Den Armen ein Grande Hotel

Im mosambikanischen Beira stand einst das prächtigste Strand­hotel Kolonialafrikas. Weil es unrentabel geworden war, schlossen es die Besitzer vor 30 Jahren. Heute wohnen in den Ruinen die Ärmsten der Armen der Stadt in einer Notgemeinschaft

Elsa ist elf und lebt in einem Hotel, Zimmer 300. Aber Elsa ist kein Gast. Ihre genaue Adresse steht im Personalausweis ihres Vaters: „Beira, Avenida Afonso de Paiva, Gebäude Nummer 2, dritter Bezirk: Ponta Gêa“. Das ist nicht irgendeine Adresse, Elsa Macata wohnt im „Grande Hotel“. Das war einmal das größte, luxuriöseste Hotel Mosambiks, des gesamten Kontinents sogar. 12 000 Quadratmeter, 122 Zimmer mit Blick auf den Indischen Ozean. Früher, in den 1950ern, nannten es die Menschen hier den „Stolz Afrikas“. Jetzt steht Elsa mit einem Plastikkanister am Wasserhahn an. Sie steht zwischen anderen Mädchen und Frauen mitten in einer der versandeten, blumenlosen Rabatten, die die vierspurige Straße säumen. Die Avenida Afonso de Paiva verbindet die Innenstadt mit dem Meer.

An den Rabatten fahren nur noch selten Autos vorbei. Für die meisten Beirenser endet die Stadt eine Kreuzung vorher, wo die letzten der pastellfarbenen Einfamilienhäuser aus der Kolonialzeit stehen. Es ist kurz nach sechs, aber die Sonne brennt schon. Es ist heiß. Das Wasser hat die helle Erde unter Elsas nackten Füßen dunkel gefärbt. 20 Liter passen in Elsas Kanister. Sie füllt ihn fast bis zum Rand. Ihre Freundin Felizmina hilft, ihn ihr auf den Kopf zu hieven. Er drückt ihre geflochtenen Zöpfe platt, die sonst wirr in jede Richtung abstehen. Aber ihr schmaler Körper bleibt gerade, als sie die Last heimträgt.

Elsa muss nur die Seite der breiten Straße wechseln, und sie steht vor ihrem Zuhause: ein monumentales graues Gebilde aus Säulen und Bogen, drei Stockwerke hoch. Ein gigantisches Betonwesen, das sich über das Viertel erhebt. Aus einigen Fensteröffnungen wachsen Mangobäume, aus anderen flattern bunte Windeln, Röcke, Hosen. Mehr als 1000 Menschen verbirgt es in seinem Inneren – Hausbesetzer. Wie viele genau, weiß niemand. Die meisten seiner Bewohner glauben, dass sie mindestens 3500 sind. Elsa ist eines von 200 Kindern, die in ihm leben.

 

 

Der 16. Juli 1955 war ein Samstag. An diesem Abend blieb Francisco Ivo allein zu Haus. Die Eltern des damals Achtjährigen besuchten die größte Party der Stadt: die Einweihungsfeier des „Grande Hotel“. Alte Fotos zeigen lange Tischreihen unter funkelnden Lüstern, weiß eingedeckt. An ihnen sitzen die Gäste, um die 500 müssen es gewesen sein: Männer in Smokings, manche mit Einstecktüchern, andere mit Orden an der Brust. Die Frauen an ihren Seiten tragen glänzende Abendkleider, Perlen und Hüte. Schwarze Kellner in weißen Livrees servieren ihnen die Speisen.

Sie essen Hühnerbraten und Gambas aus dem Indischen Ozean, trinken Rotwein und halten Reden. Es sind wichtige Menschen dort an den Tischen. Die, die auf den Fotos zu sehen sind, sind alle weiß. Unternehmer, Rechtsanwälte und Politiker, die es bis ganz nach oben geschafft haben im faschistischen Portugal und seiner Kolonie Mosambik. Die Ivos gehörten schon immer zu Beiras High Society. Francisco Ivos Großvater war Bürgermeister, sein Vater Carlos der erste und einzige Architekt der Stadt – bis der Portugiese Francisco de Castro 1952 nach Beira zog, um das „Grande Hotel“ zu bauen – noch im pompösen Stil des Art déco. Für die Familie Ivo wurde er zum Freund. Francisco nannte er stets nur Chico, den Kleinen.

Für Freunde heißt Francisco Ivo immer noch Chico, obwohl er inzwischen 63 Jahre alt und hoch gewachsen ist. Der hagere Mann mit dem lichten weißen Haar fällt auf, wenn er durch Beira geht. Seine Hautfarbe ist selten geworden in der Stadt und in Mosambik. Rund 20 Millionen Einwohner hat das Land. Aber nur um die 600 sind weiß. Nach der Unabhängigkeit 1975 verließen es fast alle der 230 000 Portugiesen. Die Regierung des neuen, freien Mosambiks verstaatlichte deren Häuser, deren Fabriken.


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 86. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 86

No. 86Juni / Juli 2011

Von Juliane von Wedemeyer und Juan Manuel Castro Prieto

Juliane von Wedemeyer, Jahrgang 1975, freie Journalistin in München, kam aus Beira mit einem Auftrag zurück: eine junge Frau suchen, um ihr zu sagen, dass ihr Vater an sie denkt. Bei den Recherchen im „GrandeHotel“ hatte die Autorin einen Mosambikaner kennengelernt, der als Gastarbeiter in der DDR gearbeitet hatte. Als er in seine Heimat zurückkehren musste, blieb sein Kind bei der deutschen Mutter. Seit 20 Jahren haben die beiden nichts voneinander gehört.

Juan Manuel Castro Prieto, 1958 geboren, lebt in Madrid und arbeitet für Printmedien in aller Welt. Er wird vertreten von der Pariser Agence VU. Für mare fotografierte er zuletzt surfende Ärzte in Indonesien.

Mehr Informationen
Vita Juliane von Wedemeyer, Jahrgang 1975, freie Journalistin in München, kam aus Beira mit einem Auftrag zurück: eine junge Frau suchen, um ihr zu sagen, dass ihr Vater an sie denkt. Bei den Recherchen im „GrandeHotel“ hatte die Autorin einen Mosambikaner kennengelernt, der als Gastarbeiter in der DDR gearbeitet hatte. Als er in seine Heimat zurückkehren musste, blieb sein Kind bei der deutschen Mutter. Seit 20 Jahren haben die beiden nichts voneinander gehört.

Juan Manuel Castro Prieto, 1958 geboren, lebt in Madrid und arbeitet für Printmedien in aller Welt. Er wird vertreten von der Pariser Agence VU. Für mare fotografierte er zuletzt surfende Ärzte in Indonesien.
Person Von Juliane von Wedemeyer und Juan Manuel Castro Prieto
Vita Juliane von Wedemeyer, Jahrgang 1975, freie Journalistin in München, kam aus Beira mit einem Auftrag zurück: eine junge Frau suchen, um ihr zu sagen, dass ihr Vater an sie denkt. Bei den Recherchen im „GrandeHotel“ hatte die Autorin einen Mosambikaner kennengelernt, der als Gastarbeiter in der DDR gearbeitet hatte. Als er in seine Heimat zurückkehren musste, blieb sein Kind bei der deutschen Mutter. Seit 20 Jahren haben die beiden nichts voneinander gehört.

Juan Manuel Castro Prieto, 1958 geboren, lebt in Madrid und arbeitet für Printmedien in aller Welt. Er wird vertreten von der Pariser Agence VU. Für mare fotografierte er zuletzt surfende Ärzte in Indonesien.
Person Von Juliane von Wedemeyer und Juan Manuel Castro Prieto