Das Geheimnis im Reisegepäck

Der Schriftsteller William Somerset Maugham fuhr als Agent des britischen Secret Service mit Dampfern um die ganze Welt – und sammelte dabei Stoff für seine Romane

William Somerset Maugham war der populärste und wohl auch produktivste englische Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Er schrieb 78 Bücher: Romane, Erzählungen, Reiseberichte und Essays, darunter Klassiker wie „Des Menschen Hörigkeit“ und „Auf Messers Schneide“. Bis zu seinem Lebensende war davon eine Auflage von über 40 Millionen Exemplaren verkauft. So unterschiedliche Autoren wie Jean Améry, Anthony Burgess und George Orwell haben ihm gehuldigt, und kein Geringerer als Jorge Luis Borges staunte: „Unglaublich, dass der common sense glänzen und die bloße Vernunft uns so bezaubern kann.“

Selbst Hollywood erkannte die Qualität seiner Geschichten. Zwischen 1915 und 1964 wurden 45 Filme nach Maughams Romanen und Erzählungen gedreht, mit Bette Davis, Greta Garbo, Humphrey Bogart und Orson Welles in den Hauptrollen.

Angefangen hatte Maugham als Theaterautor. Seine ersten Bühnenversuche fielen durch, dann kam 1907 mit „Lady Frederick“ der Durchbruch. Die folgenden Stücke wurden so erfolgreich, dass die Satirezeitschrift „Punch“ schon ein Jahr später einen wütenden Shakespeare vor den Premierenplakaten der neuesten Maugham-Aufführungen zeigte.

Der 34-jährige Dramatiker wurde über Nacht zum Star des West End. Aber nach 35 „well made plays“ machte er Schluss mit dem Theater. Die Konventionen der Bühne langweilten ihn, er wollte die Freiheit des Romanciers und neue Herausforderungen. Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs brachte beides.

Der studierte Mediziner Maugham ging 1914 als Sanitäter an die Front nach Frankreich und wurde Zeuge einiger der blutigsten Schlachten des ersten Kriegswinters. Doch schon im nächsten Frühjahr rekrutierte ihn der Geheimdienst Seiner Majestät und schickte ihn in die Schweiz. Er stieg im Genfer „Beau Rivage“ ab, nahm unter dem Cover des reisenden Schriftstellers die Berichte britischer Agenten aus Deutschland entgegen und leitete sie nach London weiter. Weil die geheimdienstlichen Botenaufträge ihn nicht ausfüllten, baute er einen eigenen Agentenring auf und sammelte Informationen über die deutschen Heeresbewegungen in Frankreich. Offenbar war er dabei so erfolgreich, dass seine Chefs ihn 1917 nach Russland entsandten, um mit 20000 Dollar die Machtübernahme der Bolschewiken zu verhindern.

Maugham, der dabei Kopf und Kragen riskierte und eine kurze, aber leidenschaftliche Affäre mit Fürst Kropotkins schöner Tochter Alexandra hatte, konnte Lenins Oktoberrevolution allerdings nicht aufhalten. Dennoch vertraute ihm der Secret Service als Dank für seine – übrigens unbezahlten – Dienste eine noch exotischere Mission an: Im September 1919 brach er zu seiner zweiten Weltreise auf, die ihn über Peking und Schanghai nach New York, San Francisco und Hawaii bis nach Sydney und Singapur führte, um die deutschen Aktivitäten im Pazifik zu observieren.

Es war der Beginn einer Lebensreise, an deren Ende Maugham, Zeitgenosse und Freund Winston Churchills, den Untergang des British Empire beschrieben hatte. In den Jahren von 1920 bis 1926 lebte er auf Schiffen und Sampans aus dem Koffer und sah Australien, Borneo, China, Malaya, Siam und Französisch-Indochina. Trotz seines guten Einkommens aus schriftstellerischer Arbeit reiste er selten luxuriös. Maugham und sein Sekretär und Geliebter Gerald Haxton fuhren auf altersschwachen Dampfern und halb verrotteten Seglern mit Abenteurern und Eingeborenen. Der Gentleman-Agent verbrachte manche Nacht an Deck auf einem harten Koprasack, weil Hitze und Gestank in den engen Kajüten unerträglich war.

Von Romantik unter dem Kreuz des Südens findet man in seinen Büchern nichts – dafür aber einen Ozean von Geschichten, auf denen die Wogen von Leidenschaft und Gewalt hoch gehen. Aber ist Somerset Maugham ein „maritimer Autor“ wie seine Vorbilder Robert Louis Stevenson oder Joseph Conrad?


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 63. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 63

No. 63August / September 2007

Von Holger Teschke

Holger Teschke, Jahrgang 1958, hat William Somerset Maugham auf einer Reise durch Kambodscha, Laos und Vietnam als literarischen Begleiter schätzen gelernt. In mare No. 53 schrieb er über die Bedeutung der Möwe in der Weltliteratur.

Die Romane und Erzählungen von W. S. Maugham erscheinen seit 2005 in revidierten Übersetzungen und Neuausgaben im Diogenes Verlag Zürich, der auch ein Hörbuch mit den Meistererzählungen herausgebracht hat.

Mehr Informationen
Vita Holger Teschke, Jahrgang 1958, hat William Somerset Maugham auf einer Reise durch Kambodscha, Laos und Vietnam als literarischen Begleiter schätzen gelernt. In mare No. 53 schrieb er über die Bedeutung der Möwe in der Weltliteratur.

Die Romane und Erzählungen von W. S. Maugham erscheinen seit 2005 in revidierten Übersetzungen und Neuausgaben im Diogenes Verlag Zürich, der auch ein Hörbuch mit den Meistererzählungen herausgebracht hat.
Person Von Holger Teschke
Vita Holger Teschke, Jahrgang 1958, hat William Somerset Maugham auf einer Reise durch Kambodscha, Laos und Vietnam als literarischen Begleiter schätzen gelernt. In mare No. 53 schrieb er über die Bedeutung der Möwe in der Weltliteratur.

Die Romane und Erzählungen von W. S. Maugham erscheinen seit 2005 in revidierten Übersetzungen und Neuausgaben im Diogenes Verlag Zürich, der auch ein Hörbuch mit den Meistererzählungen herausgebracht hat.
Person Von Holger Teschke