.

Die „Titanic" bestand aus 60_000 Tonnen Stahl. Dass sie mit diesem enormen Gewicht überhaupt schwimmen konnte, verdankt sie dem Archimedischen Prinzip. Archimedes, einer der bedeutendsten griechischen Mathematiker der Antike, hatte entdeckt, dass ein Gegenstand dann schwimmt, wenn seine mittlere Dichte geringer ist als die des von ihm verdrängten Wassers. Ein Schiff muss demnach ein Hohlkörper sein, mit genug Luft in seinen Innenräumen. Strömt nun aber durch ein Leck Wasser ein, kann sich dieses Verhältnis schnell umkehren. Im schlimmsten Fall sinkt das Schiff.

Die Ursachen für einen solchen Vorfall sind vielfältig. Ein Schiff kann mit einem Eisberg, einem Riff, einem Felsen, einer Sandbank oder einem anderen Schiff kollidieren. Oft spielt ungünstiges Wetter eine große Rolle. Starker Seegang und schlechte Sicht erschweren die Orientierung. Das Auf und Ab der Wellen kann zudem dazu führen, dass Ladung verrutscht und das Schiff aus dem Gleichgewicht bringt. Muss ein in Seenot geratenes Wasserfahrzeug aufgegeben werden, spricht man vom „Schiffbruch".


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 79. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 79

No. 79April / Mai 2010

Von Till Hein

Till Hein, Jahrgang 1969, freier Wissenschaftsjournalist aus Berlin, mag kleine Jollen lieber als Ozeanriesen - vor allem, weil es beim Bootstyp Optimist nie zu Evakuierungsproblemen kommt.

Mehr Informationen
Vita Till Hein, Jahrgang 1969, freier Wissenschaftsjournalist aus Berlin, mag kleine Jollen lieber als Ozeanriesen - vor allem, weil es beim Bootstyp Optimist nie zu Evakuierungsproblemen kommt.
Person Von Till Hein
Vita Till Hein, Jahrgang 1969, freier Wissenschaftsjournalist aus Berlin, mag kleine Jollen lieber als Ozeanriesen - vor allem, weil es beim Bootstyp Optimist nie zu Evakuierungsproblemen kommt.
Person Von Till Hein