Am Ende der Lebensfahrt

Warum malte Arnold Böcklin seine „Toteninsel“ gleich in fünf Versionen? Weil es der illustren Kundschaft so gut gefiel – und weil ihn das Sujet nicht wieder losließ

Sergej Rachmaninow hat sich von ihr zu einer Tondichtung inspirieren lassen, Wassily Kandinsky und Giorgio de Chirico sahen sie als Wegbereiterin der abstrakten Moderne, und Adolf Hitler ließ sie in seinem Domizil am Obersalzberg und später dann in der Berliner Reichskanzlei aufhängen. Die Rede ist von der „Toteninsel“ des Schweizer Malers Arnold Böcklin, die tatsächlich mehr als nur ein Gemälde zu sein scheint. Nicht nur, dass das auf den ersten Blick reichlich konventionell anmutende Bild Komponisten und Malerkollegen, Traumdeuter und Diktatoren, Museumsbesucher und Galeristen wie kaum ein anderes Werk der Kunstgeschichte in einen Taumel versetzte – es existiert dazu auch noch in fünf Fassungen. Hinzu kommt, dass seit einigen Jahren ein montenegrinisches Inselchen namens Sveti Djordje mit dem offensichtlich nicht urheberrechtlich geschützten Label „Toteninsel“ wirbt, obwohl Böcklin sich wohl von der kleinen Insel mit dem Kastell Alfonsos von Aragonien vor Ischia hatte anregen lassen. Wie kam es zu all dem?

Am Anfang stand wie so oft eine Auftragsarbeit, doch bereits hier fängt die Verwirrung an. Eine Witwe namens Marie Berna – natürlich „schön und jung“ und darüber hinaus die spätere Gräfin von Oriola – habe im Frühjahr des Jahres 1880 bei dem zu jener Zeit in Florenz lebenden Böcklin „ein Bild zum Träumen“ bestellt. So ist es immer wieder zu lesen, und in dieser romantischen Gestimmtheit lässt sich dann auch die daraufhin gemalte „Toteninsel“ mit ihren berühmten Grüften, den streng aufragenden Zypressen und dem Totenkahn im Metropolitan Museum zu New York betrachten. Alles scheint so erhebend passend zu sein – oder fast.

Tatsache jedoch ist, dass der 1827 in Basel geborene Böcklin Zeit seines Lebens und trotz seiner stilprägenden Berühmtheit andauernd mit finanziellen Problemen konfrontiert war, die ihn – nach Aufenthalten in München und Florenz – immer wieder in die Schweiz zurückzwangen, ehe er nach einem Schlaganfall als alter Mann dann doch noch ins geliebte Italien zurückkehren konnte, wo er im Januar 1901 starb und auf dem Protestantischen Friedhof vor den Toren von Florenz seine letzte Ruhe fand. Es ist, als transportiere der weiß gekleidete Charon der Toteninsel am Ende auch Böcklins Sarg in seiner Barke – so jedenfalls mag es zu empfinden sein, wenn man vor dem feierliche Stille und Erhabenheit ausstrahlenden Gemälde steht und sich angesichts seines himmlischen Blaus so allerlei Gedanken macht.

Doch zurück zu unserer Gräfin. Sie war jedenfalls die Erste nicht, denn bereits Anfang des Jahres 1880 hatte Böcklin seine „Toteninsel“ gemalt – und zwar auf Bestellung seines Mäzens Alexander Günther. Wer weiß, wie stark Böcklin auf Auftraggeber, Unterstützer und Fürsprecher angewiesen war, wie er in München (mit Adolf Friedrich Graf von Schack), in Weimar (mit dem berühmten Porträtisten Franz von Lenbach), in Rom (mit dem späteren Literaturnobelpreisträger und seinerzeit äußerst populären Kitschier Paul Heyse) und selbst im heimischen Basel (mit dem Historiker Jacob Burckhardt) immer wieder Freundschaften schloss, die, gelinde gesagt, seiner Reputation nützlich waren, der ahnt, dass zwar müßige Gräfinnen Zeit zum Träumen hatten, mitnichten aber ein Maler, dessen hehre Kunst eben auch nach Brot gehen musste. Also alles Routine statt seherischer Inspiration? Wenn es so einfach wäre, die „Toteninsel“ hätte ihren Nimbus nicht.

Wahrheit nämlich ist auch, dass Böcklin die erste Version des Bildes – es hängt heute im Basler Kunstmuseum – seinem Mäzen nicht gleich schickte, sondern sich sofort an die Arbeit der zweiten Variante machte, die dann nicht nur die schöne Witwe erfreute, sondern bis heute Menschen in aller Welt an den Namen Arnold Böcklin denken lässt. Das ursprüngliche Orange der Felsen changiert hier eher ins Graue, Himmel und Meer sind von dunklerem Blau, obgleich die Strenge der Komposition erhalten bleibt. Was aber bewog dann Böcklins Galeristen Fritz Gurlitt, drei Jahre später eine nunmehr dritte Version zu bestellen, damit der Zeichner Max Klinger davon eine Radierung anfertigen konnte, die sich als Kunstdruck in großer Stückzahl auf den Markt werfen ließ?

Sicher, pekuniäre Interessen spielten die Hauptrolle, quasi als Vorwegnahme von Benjamins hellsichtigem 20.-Jahrhundert-Essay über „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“. Doch hatte nicht Böcklin bereits zuvor Bilder wie jenes der sterbenden Kleopatra oder das Selbstporträt mit dem „fiedelnden Tod“ gemalt, die ein feines Gespür für den antikisierenden Totenkult der Epoche und die Publikumssehnsucht nach gepflegter Morbidität verrieten? So kalkulierbar der gängige Zeitgeschmack jedoch auch scheint, so vermeintlich mühelos erfüllbar seine Vorgaben – stets ist trotz allem das viel zitierte „gewisse Etwas“ vonnöten, das eben jene erwartbaren Sehnsüchte nicht nur bedient, sondern auch ein Stück über sie selbst hinauszutragen vermag.


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mare No. 64

No. 64Oktober / November 2007

Von Marko Martin

Marko Martin, Jahrgang 1970, lebt als Schriftsteller in Berlin. Zuletzt erschien Sommer 1990 (Deutsche Verlagsanstalt). Museen besucht er häufig – trotz preziöser Ausstellungsmacherprosa, die ihn regelmäßig in den Wahnsinn treibt.

Dank geht an Dr. Hans Holenweg, den Stifter und Betreuer des Böcklin-Archivs im Kunstmuseum Basel.

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Vita Marko Martin, Jahrgang 1970, lebt als Schriftsteller in Berlin. Zuletzt erschien Sommer 1990 (Deutsche Verlagsanstalt). Museen besucht er häufig – trotz preziöser Ausstellungsmacherprosa, die ihn regelmäßig in den Wahnsinn treibt.

Dank geht an Dr. Hans Holenweg, den Stifter und Betreuer des Böcklin-Archivs im Kunstmuseum Basel.
Person Von Marko Martin
Vita Marko Martin, Jahrgang 1970, lebt als Schriftsteller in Berlin. Zuletzt erschien Sommer 1990 (Deutsche Verlagsanstalt). Museen besucht er häufig – trotz preziöser Ausstellungsmacherprosa, die ihn regelmäßig in den Wahnsinn treibt.

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