Das Kraken-Kamasutra

Nicht einfach nur ein Paarungstrieb: Kraken haben ein hoch ent­wickeltes Sexualverhalten, voller Eigenheiten und Skurrilitäten

Manche Tintenfische wiegen ihre Partnerin beim Sex in sieben Armen. Andere führen Balztänze auf: Weibchen und Männchen umkreisen einander, winken mit den Gliedmaßen und lassen psychedelische Farbwellen über ihre Körper fließen. Wieder andere lieben sich Mund an Mund, als würden sie sich küssen. Einige Arten stehen auf schnellen, unverbindlichen Sex. Und es gibt Tintenfische, bei denen das Liebesspiel drei Stunden dauert, bis das Männchen sein Sperma in die weibliche Mantelhöhle abgibt.

Da verwundert es nicht, dass sich auch Schöngeister wie der Philosoph Richard David Precht für das bunte Geschlechtsleben der Kopffüßer begeistern, die so schlau sind, dass Fachleute sie als die „Weisen der Meere“ bezeichnen. Kraken würden „das halbe Leben mit Sex verbringen“, dozierte Precht in einer TV-Talkshow. Und: „Kraken haben drei Penisse.“ Stimmt das wirklich? Und was sind die evolutionären Gründe für die erotischen Präferenzen von Kraken, Sepien und Kalmaren?

In der Tat sind Kopffüßer nicht nur ausdauernde, sondern auch vielseitige Liebhaber, hat die aktuelle Forschung ergeben. Neben Signalfarben nutzen sie zur Verführung chemische Lockstoffe, sogenannte Pheromone. Einige betreiben Travestie, andere sind bisexuell. Vieles über das Geschlechtsleben dieser Weichtiere liegt noch im Dunkeln. Was die Zahl ihrer Gemächte angeht, hat sich Precht aber verzählt. Experten wie der renommierte US-Meeresbiologe Roy Caldwell von der University of California in Berkeley behaupten gar, dass männliche Kopffüßer überhaupt keinen Penis haben. Nach klassischer Definition versteht man darunter nämlich ein stark spezialisiertes Organ, das nur zur Fortpflanzung und Ausscheidung dient. Kopffüßer dagegen nutzen einen Greifarm zur Paarung, den Hectocotylus. „No penis“, stellt Caldwell klar. Denn im Alltag übernehme der Hectocotylus die gleichen Aufgaben wie die anderen Tentakel: Fortbewegung und Futterbeschaffung. Vor der Paarung aber schwillt das Gewebe an seinem Ende an und versteift sich, ähnlich wie ein Penis bei der Erektion. Dann schaufelt er Sperma aus der Mantelhöhle des Männchens in diejenige des Weibchens.

Erst seit Kurzem ist das Geschlechtsleben der Kopffüßer als Forschungsgebiet populär. Lange gingen Biologen davon aus, dass dieses Thema wenig sexy sei. Im Aquarium wirken diese so lüsternen wie cleveren Tiere nämlich meist prüde. „Es sind unglaubliche Heimlichtuer“, sagt Caldwell. Nur sehr selten lassen sie sich bei der Kopulation zuschauen. Voyeure – und seien es Wissenschaftler – scheinen sie nicht zu mögen. „Wenn du sie beobachtest, glotzen sie einfach zurück“, erzählt Caldwell. Studien in der freien Natur haben inzwischen aber ergeben, dass das Geschlechtsleben der Tintenfische wohl vielfältiger ist als das aller anderen Tiere der Welt. Und manche Experten glauben gar, dass wir über das weitere Erkunden ihrer Sexualität und deren evolutionäre Entstehung auch mehr über die Hintergründe des Geschlechtslebens des Homo sapiens lernen könnten.

Besonders eindrucksvoll ist, wie geschickt viele Kopffüßer die Verführungskraft von Farben einsetzen. Männchen und Weibchen können nicht nur die Farbtöne ihrer Haut verändern, sondern auf ihrer Oberfläche auch unterschiedliche Muster erscheinen lassen. Manche Kalmarmännchen, die in den Riffen der Karibik leben, wählen, um Weibchen heißzumachen, mit Vorliebe silbergrau. Konkurrenten dagegen schüchtern sie mit einem aggressiven Outfit ein. Mitunter flirten sie auf der Bauchseite in silbergrauer Reizwäsche mit einem Weibchen, während sie am Rücken mit dem Tigermuster Rivalen abschrecken.

Es geht noch raffinierter. Treffen sich Riesensepien, die über zehn Kilogramm schwer werden, auf dem Meeresgrund zu Orgien, so spielen sich die größten und stärksten Männchen als Paschas auf und versuchen, alle Weibchen für sich zu reservieren. Zarter gebaute Mitbewerber nutzen eine List: Sie nehmen die helleren Farben der Weibchen an und schleichen sich so getarnt an den Kraftprotzen vorbei. Sobald diese kurz abgelenkt sind, signalisieren die smarten Schwächlinge kurz ihre Männlichkeit und kommen zügig zur Sache. Wissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass es ihnen durch den Travestietrick gelingt, etwa gleich oft Sex zu haben wie ihre bulligen Konkurrenten. Offensichtlich zählen im Reich der Kopffüßer eben nicht nur Gene für Muskelkraft, sondern auch für Köpfchen.


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mare No. 125

No. 125Dezember 2017 / Januar 2018

Von Till Hein und Studio Nippoldt

Till Hein, Jahrgang 1969, Wissenschaftsjournalist in Berlin, erfuhr bei dieser Recherche auch, dass Kalmarmännchen der Art Abraliopsis morisii wenn auch nicht drei, so doch zumindest zwei Paarungsorgane haben. Wer mehr solcher spannenden Fakten über Kraken erfahren möchte, dem sei der neue Bestseller aus dem mareverlag empfohlen: Sy Montgomery, Rendezvous mit einem Oktopus, aus dem Amerikanischen von Heide Sommer, mit einem Nachwort von Donna Leon.

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Vita Till Hein, Jahrgang 1969, Wissenschaftsjournalist in Berlin, erfuhr bei dieser Recherche auch, dass Kalmarmännchen der Art Abraliopsis morisii wenn auch nicht drei, so doch zumindest zwei Paarungsorgane haben. Wer mehr solcher spannenden Fakten über Kraken erfahren möchte, dem sei der neue Bestseller aus dem mareverlag empfohlen: Sy Montgomery, Rendezvous mit einem Oktopus, aus dem Amerikanischen von Heide Sommer, mit einem Nachwort von Donna Leon.
Person Von Till Hein und Studio Nippoldt
Vita Till Hein, Jahrgang 1969, Wissenschaftsjournalist in Berlin, erfuhr bei dieser Recherche auch, dass Kalmarmännchen der Art Abraliopsis morisii wenn auch nicht drei, so doch zumindest zwei Paarungsorgane haben. Wer mehr solcher spannenden Fakten über Kraken erfahren möchte, dem sei der neue Bestseller aus dem mareverlag empfohlen: Sy Montgomery, Rendezvous mit einem Oktopus, aus dem Amerikanischen von Heide Sommer, mit einem Nachwort von Donna Leon.
Person Von Till Hein und Studio Nippoldt