Auf einer Wellenlänge

Beredte Porträts – Surfer in aller Welt eint die eine Leidenschaft, die allen sportlichen Ehrgeiz übertrifft: die Welle

Für Heranwachsende im Kalifornien der 1970er war Surfer zu sein der Gipfel der Coolness. Das galt jedenfalls für mich. Klar, es gab damals viele Surfer. Oder eher: viele sogenannte Surfer. Um ein echter Surfer zu sein, reichte es nicht, ein Brett zu kaufen und sich von seiner Mutter als Surfpenner beschimpfen zu lassen. Damit war man nur jemand, der surfte. Der Unterschied lag in der unbedingten Hingabe. Ein Surfer war jemand, der alles stehen und liegen ließ – die Arbeit, die Mädchen, die Schule (ganz besonders die Schule) –, um sich bei passendem Wellengang in die Fluten zu stürzen. Wie gut man surfen konnte, war dabei zweitrangig. Das Wesentliche war die Bereitschaft, alles oder jedenfalls fast alles zugunsten des Surferlebens aufzugeben.

Wir sprachen damals von „Hardcore-Surfern“ – Kriegerseelen, die sich nichts und niemandem und schon gar keiner gesellschaftlichen Konvention unterwarfen, sondern dafür lebten, ungestört Wellen zu jagen. Typen, die in ihren Kleinbussen lebten, am Strand schliefen. Man fragte sich, wovon sie lebten. Einige arbeiteten als Rettungsschwimmer, um nahe am Meer zu sein, oder in Surfshops, um nahe am Surfen zu sein. Andere hatten richtige Berufe an Land, als Feuerwehrleute oder Lehrer, allerdings nur, weil ihnen das genug Zeit zum Surfen ließ.

Surfer hatten nicht nur Willensstärke, sie waren auch körperlich stark. Auf dem Brett zu stehen war noch die leichteste Übung. Doch mit den Armen immer wieder über Wellen hinweg und darunter hindurch zu paddeln, bis man es schließlich auf die richtigen, großen Brecher schaffte – das war es, was die Kerle von den Jünglingen unterschied. Drei bis vier Stunden lang, manchmal noch länger – waren die Wellen gut, machte einen das nur noch heißer und das Zurückpaddeln vor der vollkommenen Erschöpfung zum Ding der Unmöglichkeit. Bahnen schwimmen, Langstrecke laufen oder Gewichtheben brachten es nicht. Man musste einfach surfen. Wir nannten das „Surf-Kondi“. Ich war als Schüler Stabhochspringer, in der Uni dann Zehnkämpfer und Leistungsruderer, also ganz fit, doch ohne regelmäßiges Surfen lief nichts. Wir ernährten uns extrem ungesund (das einzige Grünzeug, das wir zu uns nahmen, war der Salat auf den Big Macs), doch solange wir regelmäßig surften, waren wir gegen alles gewappnet, was Neptun auf Lager hatte.

Die meisten Leute glauben, man müsse nur an den Strand gehen und lossurfen. Das wäre allerdings bequem. Es müssen jedoch eine Reihe von Faktoren zusammentreffen – Dünung, Wind und Tide müssen stimmen, die passende Strömung ist auch von Vorteil, und natürlich der richtige Strand –, was bedeutet, dass brauchbare Wellen ein seltenes Gut sind. Genau darum arrangieren Surfer ihr Leben um ihre Sportart herum und vergessen alles andere, sobald die Brandung günstig ist und sie sich dumm und dusselig surfen können.

Die meisten Leute denken beim Surfen an Sommer. Das liegt vermutlich am Kultfilm „The Endless Summer“ und den sonnigen Gute-Laune-Hits der Beach Boys (kleine Anmerkung am Rand: Surfmusik ist das einzige musikalische Genre, das auf eine Sportart zurückgeht). Doch diese sommerlichen Strandbilder zeigen nur die halbe Wahrheit. Besonders schön finde ich die Zeile aus dem Beach-Boys-Song „Surfin’ U.S.A.“: „We’re waxin’ down our surfboards, we can’t wait for June.“ Auf den Juni warten? Wohl eher auf den September oder Oktober. Surfer fieberten darauf hin, dass die sommerlichen Good Vibrations und der Fun, Fun, Fun endlich vorbei waren. Wir sehnten uns danach, dass die Massen sich von den Stränden und aus dem Meer verzogen und wir nicht mehr um Wellen kämpfen mussten … oder um Parkplätze.

Der Winter war des Surfers Freund. Denn dann wurden die Wellen höher, das Strandhasenpublikum blieb aus, und dementsprechend war weniger los im Meer. Trotzdem musste man der Meute eine Nasenlänge voraus bleiben. Eines Neujahrsmorgens, als ich sicher war, dass alle anderen noch schliefen, stieg ich in aller Frühe aus den Federn und fand anständige Wellen am Zuma Beach, ganz für mich allein. Ich hielt es eine halbe Stunde im Wasser aus. Es war bitterkalt. Das einzig Gute daran war, dass ich nichts gespürt hätte, wenn mir ein Hai den Fuß abgebissen hätte. Als ich aus dem Wasser kam, waren meine Hände ungefähr so geschickt wie Seehundflossen. Es dauerte eine Stunde, bis meine Finger so weit aufgetaut waren, dass ich den Neoprenanzug ausziehen, meinen Autoschlüssel greifen und ihn fest genug halten konnte, um die Tür meines VW Käfers zu öffnen und ihn anzulassen.


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mare No. 133

No. 133April / Mai 2019

Von Stephan Vanfleteren und Kevin McAleer

Stephan Vanfleteren, Jahrgang 1969, lebt als freier Fotograf für Panos Pictures im flandrischen Veurne. Eineinhalb Jahre reiste der Belgier an viele Küsten, um in die Welt der Surfer einzutauchen – und in Nahaufnahmen ihre Persönlichkeit an die Oberfläche zu bringen.

Kevin McAleer, 1961 in Santa Monica, Kalifornien, geboren, lebt und arbeitet heute als Schriftsteller und Übersetzer in Berlin. Er ist der Verfasser des Romans „Surferboy“ (deutsche Erstausgabe: mareverlag, 2015) und veröffentlichte zuletzt „Errol Flynn: An Epic Life“ (PalmArtPress, 2018), eine Biografie als Versepos.

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Vita Stephan Vanfleteren, Jahrgang 1969, lebt als freier Fotograf für Panos Pictures im flandrischen Veurne. Eineinhalb Jahre reiste der Belgier an viele Küsten, um in die Welt der Surfer einzutauchen – und in Nahaufnahmen ihre Persönlichkeit an die Oberfläche zu bringen.

Kevin McAleer, 1961 in Santa Monica, Kalifornien, geboren, lebt und arbeitet heute als Schriftsteller und Übersetzer in Berlin. Er ist der Verfasser des Romans „Surferboy“ (deutsche Erstausgabe: mareverlag, 2015) und veröffentlichte zuletzt „Errol Flynn: An Epic Life“ (PalmArtPress, 2018), eine Biografie als Versepos.
Person Von Stephan Vanfleteren und Kevin McAleer
Vita Stephan Vanfleteren, Jahrgang 1969, lebt als freier Fotograf für Panos Pictures im flandrischen Veurne. Eineinhalb Jahre reiste der Belgier an viele Küsten, um in die Welt der Surfer einzutauchen – und in Nahaufnahmen ihre Persönlichkeit an die Oberfläche zu bringen.

Kevin McAleer, 1961 in Santa Monica, Kalifornien, geboren, lebt und arbeitet heute als Schriftsteller und Übersetzer in Berlin. Er ist der Verfasser des Romans „Surferboy“ (deutsche Erstausgabe: mareverlag, 2015) und veröffentlichte zuletzt „Errol Flynn: An Epic Life“ (PalmArtPress, 2018), eine Biografie als Versepos.
Person Von Stephan Vanfleteren und Kevin McAleer