Auf nach Narragonien

Bis Goethe seinen „Werther“ schrieb, war es das populärste Buch in deutscher Sprache: Sebastian Brants „Narrenschiff“, eine mittelalterliche Satire des Menschlich-Allzumenschlichen. Bis heute beschäftigt es Philosophen wie Künstler in aller Welt

Crazy on a ship of fools/Turn this boat around /Back to my loving ground.“ So sang Robert Plant 1988 auf seinem Album „Now and Zen“. Ob dem einstigen Leadsänger von Led Zeppelin beim Dichten bewusst war, dass er die Titelzeile seines schmachtenden Liebeslieds einem Straßburger Gastwirtssohn zu verdanken hat, der im Jahr 1457 zur Welt gekommen war? Und welche verschlungenen Wege führen von jenem Sebastian Brant, der später als Rechtsprofessor in Basel wirkte, zu Reinhard Mey, Federico Fellini, Heinz Rühmann, der DDR-Rockgruppe Karat und dem französischen Philosophen Michel Foucault?

Ahnte der sich auch in Reimkunst versuchende Gelehrte Brant womöglich den Werdegang seines berühmtesten Buches, als er unter dem Titel „Von Fälschung und Beschiss“ folgende Zeilen vom Stapel ließ: „Betrüger sind und Fälscher viel, /die passen recht zum Narrenspiel. /Zu Gold man Kupfer jetzt auffrischt, /Mausdreck man untern Pfeffer mischt. /… /Selig ohn’ Zweifel ist der Mann, /der sich vor Fälschung hüten kann.“

Doch erzählen wir die Geschichte besser von Anfang an. Es geht dabei im Übrigen in erster Linie um eine schier einzigartige Erfolgsgeschichte. Es war 1494, als in der selbstbewussten Stadt Basel jenes Werk erschien, das bis zu Goethes „Werther“ das populärste Buch in deutscher Sprache sein würde: „Das Narrenschiff“ eben jenes Sebastian Brant. So, wie man später zwischen Aufklärung und Romantik wie Werther lieben und leiden würde, so schimpfte, mahnte und kalauerte es im deutschen Sprachraum der Vorreformation in der Manier des „Narrenschiffs“.

Ob Wollust oder Geschwätzigkeit, Gottesferne oder klerikale Faulheit, Geiz oder Verschwendungssucht, „nächtliches Hofieren“ oder „Verführung am Feiertag“: Sebastian Brant, geschult an den antiken Meistern von Ovid bis Cicero, fand in insgesamt 112 Kapiteln, die jeweils einem Laster gewidmet sind, für alles einen deftigen Reim.

Der gelehrte Mann, der sich nach seinem literarischen Erfolg in Straßburg um den Aufbau des Kranken- und Armenwesens verdient machte und vom Mainzer Kurfürsten mit einem Ratsherretitel geehrt wurde, sah bis zu seinem Tod im Mai 1521 wohl niemals das Meer. Was späterhin Musiker und Schriftsteller, Regisseure und Maler neben der Narrenthematik am meisten inspirierte, blieb für Sebastian Brant eine Metapher, eine Gedankenkonstruktion.

In seiner „Vorrede in das Narrenschiff“ heißt es: „Drum dachte ich zu dieser Frist, /wie ich das Narren Schiff ausrüst: /Galeen, Füst, Krack, Nauen, Bark/ Kiel, Weidling, Hornach, Rennschiff stark,/Schlitt, Karren, Stoßbären, Rollwagen./ Ein Schiff möchte die nit alle tragen,/ die jetzt sind in der Narren Zahl; /ein Teil kein Fuhr mehr findet überall, /die stieben zuher wie die Immen, /versuchen zu dem Schiff zu schwimmen; /ein jeder, der will Vormann sein; /viel Narren, Toren kommen drein/– der’ Bildnis hab ich hier gemacht.“

Brant entlehnte das Motiv seiner Dichtung einem mittelalterlichen Mythos, nach dem eine allzu zügellose Gesellschaft auf ein Schiff geladen und im Meer entsorgt wird, während gleichzeitig ein „Schiff des Heiles“ mit dem Kruzifix am Mastbaum dem „Hafenplatz des ewigen Lebens“ zusteuert. Keine Frage, wo es an Bord lustiger zuging, bei den Leichtmatrosen des Narrenschiffs oder auf der schwimmenden Betschwesterngaleere.

Der trotz allem maritime Sound kam jedenfalls an, jenes ganz neuartige Gleiten in der deutschen Sprache, von der man doch bislang gedacht hatte, sie eigne sich nicht zur Literatur und sei dem gelehrten Latein hoffnungslos unterlegen. Auch wenn es für uns Nachgeborene mitunter etwas moralistisch scheppert und dazu arg nach „Reim dich oder stirb“ klingt („Der ganzen Welt Wollüstigkeit/endet zuletzt mit Bitterkeit; /wiewohl Meister Epikurus /das höchste Gut setzet in Wollust“) – für die damalige Welt zwischen Spätmittelalter und noch gänzlich vage aufscheinender Renaissance bedeutete dies durchaus frischen Wind, sozusagen eine Weltumsegelung in 112 Kapiteln.


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 86. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 86

No. 86Juni / Juli 2011

Von Marko Martin

Marko Martin, Jahrgang 1970, Publizist und Schriftsteller aus Berlin, veröffentlichte zuletzt bei Eichborn den Erzählband Schlafende Hunde – und hält seit seiner Jugend die illustrierte Reclam-Ausgabe des Narrenschiffs“ von 1979 in allen Ehren.

Ship of Fools, die CD/DVD zu Danielle de Picciottos und Alexander Hackes Performance, ist bei Indigo erschienen. Aktuelle Projekte und Tourdaten des Künstlerpaars finden sich auf www.hitmansheel.de

Mehr Informationen
Vita Marko Martin, Jahrgang 1970, Publizist und Schriftsteller aus Berlin, veröffentlichte zuletzt bei Eichborn den Erzählband Schlafende Hunde – und hält seit seiner Jugend die illustrierte Reclam-Ausgabe des Narrenschiffs“ von 1979 in allen Ehren.

Ship of Fools, die CD/DVD zu Danielle de Picciottos und Alexander Hackes Performance, ist bei Indigo erschienen. Aktuelle Projekte und Tourdaten des Künstlerpaars finden sich auf www.hitmansheel.de
Person Von Marko Martin
Vita Marko Martin, Jahrgang 1970, Publizist und Schriftsteller aus Berlin, veröffentlichte zuletzt bei Eichborn den Erzählband Schlafende Hunde – und hält seit seiner Jugend die illustrierte Reclam-Ausgabe des Narrenschiffs“ von 1979 in allen Ehren.

Ship of Fools, die CD/DVD zu Danielle de Picciottos und Alexander Hackes Performance, ist bei Indigo erschienen. Aktuelle Projekte und Tourdaten des Künstlerpaars finden sich auf www.hitmansheel.de
Person Von Marko Martin