„Flooded meadow“, überflutete Wiese, dieser Spitzname für die Ostsee klingt nach sanft schwappenden Wellen. Die Ostsee ist ein Kind der letzten Eiszeit: ein riesiger Schmelzwassersee, der zum flachen Binnenmeer wurde, gefüllt mit Brackwasser, nicht richtig süß, nicht richtig salzig. Ein Meer mit steilen Küsten und langen Stränden, mal Sand, oft Kies, mit einigen größeren Inseln, sehr vielen kleinen und ohne nennenswerte Gezeiten. Ein Segelrevier. Die Ostsee ist ein Ziel für den Familienurlaub, wenn es am Mittelmeer zu heiß wird und an der Nordsee zu viel Brandung gibt. Wir denken bei Sommer in der schwedischen Schärenwelt an die heile Welt in Astrid Lindgrens „Ferien auf Saltkrokan“.
Ein ganz anderes Stück spielt auf der geostrategischen Ostseebühne, seit Russland die Ukraine überfallen hat. Das Genre ist irgendetwas zwischen Krimi und Thriller mit Sabotage, Spionage und dem Bruch von Sanktionen. Konkret heißt das: eine Explosion an der Gaspipeline „Nord Stream 2“; mehr als ein Dutzend weiterer durchtrennter Rohrleitungen und Kabel; russische Forschungsschiffe mit bewaffneten Soldaten an Bord, die im Zickzack strategische Bereiche abfahren; Schiffe, die ihre automatischen Identifikationstransponder ausschalten; Sicherheitskräfte verschiedener Nationen, die Schiffe bei ihrem Weg durch die Ostsee beschatten; Tanker, die im Verdacht stehen, Sanktionen zu brechen und immer wieder der Begriff der russischen Schattenflotte.
Deren Akteure sind ein loses Geflecht alter Tanker und stummer Frachter. Bis zu 500 Schiffe werden der Schattenflotte zugerechnet. Sie brechen Sanktionen, bedrohen die Umwelt, und manche werden der Spionage und Sabotage verdächtigt. Sie führen die Flaggen von den Cookinseln, Gabun, Honduras, Sierra Leone, Vietnam und anderen Staaten, die nicht im Ruf stehen, es mit den Bedingungen für eine Registrierung allzu genau zu nehmen. Ob die Schiffe unter ihrer Flagge den internationalen Mindestanforderungen an Sicherheit und Umweltschutz entsprechen, muss genauso bezweifelt werden wie ihr Versicherungsstatus.
Wenn die Schiffe der Schattenflotte Öl über die Ostsee herausbringen, damit die Hintermänner es in Drittstaaten oberhalb der Preisgrenze verkaufen, umgeht das die Wirtschaftssanktionen gegen Russland. Abnehmer dafür finden sich – China und Indien zählen zu den wichtigsten Kunden. Anderenfalls wird das automatische Schiffssignal ausgeschaltet, um Route und Ziel der Fracht zu verschleiern. Oder die Ladung wird auf See auf ein unverdächtiges Schiff umgepumpt. Mit falschen Frachtpapieren lässt sich das Öl weltweit ohne Preisbeschränkung verkaufen.
Der Versuch, Reeder oder Charterer für illegale Geschäfte zur Verantwortung zu ziehen, scheitert meist. Die wahren Eigner der rostigen Tanker verbergen sich hinter Briefkastenfirmen in Offshore-Staaten. Sie lassen sich schwer bis gar nicht zurückverfolgen. Werden sie trotzdem sanktioniert, taucht am nächsten Tag eine neue Firma mit anderer Adresse auf, die das Business weiterführt. Auch der Weg der Gewinne verläuft sich zunächst in den Tiefen der internationalen Wirtschaftskriminalität, ehe die Erlöse Russlands Kriegskasse mit Milliarden füllen.
Es gibt schwarze Listen mit Schattenschiffen, die europäische Häfen nicht mehr anlaufen dürfen, ganz gleich, welche Flagge sie tragen, wem sie gehören und wie sie heißen. Auch die USA haben ein weitreichendes System der Sanktionierung, das Käufer der Fracht, Versicherer und Banken einschließt. Die neue US-Regierung hat aber auch angekündigt, sich daraus zurückzuziehen. Und so windet sich die Flotte immer wieder durch die Ostsee, oft ohne Signal, mit wechselnden Namen und wechselnden Flaggen unter den Blicken der nationalen Einsatzkräfte, aber weitgehend unbehelligt. Ihnen den Weg durch internationale Gewässer gänzlich zu versperren scheitert am geltenden Recht.
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Nele Matz-Lück, Jahrgang 1973, ist Professorin für Seerecht. Ihr Arbeitsplatz liegt nur wenige hundert Meter von der Kieler Förde entfernt. Das Meer ist also stets nah, nicht nur geografisch, sondern auch in der Reflexion, wie wir diesen Raum, der Heimat für unzählige Lebewesen ist, besser schützen können.
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Vita | Nele Matz-Lück, Jahrgang 1973, ist Professorin für Seerecht. Ihr Arbeitsplatz liegt nur wenige hundert Meter von der Kieler Förde entfernt. Das Meer ist also stets nah, nicht nur geografisch, sondern auch in der Reflexion, wie wir diesen Raum, der Heimat für unzählige Lebewesen ist, besser schützen können. |
Person | Von Nele Matz-Lück |
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Vita | Nele Matz-Lück, Jahrgang 1973, ist Professorin für Seerecht. Ihr Arbeitsplatz liegt nur wenige hundert Meter von der Kieler Förde entfernt. Das Meer ist also stets nah, nicht nur geografisch, sondern auch in der Reflexion, wie wir diesen Raum, der Heimat für unzählige Lebewesen ist, besser schützen können. |
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