Zwischen Himmel und Meer, in grenzenloser Freiheit ein Albatros – gleitend, steigend, fallend in unermüdlich kurvendem Schwung, in gleichmäßig stetem Rhythmus. Er surft auf der Luft, er reitet den Wind. Dirigiert ihn mit minimalen Signalen der weitgebogenen schmalen Schwingen, Aufstieg und Sturz durch schwingende Bögen zu makelloser Einheit rundend. Meisterschaft hat immer auch den Anschein des Mühelosen.
Drei, vier Jahre war er auf einsamer Wanderschaft über dem pazifischen Ozean, ohne je Land berührt zu haben, nachdem er sich auf seiner Heimatinsel als gerade flügger Jungvogel erstmals mühsam in den Wind gestemmt hatte. Nächtliches Rasten auf den Wellen zwischen Beringsee und Äquatorgürtel, fernab jeder Küste, sich nährend von aufsteigenden Schwärmen kleiner Tintenfische, Fischeiern, Larven. Ansonsten: fliegen, fliegen, fliegen. Immer allein, ohne Grenzen, über sich Himmel, unter sich Wasser. Viel mehr weiß die Wissenschaft nicht zu sagen über sein transozeanisches Eremitenleben. Wer könnte ihn auch begleiten, ihn beobachten.
„Dynamisches Schweben“ haben die Ornithologen die ausgefeilte Flugtechnik des Albatrosses getauft. Unmittelbar über dem Wasser strömt die Luft langsamer als in höheren Lagen. Je näher er dem Meer entgegenstürzt, desto geringer wird darum der Luftwiderstand, desto schneller der Flieger, bis über 110 Stundenkilometer. Unmittelbar über den Wellen, wo sie auf luv den Wind reflektieren, nutzt er in haarsträubendem Kurvenschwung den wieder aufwärts gelenkten Luftstrom und nimmt die gewonnene Geschwindigkeit mit in den Steigflug. Oben am Scheitelpunkt des Bogens scheint er für Sekunden bewegungslos zu verharren – Achterbahnfahrer kennen das Phänomen –, ehe er sich erneut den Wellen entgegenwirft. Kaum je ein nachhelfender Flügelschlag unterbricht das wie selbstverständliche Auf-und-ab-Gleiten. Der Albatros ist ein Profi der Windausbeutung, ein Meister des Energiesparens. Tausende Kilometer legt er so zurück, im kräftesparenden Steigen, Fallen, Kurven.
Weit voraus, tief unter ihm taucht sie auf im letzten Abenddämmer, die Insel seiner Ahnen, genetisch programmiertes Ziel der einsamen Reise. Ein winziger fragiler Flecken Land inmitten der Wasserweite, grün und gelb in weiter Lagune, vom Korallenriff rings gesäumt und geschützt gegen die weiß schäumende Brandung. Midway am äußersten Ende der lang hingestreckten Hawaii-Gruppe, halben Weges – wie der Name sagt – zwischen Asien und Amerika. Die Insel der Albatrosse. Dort kommt er her, dort muss er hin, von nun an alljährlich im November.
Er lässt sich in einem letzten steilen Sinkflug fallen, taucht über dem weißen Sandstrand hinein in den nicht abreißenden Strom Tausender Artgenossen, die über-, unter-, neben- und hintereinander zur nächtlichen Futtersuche aufs Meer segeln. Er schwebt über Dünenkuppen, breite Betonrollbahnen, Hangars, Öltanks, schwingt sich über düstere Haine von Kasuarinen, deren Nadeln geheimnisvoll im Wind flüstern. Und sieht unter sich im letzten Licht einen weiten Wiesenplan, dicht an dicht schwarz und weiß gepunktet von lagernden Vögeln seiner Spezies. Laysan-Albatrosse, die größte Brutkolonie der Welt, rund eine Million Tiere auf den beiden Inseln des Atolls.
Fertigmachen zur Landung, der schwierigsten Flugphase, wie jeder Pilot weiß. Auch für Albatrosse eine der Klippen ihrer fliegerischen Virtuosität. Hoch über den Kopf hebt er die Zwei-Meter-Schwingen, stellt sie gegen die Flugrichtung, dass sie schwirrend aufrauschen, spreizt den kurzen Schwanz zum breiten Keil und senkt die plumpen Paddelfüße tief als Bremsklappen.
Gar nicht majestätisch sieht er jetzt aus, eher hilfsbedürftig und verzagt. Schwankend balanciert er sich aus, er ist zu schnell, die Füße berühren den Grund, versuchen in rasendem hoppelndem Galopp, das Fliegen ins Rennen zu transformieren. Er ist zu schnell, links kriegt ein Nesthocker die Flügelspitze voll über die Rübe, er ist immer noch zu schnell, die Füße kommen nicht mehr mit, er droht zu ... Himmel!, er kippt nach vorn und rauscht, verzweifelt flatternd, auf Brust und Bauch noch meterweit, rums und gelandet! Irgendwie doch. Und kann von Glück sagen, dass er die Landung nicht mit einer tumultuösen Rolle vorwärts beschließen muss.
„Mist, immer dasselbe!“, knurrt er, wirft einen verbiestert schnellen Blick nach rechts und links – Wagt jetzt bloß zu lachen! – kramt sich zusammen, schüttelt sich und watschelt betont würdevoll von dannen: War irgendwas?! So anthropomorphelt unwillkürlich, wer die Szene wieder und wieder aus nächster Nähe erlebt, den Kopf einziehend, beiseite springend. Sie ist von unbezwingbarer Komik.
Die perfekte Punktlandung, so sie denn gelingt, nicht minder: Zwei, drei elegante Hüpfer, schon steht er wie eine Eins, selbst höchst verblüfft, aber mit stolzgeschwellter Brust sich reckend, die Schwingen mit lässiger Grandezza faltend und verächtliche Blicke ringsum werfend: So macht man das, Jungs!
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Hans-Christof Wächter, Jahrgang 1940, lebt als Autor und Theaterregisseur in Berlin.
Knut Gielen, geboren 1964, ist freier Fotograf und Mitglied der Agentur Plus 49/Visum.
In mare No.15 berichteten Wächter und Gielen über die Seefahrtschule auf Kiribati
Vita | Hans-Christof Wächter, Jahrgang 1940, lebt als Autor und Theaterregisseur in Berlin.
Knut Gielen, geboren 1964, ist freier Fotograf und Mitglied der Agentur Plus 49/Visum. In mare No.15 berichteten Wächter und Gielen über die Seefahrtschule auf Kiribati |
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Person | Von Hans-Christof Wächter und Knut Gielen |
Vita | Hans-Christof Wächter, Jahrgang 1940, lebt als Autor und Theaterregisseur in Berlin.
Knut Gielen, geboren 1964, ist freier Fotograf und Mitglied der Agentur Plus 49/Visum. In mare No.15 berichteten Wächter und Gielen über die Seefahrtschule auf Kiribati |
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