Die Entführung der „Achille Lauro“

Als vier Terroristen die halbe politische Welt in Atem hielten

Mittwoch, 2. Oktober 1985. Leon und Marilyn Klinghoffer sind bereits vom Schicksal gezeichnet, als sie an Bord der „Achille Lauro“ gehen. Der 69-jährige Inhaber einer kleinen Firma für Haushaltsgeräte in Manhattans Lower East Side ist nach zwei Schlaganfällen halbseitig gelähmt. Seine Frau schiebt ihn im Rollstuhl auf das Schiff, obwohl sie selbst von Darmkrebs geschwächt ist. Trotzdem sind sie optimistisch. Diese Kreuzfahrt haben sie sich zum 36. Hochzeitstag und zu Marilyns 58. Geburtstag geschenkt. Elf Tage Mittelmeer! Genua, Neapel, Port Said, Alexandria, Ashdod, Genua!

Die „Achille Lauro“ ist elegant, 192 Meter lang, gut 23 000 Bruttoregistertonnen groß. Die Passkontrolle ist eine Formalie, vermutlich fällt den beiden nicht einmal auf, dass ihr Gepäck gar nicht erst überprüft wird. Was die 748 Passagiere in ihren Koffern auf den Ozeanliner bringen, scheint niemanden zu interessieren – obwohl es durchaus seltsame Mitreisende gibt. Dem Cruise Manager Max Fico fallen vier Männer auf, untypisch jung für eine derartige Kreuzfahrt, kaum älter als 20. Sie haben gemeinsam Kabine 82 auf dem Zwischendeck gebucht, obwohl zwei Männer ihren Pässen nach Argentinier sind, einer ist Portugiese, der vierte Norweger. Als ein Mitpassagier die Argentinier auf Spanisch anspricht, antworten sie nicht – als verstünden sie gar kein Spanisch. Aber da ihre Pässe in Ordnung zu sein scheinen, gelangen sie ohne weitere Prüfung auf das Kreuzfahrtschiff.

Tatsächlich jedoch werden diese vier Männer schon bald Tod und Verderben bringen, die Familie Klinghoffer in ihre ganz persönliche Hölle stoßen und die Reise der „Achille Lauro“ zu einer der berüchtigsten Kreuzfahrten aller Zeiten machen.

Überhaupt ist sie ein Unglücksschiff in einer unglückseligen Zeit. 1965 kauft sie der italienische Reeder Achille Lauro und benennt sie nach sich selbst. Seit ­Mitte 1985 betreibt die Chandris Line den Ozeanliner für günstige Kreuzfahrten. 1953 kollidiert die „Achille Lauro“ im Roten Meer mit einem niederländischen Schiff, 1965 und 1972 brechen bei Wartungsarbeiten Feuer aus, 1975 rammt sie in den Dardanellen einen libanesischen Frachter, 1981 lodern, diesmal während einer Kreuzfahrt, schon wieder Flammen im Maschinenraum. Die meisten Passagiere ahnen davon sicherlich nichts. Aber zumindest Kapitän Gerardo de Rosa ist durchaus bewusst, dass er einen betagten und technisch anfälligen Dampfer führt, und zwar an die Küsten Ägyptens und Israels und damit mitten hinein in eine der unruhigsten Weltgegenden.

Der Nahostkonflikt durchläuft 1985 eine besonders blutige Phase. Radikale Palästinenser haben in diesem Jahr bereits Attentate unter anderem in Paris, Madrid, Athen und Rom verübt. Auf Zypern ermorden sie drei israelische Touristen, woraufhin die Israelis das PLO-Hauptquartier in Tunis bombardieren. Dieser scheinbar ewige Schlagabtausch setzt vor allem die US-Regierung unter Druck. Präsident Ronald Reagan stellt sich als Hardliner dar und verspricht, dass sein Land nach einem Attentat „prompt und wirkungsvoll zurückschlagen“ werde. Das Gegenteil ist der Fall: Seit seinem Amtsantritt sind mehr als 300 Amerikaner bei nahöst­lichen Attentaten getötet worden, ohne dass Washington eine wirkungsvolle Gegenmaßnahme ergriffen hätte. „Tough talk, but no big stick“, lautet eine der Schlag­zeilen in der heimischen Presse.

Innerhalb der PLO organisiert vor allem der ehemalige Lehrer Muhammad Zaidan, der sich den Kampfnamen Abu Abbas gegeben hat, viele Attentate. Er kämpft seit zwei Jahrzehnten im Untergrund, ist in der UdSSR militärisch ausgebildet worden und hat innerhalb der PLO seine eigene Terrortruppe gegründet, die PLF. Seine Leute fallen durch besondere Brutalität auf – so erschlägt ein PLF-Terrorist 1979 ein vierjähriges israelisches Mädchen mit dem Gewehrkolben.

Anfang 1985 stellt Abu Abbas ein neues Kommando zusammen: vier junge Männer, alle in Lagern außerhalb Palästinas geboren. Ihr Anführer ist der 23-jährige Joussef Magied Molqi, schon als Teen­ager der PLF beigetreten. Seine drei Gefolgsleute sind 19, 20 und 23 Jahre alt.

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mare No. 153

mare No. 153August / September 2022

Von Cay Rademacher und Tomer Hanuka (Illustration)

Cay Rademacher, Jahrgang 1965, lebt als Autor in der Provence. Ihn erstaunte, dass diese internationale Affäre relativ schlecht dokumentiert ist, vermutlich, weil bis heute kaum einer der Beteiligten ein Interesse daran hat, das Andenken an das Drama wachzuhalten.

Tomer Hanuka ist ein preisgekrönter Illustrator. Er hat an dem für den Oscar nominierten Animationsfilm Waltz with Bashir mitgearbeitet und Titelseiten für The New Yorker illustriert. Zuletzt arbeitete er in der visuellen Entwicklung für Netflix und Sony, für Live-Action- und Animationsprojekte. Hanuka wurde mit zahlreichen Branchenpreisen ausgezeichnet, darunter Goldmedaillen von der Society of Illustrators und der Society of Publication Designers.

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Vita Cay Rademacher, Jahrgang 1965, lebt als Autor in der Provence. Ihn erstaunte, dass diese internationale Affäre relativ schlecht dokumentiert ist, vermutlich, weil bis heute kaum einer der Beteiligten ein Interesse daran hat, das Andenken an das Drama wachzuhalten.

Tomer Hanuka ist ein preisgekrönter Illustrator. Er hat an dem für den Oscar nominierten Animationsfilm Waltz with Bashir mitgearbeitet und Titelseiten für The New Yorker illustriert. Zuletzt arbeitete er in der visuellen Entwicklung für Netflix und Sony, für Live-Action- und Animationsprojekte. Hanuka wurde mit zahlreichen Branchenpreisen ausgezeichnet, darunter Goldmedaillen von der Society of Illustrators und der Society of Publication Designers.
Person Von Cay Rademacher und Tomer Hanuka (Illustration)
Vita Cay Rademacher, Jahrgang 1965, lebt als Autor in der Provence. Ihn erstaunte, dass diese internationale Affäre relativ schlecht dokumentiert ist, vermutlich, weil bis heute kaum einer der Beteiligten ein Interesse daran hat, das Andenken an das Drama wachzuhalten.

Tomer Hanuka ist ein preisgekrönter Illustrator. Er hat an dem für den Oscar nominierten Animationsfilm Waltz with Bashir mitgearbeitet und Titelseiten für The New Yorker illustriert. Zuletzt arbeitete er in der visuellen Entwicklung für Netflix und Sony, für Live-Action- und Animationsprojekte. Hanuka wurde mit zahlreichen Branchenpreisen ausgezeichnet, darunter Goldmedaillen von der Society of Illustrators und der Society of Publication Designers.
Person Von Cay Rademacher und Tomer Hanuka (Illustration)