Das Leiden der Fische

Gegen den hartnäckigen Widerstand weiter Lobbykreise erkennt die Wissenschaft zunehmend genauer, dass Fische Schmerz verspüren. Der endgültige Beweis ist nicht mehr fern

Leidet der Hecht, wenn er am Haken zappelt? Und tut es dem Hering weh, wenn er bei lebendigem Leib ausgenommen wird? Nein, sagen manche Fachleute. Zumindest „nicht bewusst“. Doch was soll man sich unter unbewussten Schmerzen überhaupt vorstellen? 

Dass Hunde, Pferde und auch Kühe oder Schweine empfindsam sind und man ihnen möglichst nicht wehtun sollte, zieht kaum jemand in Zweifel. Bei Fischen aber sieht das anders aus. „Ein Hauptgrund dafür ist wahrscheinlich, dass diese Tiere keine Mimik zeigen“, sagt der renommierte britische Verhaltensforscher Jonathan Balcombe. „Fische können uns nicht anlächeln. Und wir sehen auch keine Tränen, wenn sie mit durchbohrtem Maul aus dem Wasser gezogen werden.“ Doch empfinden Kabeljau, Forelle, Mantarochen und Co. deshalb keine Schmerzen? 

Physiologische Untersuchungen haben gezeigt, dass die Haut von Fischen unterschiedliche Arten spezialisierter Nervenzellen aufweist, die unangenehme Reize an das Gehirn weiterleiten: zum Beispiel bei sehr hohen Temperaturen, starkem Druck oder dem Kontakt mit ätzenden Chemikalien. Diese sogenannten Nozizeptoren feuern sogar ausschließlich in solchen bedrohlichen Situationen. Das beweise jedoch gar nichts, wenden manche Experten ein. Es sei nämlich unwahrscheinlich, dass die Signale der Nozizeptoren im Gehirn von Fischen auch ­verarbeitet und zu einer vollwertigen Schmerzempfindung umgewandelt werden. Zumal, führen Fischschmerzskeptiker triumphierend an, die für die Schmerz­wahrnehmung entscheidende Region im Denkapparat von Säugetieren wie auch dem Menschen, die Großhirn­rinde, Neokortex genannt, im Fischgehirn fehlt.

Wenig tierfreundliche Experimente ergaben jedoch, dass Fische, denen man ätzende Säure in die Lippen spritzt, sich daraufhin zumindest verhalten, als wollten sie ihre Schmerzen lindern. Die Tiere begannen, ihr Maul kraftvoll an der Glasscheibe des Aquariums oder an Kieselsteinen auf dem Grund zu reiben.

Fischschmerzskeptiker wenden ein, dass es sich dabei wahrscheinlich nur um Reflexe handele. Sie verweisen auf Expe­rimente mit menschlichen Probanden, bei denen unter anderem herauskam, dass man seine Hand bereits Sekundenbruchteile früher von einer heißen Herdplatte wegzieht, als der eigentliche Schmerz durch die Verbrennung einsetzt. Auslöser solcher Reflexe sei eine Vorstufe von Schmerz, der zwar Muskelkontraktionen bewirke, aber noch nicht bis ins Bewusstsein vordringe und daher auch noch nicht wirklich wehtue. Bei Fischen, so die streitbare Theorie, bleibe es bei dieser unbedenklichen Vorstufe von Schmerz.

Ein weiteres Experiment kommt jedoch zu einem anderen Schluss. So stellten Wissenschaftler im Rahmen einer Studie Türme aus roten Legosteinen in ein Aquarium mit Regenbogenforellen. Normalerweise meiden die meisten Fische unbekannte Objekte, die in ihrer Umgebung auftauchen, denn diese könnten ja gefährlich sein. Als die Forscher den Fischen jedoch eine schmerzhafte Injek­tion mit Essigsäure verabreichten, hielten sie kaum mehr Abstand zu den Legotürmen, vermutlich, weil sie durch ihre Schmerzen abgelenkt waren. Die Regenbogenforellen waren also zu einer Vorsichtsmaßnahme nicht mehr in der Lage, die in freier Natur überlebenswichtig sein kann. Fische, denen sowohl Säure als auch das Schmerzen betäubende Mittel Morphin injiziert wurde, behielten dagegen ihre übliche Vorsicht bei. 

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mare No. 151

mare No. 151April / Mai 2022

Von Till Hein und Julie Sodré

Till Hein, Jahrgang 1969, Wissenschaftsjournalist in Berlin, kennt es von der Humanmedizin: Manche ­Pa­tienten leiden unter stärksten Schmerzen, ohne erkennbare Ursache. Andere haben nachweislich einen Bandscheibenvorfall, sind aber beschwerdefrei. Hein: „Schmerz ist offenbar nicht nur bei Fischen ein sehr kompliziertes Phänomen.“

Die brasilianische Illustratorin Julie Sodré, Jahrgang 1978, wohnhaft in Bendestorf bei Hamburg, hat sich auf Tierzeichnungen spezialisiert.

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Vita Till Hein, Jahrgang 1969, Wissenschaftsjournalist in Berlin, kennt es von der Humanmedizin: Manche ­Pa­tienten leiden unter stärksten Schmerzen, ohne erkennbare Ursache. Andere haben nachweislich einen Bandscheibenvorfall, sind aber beschwerdefrei. Hein: „Schmerz ist offenbar nicht nur bei Fischen ein sehr kompliziertes Phänomen.“

Die brasilianische Illustratorin Julie Sodré, Jahrgang 1978, wohnhaft in Bendestorf bei Hamburg, hat sich auf Tierzeichnungen spezialisiert.
Person Von Till Hein und Julie Sodré
Vita Till Hein, Jahrgang 1969, Wissenschaftsjournalist in Berlin, kennt es von der Humanmedizin: Manche ­Pa­tienten leiden unter stärksten Schmerzen, ohne erkennbare Ursache. Andere haben nachweislich einen Bandscheibenvorfall, sind aber beschwerdefrei. Hein: „Schmerz ist offenbar nicht nur bei Fischen ein sehr kompliziertes Phänomen.“

Die brasilianische Illustratorin Julie Sodré, Jahrgang 1978, wohnhaft in Bendestorf bei Hamburg, hat sich auf Tierzeichnungen spezialisiert.
Person Von Till Hein und Julie Sodré