Die kleinen Stimmen der Schiffe

Rudyard Kipling schrieb das „Dschungelbuch“. Im mareverlag erscheint nun sein Reisebuch „Von Ozean zu Ozean“, das den Kinderbuchautor in ein anderes Licht rückt. Seine Schilderungen der See­- fahrt könnten eindrücklicher nicht sein

Kipling ist mit Abstand der meistversprechende junge Mann, der erschienen ist, seit – ähm – ich erschienen bin. Er verblüfft mich durch seine Frühreife und die Vielfalt seiner Begabung. Aber ich bin auch besorgt über die Menge und die Geschwindigkeit seines Schreibens. Bei diesem Tempo werden seine Werke bald den bewohnbaren Globus überschwemmt haben.“

Diese hochachtungsvolle Befürchtung teilte Robert Louis Stevenson im Dezember 1890 seinem Kollegen Henry James in einem Brief aus Samoa mit. Nach den 1888 in London und Kalkutta erschienenen Erzählungsbänden „Plain Tales from the Hills“ und „Soldiers Three“ hatte Rudyard Kipling 1889 eine Schiffsreise von Kalkutta über Rangun, Singapur, Hongkong und Yokohama angetreten und daran gedacht, auch den verehrten Stevenson in der Südsee zu besuchen. Aber dann fuhr er doch direkt nach San Francisco, quer durch Nordamerika bis New York und von dort aus über den Atlantik nach England.

Die Erlebnisse dieser achtmonatigen Weltreise erschienen zuerst in Zeitschriften, bis Kipling sie 1900 in den beiden Sammelbänden „From Sea to Sea“ zusammenfasste. Bei seiner Ankunft in London lernte er den amerikanischen Literaturagenten Wolcott Balestier und dessen Schwester Caroline kennen, die er 1892 heiratete. Nach der Hochzeitsreise, die das junge Paar zunächst in die USA und dann über Vancouver nach Yokohama führte, baute sich Kipling auf dem Anwesen seines Schwagers in Brattleboro in Vermont sein Haus „The Naulakha“. Dort begann er in einem Buch jene Geschichten zu versammeln, in denen er die Erlebnisse seiner Kindheit und Jugend in Indien heraufbeschwor und die ihn berühmt machen sollten, „The Jungle Book“.

Geboren am 30. Dezember 1865 als Sohn des Kurators John Lockwood Kipling und seiner Frau Alice, wuchs der kleine Rudyard in Bombay auf, wo sein Vater eine Kunstschule leitete. Mit sechs Jahren kam er des Klimas wegen nach England zu Pflegeeltern, deren Pflege vor allem aus Strafen und Prügel bestand. Hier träumte er sich nach Indien zurück. Mit 14 fing er im Haus von Edward Burne-Jones an zu schreiben und hörte bis zu seinem Tod nicht mehr damit auf: 16 Bände Erzählungen und Kurzgeschichten, fünf Bände Gedichte, drei Romane sowie unzählige Reiseberichte und Aufsätze in Zeitungen und Zeitschriften.

Stevensons Prophezeiung erwies sich als zutreffend. Bald kannte man in der ganzen englischsprachigen Welt die Abenteuer des Dschungeljungen Mowgli und seiner Freunde, des Panthers Bagheera und der Python Kaa. Den Roman „Kim“ stellte Mark Twain neben „Don Quichotte“ und bekannte, dass ihm erst dieses Buch die Augen für Indien geöffnet hätte. Kiplings Gedichte drangen bis nach Berlin, wo sie 1928 in Bertolt Brechts Bearbeitung zum Erfolg der „Dreigroschenoper“ beitrugen. Der rastlose Autor galt weltweit als der literarische Chronist des Empire – aber ein Dichter der Meere? Allerdings, und zwar ein bedeutender, der hierzulande noch entdeckt werden muss.


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mare No. 112

No. 112Oktober / November 2015

Von Holger Teschke

Holger Teschke besuchte im Herbst 2000 zum ersten Mal Brattleboro in Vermont und sah dort Kiplings Haus „The Naulakha“, das heute ein Bed & Breakfast ist. Er träumt davon, eines Tages die Gedichte aus The Seven Seas auf Cape Cod zu übersetzen. Sein Buch Mein Cape Cod erschien im August 2015 im mareverlag, wo im Oktober 2015 auch Rudyard Kiplings Von Ozean zu Ozean erscheint, eine Sammlung von Reisebriefen und Reportagen, die Kipling 1887 bis 1889 aus Indien, Fernost und Amerika schrieb, Texte voller Witz und Ironie, mit einem Hang ins Groteske.

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Vita Holger Teschke besuchte im Herbst 2000 zum ersten Mal Brattleboro in Vermont und sah dort Kiplings Haus „The Naulakha“, das heute ein Bed & Breakfast ist. Er träumt davon, eines Tages die Gedichte aus The Seven Seas auf Cape Cod zu übersetzen. Sein Buch Mein Cape Cod erschien im August 2015 im mareverlag, wo im Oktober 2015 auch Rudyard Kiplings Von Ozean zu Ozean erscheint, eine Sammlung von Reisebriefen und Reportagen, die Kipling 1887 bis 1889 aus Indien, Fernost und Amerika schrieb, Texte voller Witz und Ironie, mit einem Hang ins Groteske.
Person Von Holger Teschke
Vita Holger Teschke besuchte im Herbst 2000 zum ersten Mal Brattleboro in Vermont und sah dort Kiplings Haus „The Naulakha“, das heute ein Bed & Breakfast ist. Er träumt davon, eines Tages die Gedichte aus The Seven Seas auf Cape Cod zu übersetzen. Sein Buch Mein Cape Cod erschien im August 2015 im mareverlag, wo im Oktober 2015 auch Rudyard Kiplings Von Ozean zu Ozean erscheint, eine Sammlung von Reisebriefen und Reportagen, die Kipling 1887 bis 1889 aus Indien, Fernost und Amerika schrieb, Texte voller Witz und Ironie, mit einem Hang ins Groteske.
Person Von Holger Teschke
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