Den Fischen auf’s Maul geschaut

Die Gesichter der Meeresbewohner spiegeln ihre Lebensweise und Ernährung wider

Ein Geräusch wie von einem Dutzend kleiner Schulkinder, die an ihren Butterkeksen knabbern, erfüllt plötzlich das rege, bunte, schweigende Treiben über dem Korallenriff. Eine Schule von Papageifischen schwebt heran. Mit ihren kräftigen, vogelähnlichen Schnäbeln kauen sie sich durch das Korallengestein, knabbern an Korallenstöcken und hinterlassen ihre verräterischen Bissspuren.

Natürlich fressen die Papageifische nicht nur Gestein. Sie ernähren sich vielmehr von den aufsitzenden Algen und Korallenpolypen. Dazu dienen die zu einem schnabelartigen Rand verschmolzenen Zähne auf dem Kiefer. Doch die Fische tragen nicht nur auf den Kiefern Zähne. Hinten im Schlund besitzen sie große, charakteristische Mahlzähne, die auf Knochen verschmolzen sind, einen unten und zwei oben. Das Gemisch aus Algen und Korallen wird von den Schlundzähnen zu feinem Mehl gemahlen, bevor es in den Magen gelangt. Unverdauliche Reste werden wieder ausgeschieden. Und dies in so großem Umfang, dass manche Forscher in ihnen die wichtigsten biologischen Faktoren zur Abtragung von Korallenriffen und der Bildung des weißen Korallensandes sehen.

Die Papageifische sind nicht die einzigen eigentümlichen Formen unter den farbenprächtigen Nachbarn auf dem Riff. Zahlreiche Bissspuren einzigartiger Gemeinschaften von Mäulern und Zähnen ziehen über weiche Korallenteppiche, lauern inmitten algenbedeckter Felsen und erstrecken sich über eintönige Schlickflächen. Dem zufälligen Betrachter erscheinen viele dieser Fischarten und Maulformen eher als Kuriositäten – Modelle unzähliger Science-Fiction-Kreaturen aus dem All. Für den Fischereibiologen aber sind die Mäuler und die Art, wie die Fische sie benutzen, Zeugen der langen Evolutionsgeschichte und der einzigartigen Stellung der Fische im Ökosystem und Nahrungsnetz.

Nahrungserwerb ist sicher die häufigste der freiwilligen Aktivitäten eines Fisches. Flucht vor Feinden, Reproduktion oder Wanderungen sind eher periodisch oder gelegentlich. Dagegen fressen die meisten Fische zumindest einmal täglich. Obwohl die verschiedenen Sinne unterschiedlichen Zwecken dienen können, so helfen sie doch vor allem bei der Nahrungssuche. Auch die Bewegungsmöglichkeiten eines Fisches werden in hohem Maße zur Nahrungssuche eingesetzt. Von nicht geringerer Bedeutung ist aber auch der Nahrungsapparat selbst.

Der wird vor allem durch das Fischmaul bestimmt, dessen Position auf dem Fischkopf im allgemeinen dadurch geprägt ist, wo und wie die Fische ihre Nahrung suchen. Bei solchen Fischen, die ihre Beute – meist visuell – vor sich oder in verschiedenen Richtungen suchen, findet sich meist ein endständiges (terminales) Maul, das heißt es steht am Ende des Kopfes. Arten, die ihre Beute vom Boden greifen oder unter sich suchen, besitzen ein unterständiges Maul auf der Unterseite des Kopfes – beispielhaft ausgeprägt in den riesigen, grimmig grinsenden Mäulern der Haie – oder ein sogenanntes subterminales Maul, fast endständig, aber doch nach unten orientiert. Relativ wenige Fische besitzen ein oberständiges Maul, das auf der oberen Seite des Kopfes liegt; es sind solche, die ihre Beute von der Wasseroberfläche greifen oder am Boden sitzend auf vorbeischwimmende Beute warten.

Auch die Bezahnung findet weite Variationen unter den Fischen. Scharfe, spitze Zähne lassen auf räuberische Lebensweise schließen, breite und stumpfe Zähne auf überwiegend pflanzliche Ernährung. Bei fleisch- und pflanzenfressenden, sogenannten omnivoren Arten finden sich oft spitze Zähne im vorderen und breite, flache Zähne im hinteren Bereich der Kiefer – ähnlich dem omnivoren menschlichen Gebiss. Die Zahl der Zähne ist von Art zu Art sehr verschieden, von sehr vielen bis zu nur einem oder zwei auf jedem Kiefer. Auch zahnlose Fische gibt es.

Die ersten modernen Fische, die mit den urtümlichen Haien um die Vormacht in den Meeren konkurrierten, patrouillierten die Riffe, während Dinosaurier die Lande beherrschten. Diese altertümlichen Arten nutzten einfache Klapp-Mäuler, um kleine Fische, Garnelen oder Krabben zu schnappen. Diese einfachen Mäuler erlauben einerseits, eine Vielzahl unterschiedlicher Beute zu fangen. Andererseits ist ihr „Erfolg“ aber dadurch eingeschränkt, dass die Fische sich ihrer Beute sozusagen auf Körperkontakt nähern müssen. Diese einfache Maulform hat sich bei den Großaugenbarschen und Eichhörnchenfischen beispielsweise, die wir noch heute in den Riffen finden, über den Lauf der Evolution erhalten.

In der Zwischenzeit haben aber in jüngerer Epoche entstandene Arten immer kompliziertere und spezialisiertere Maulformen entwickelt. Antworten auf die Besiedlung neuer ökologischer Nischen, spezieller Nahrungsspektren und spezifisches Fressverhalten. Teils auch durch die Konkurrenz dieser besser „ausgestatteten“ Newcomer wurden ursprünglichere Arten wie etwa die Großaugenbarsche buchstäblich in den Schatten gestellt. Nur im Schutz der Dunkelheit wagen sie sich ins freie Wasser. Und um im Dunkeln Futter zu finden und Feinde zu meiden, entwickelten sie riesige, starrende Augen, so empfindlich wie die einer Katze.

Der nächste Schritt der Evolution führte zum „Einsaugen“ der Beute. Durch Vergrößerung des Schlundraumes beim Öffnen des Mauls treibt der entstehende Unterdruck die Beute ins Maul des Fisches, wo er sie mit seinen Kieferzähnen festhält. Einsaugen ist der grundsätzliche Fressmechanismus der meisten modernen Fische, vergrößert er doch den Bereich, aus dem die Beuteorganismen gefangen werden können, weil der Jäger nicht mehr direkt „mit der Nase“ auf die Beute stoßen muss.

Die Zackenbarsche haben das Einsaugen weiter perfektioniert. Mit klaffenden, zahnbewehrten Kiefern jagen sie und schlucken Fische und Krabben in einem einzigen Zug. Bei ihnen, wie auch bei unseren heimischen Heringen, erscheint das geschlossene Maul oberständig. Dies scheint zunächst ihrem Fressverhalten zu widersprechen, da sie vor oder unter ihnen schwimmende Beute fangen. Ihre große obere „Lippe“ jedoch ist tatsächlich ein beweglicher Knochen, mit flexiblen Bändern und mehrfachen Hautfalten befestigt. Dahinter liegt ein zweiter, weniger beweglicher, aber dennoch gelenkiger Knochen, der nach unten schwingen kann. Öffnet der Zackenbarsch sein Maul, gleiten diese beiden Knochen nach unten und vorne – schneller als ein Augenschlag. Sie verformen das Fischmaul schlagartig zu einer hervorspringenden Röhre, die sich bis vor die Beute erstreckt und diese wie ein Staubsauger einfängt. In diesem Zustand wird das Maul entsprechend dem Jagdverhalten endständig.


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mare No. 4

No. 4Oktober / November 1997

Von Frank J. Jochem und Jeffrey Rotman

Frank J. Jochem, geboren 1961, ist promovierter Meereskundler. Seit April 1997 ist der in Kiel lebende Wissenschaftler Autor und Wissenschaftsredakteur bei mare.

Jeffrey L. Rotman, geboren 1949 in Boston, zählt zu den bekanntesten Unterwasser-Fotografen. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher, darunter fünf Kinderbücher, und seine Artikel erschienen unter anderem in Life, Time, New York Times und Geo. 1995 gewann er den Preis „Bild des Jahres“ der amerikanischen National Press Photographers Association.

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Vita Frank J. Jochem, geboren 1961, ist promovierter Meereskundler. Seit April 1997 ist der in Kiel lebende Wissenschaftler Autor und Wissenschaftsredakteur bei mare.

Jeffrey L. Rotman, geboren 1949 in Boston, zählt zu den bekanntesten Unterwasser-Fotografen. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher, darunter fünf Kinderbücher, und seine Artikel erschienen unter anderem in Life, Time, New York Times und Geo. 1995 gewann er den Preis „Bild des Jahres“ der amerikanischen National Press Photographers Association.
Person Von Frank J. Jochem und Jeffrey Rotman
Vita Frank J. Jochem, geboren 1961, ist promovierter Meereskundler. Seit April 1997 ist der in Kiel lebende Wissenschaftler Autor und Wissenschaftsredakteur bei mare.

Jeffrey L. Rotman, geboren 1949 in Boston, zählt zu den bekanntesten Unterwasser-Fotografen. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher, darunter fünf Kinderbücher, und seine Artikel erschienen unter anderem in Life, Time, New York Times und Geo. 1995 gewann er den Preis „Bild des Jahres“ der amerikanischen National Press Photographers Association.
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