Wo tote Materie das Leben gebiert

Der Meeresboden bietet die Rohstoffquellen des neuen Jahrhunderts

Über kein anderes Thema hat die Wissenschaft in den vergangenen fünfzig Jahren ihre Auffassung so radikal geändert wie über den Boden der Tiefsee. Alle nahmen an, er sei flach, die weiteste Ebene des Planeten Erde, sandig, kalt, ohne Bewegung und Leben. Weil es dort kein Licht gebe und so auch keine Photosynthese, habe dort kein Leben entstehen können.

Die Phantasie, Legenden sowie die Zukunftsromane boten da schon mehr. Hier war der Boden der Tiefsee von Drachen, Feuern und riesigen Schlangen erfüllt, als sei die Existenz von Leben in der Tiefsee spürbar. Erstaunlicherweise sagte Jules Verne bereits 1870 voraus, daß „in den Tiefen der Ozeane Minen liegen, deren Zink-, Eisen-, Silber- und Goldvorkommen sich relativ einfach ausbeuten lassen.“

Die Theologen hatten ebenfalls eine konkrete Vorstellung vom Entstehen und Aussehen des Meeresbodens. Die Sintflut hatte die Kontinente voneinander geschieden, und dabei waren die Ozeane und der Boden der Ozeane entstanden. „Vor der Sintflut war Amerika nicht von den anderen Teilen der Erde getrennt, und es gab keine Inseln“, schrieb der französische Theologe François Placet 1666.

90 Jahre später bestätigte Theodor Christoph Lilienthal, Theologe an der Universität Königsberg, daß es tatsächlich die Sintflut war, die die Kontinente voneinander geschieden hatte. Das sei schon daran ersichtlich, „daß die einander gegenüberliegenden Küsten vieler Länder, obwohl durch das Meer getrennt, einen übereinstimmenden Verlauf haben. Nebeneinandergelegt würden sie einander ausfüllen, wie beispielsweise die südlichen Teile Amerikas und Afrikas.

Die gewagtesten vorwissenschaftlichen Spekulationen kamen von Alfred Wegener. Der Meteorologe und Forschungsreisende stellte seine revolutionäre These von der „Kontinentalverschiebung“ im Jahre 1912 auf. Bei den anderen Wissenschaftlern seiner Zeit stieß Wegeners Annahme einer ständigen Bewegtheit der unterseeischen Erdkruste auf größte Skepsis, und es dauerte fast ein halbes Jahrhundert, bis er Recht erhielt. Die Wissenschaft unserer Zeit bestätigt, was Mythos, Legende und Science-fiction bereits geahnt hatten ...

Die Erkenntnisse

Neue Techniken wie Kernbohrung, Echolotvermessung und die Altersbestimmung durch Radioaktivität führten zu grandiosen Theorien über die Bewegung des Tiefseebodens. Einer der Urheber der Plattentektonik, wie diese Theorie heute genannt wird, Harry Hess von der Princeton-Universität, schrieb 1965: „Der ganze Ozean wird alle 300 bis 400 Millionen Jahre buchstäblich leergefegt ...“

Das beginnt in der Mitte des Ozeans, der, wie wir heute wissen, von gewaltigen Unterwassergebirgen beherrscht wird. Sie sind größer als alles auf der Erdoberfläche. Diese Bergrücken werden von einer Senke gespalten, aus der geschmolzener Basalt strömt, der die Erdkruste um den sich ausbreitenden Ozeanboden vergrößert. Während eines Menschenalters streckt sich der Seeboden um eine Manneslänge.

Auf solche Weise wachsen die Ozeane, und die Kontinente werden auseinandergepreßt. Sie bewegen sich über dem Basaltgrund auf gewaltigen tektonischen Platten. Gegenwärtig gibt es sieben größere Platten, von denen einige keinen Kontinent tragen. Sie driften auseinander und schieben gegeneinander. Wenn sie zusammenstoßen, drücken sich Oberflächen, die bis dahin unter dem Wasser lagen, hoch in den Himmel. Deswegen finden wir auch versteinerte Muscheln im Himalaja und Abdrücke von Fischen auf dem Matterhorn.

Die Bodenschätze

Seewasser und Ozeanrinde beeinflussen sich. Seit Millionen von Jahren sickert kaltes Seewasser durch Spalten und reagiert mit dem Rindengestein. Das Wasser wird von Vulkanfelsen erhitzt und absorbiert dabei Schwermetalle. Diese heiße Lösung mit ihren Schwermetallen gelangt schließlich wieder an den Ozeanboden. Dort vermischt sie sich mit dem kälteren Bodenwasser, und die Metalle werden ausgefällt und als Sediment abgelagert. Sedimentreiche Bassins sind in der Mitte des Roten Meers aufgespürt worden, und es kommen ständig neue hinzu.

Bosko Lonkarevic vom Bedford-Institut für Ozeanographie vermutete bereits 1972, daß solche Vorkommen überall entlang der 70000 Kilometer mittelozeanischer Berg-ketten auftreten. „Sollte das der Fall sein, ist die Menge an Metall, die den Bergleuten der Zukunft zur Verfügung steht, wirklich atemberaubend. Nur darüber zu spekulieren, wie sich diese Reichtümer ausbeuten lassen, würde heute wie Science-fiction klingen.“

Heute handelt es sich dabei nicht mehr um Science-fiction. Die polymetallischen Knollen, die den Boden des Zentralpazifiks oder des Indischen Ozeans bedecken, sollten als erste ausgebeutet werden. Da sie hauptsächlich außerhalb der Grenzen nationaler Gesetzgebung liegen, in einer Tiefe von etwa 5000 Metern, erklärten die Vereinten Nationen sie 1970 zum gemeinsamen Erbe der Menschheit, das zum Nutzen der gesamten Erdbevölkerung einzusetzen sei, insbesondere auch der armen Länder. Die Rohstoffe sollen ohne Schädigung der Umwelt verwaltet und für künftige Generationen zu ausschließlich friedlichen Zwecken bewahrt werden.

Diese Ideale wurden 1982 in der Konvention der Vereinten Nationen zum Gesetz der Meere, dem Law of the Sea, niedergelegt. Sie trat 1994 in Kraft. Im selben Jahr richtete die UN auf Jamaica die International Seabed Authority ein, die Meeresbodenbehörde, die über das Erbe an Rohstoffen wacht und es verwaltet.

Allerdings hat die sogenannte Dritte Industrielle Revolution mit ihrer Miniaturisierung, dem Recycling sowie der Produktion von Kunststoffen die Nachfrage nach Metallen wie Nickel, Kupfer und Mangan sinken lassen. Deshalb hält man den Abbau dieser Knollen gegenwärtig nicht für wirtschaftlich sinnvoll. Dafür werden andere Rohstoffe wichtiger.

Im Dezember 1997 gaben die in Australien ansässige Commonwealth-Organisation für wissenschaftliche und industrielle Forschung und die Firma Nautilus Minerals Corporation bekannt, daß ihnen Probeschürfungen in der Bismarck-See genehmigt worden seien. Das 5000 Quadratkilometer große Gebiet in der Schutzzone Papua-Neuguineas beherbergt vermutlich die reichsten vulkanischen Ablagerungen, die jemals im Meer gefunden worden sind. Ihr Wert wird auf mehrere Milliarden Dollar geschätzt.

Neben Schwermetallen enthielten die Erzproben einen enorm hohen Gold- und Silberanteil. Im sogenannten SuSu-Hügel wurden 21 Gramm Gold und 130 Gramm Silber pro Tonne gefunden! „In etwa einer Meile Tiefe“, berichtete die New York Times, „brodelt es von vulkanischen Quellen. Die felsige Oberfläche ist mit Eisen, Zink, Kupfer, Silber und Gold in hoher Konzentration durchsetzt.“

Es hat also den Anschein, daß die Vorhersagen Professor Lonkarevics eher eine Untertreibung darstellen. Reiche Mineralvorkommen werden nicht nur entlang des mittel-ozeanischen Rückens entdeckt, sondern überall, wo die tektonischen Platten zusammenstoßen oder auseinanderstreben – dort also, wo Vulkantätigkeit „heiße Stellen“ entstehen läßt wie die „Smokers“, die in den Gewässern vor Ecuador, an der Westküste Nordamerikas und im Südpazifik entdeckt worden sind.

Aber das ist nicht alles: Das Tiefseebett könnte im nächsten Jahrhundert zur wichtigen Energiequelle werden. Und zwar durch seine Gashydratvorkommen. Bei diesen Methanhydraten handelt es sich um Eiskristalle, die unter hohem Druck und bei geringen Temperaturen in der Tiefsee entstehen. „Die Menge der in Gashydraten gebundenen Kohlenstoffe beträgt nach zurückhaltenden Schätzungen das Doppelte aller Kohlenstoffe in sämtlichen bekannten fossilen Brennstofflagerstätten der Erde“, schrieb bereits 1972 William Dillon vom US-Programm zur Untersuchung der Meeres- und Küstengeologie. Forscher in den USA, Japan und der EU beschäftigen sich intensiv mit den Gashydraten, und es existieren bereits futuristisch anmutende Szenarien über den Abbau dieser Brennstoffe.*

Ein weiterer Nutzen des Meeresbodens entspringt der Tatsache, daß man Kabel darauf verlegen kann. Die Fortschritte in der Glasfasertechnik haben Überseekabel zum lohnenden Investment gemacht. Ein 300000 Kilometer umfassendes globales Netzwerk soll die bisherige Übertragungskapazität um das Zwanzigfache steigern. An den Investitionen in Höhe von 13 Milliarden Dollar sind Glasfaserkabel-Firmen mit Jahreseinnahmen von insgesamt 1000 Milliarden Dollar beteiligt. In der Kommunikationstechnik liegt wohl die lukrativste Verwertbarkeit des Tiefseebodens.


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mare No. 13

No. 13April / Mai 1999

Ein Essay von Elisabeth Mann Borgese

Elisabeth Mann Borgese, Jahrgang 1918, jüngste Tochter von Thomas Mann, ist Professorin für Seerecht an der Dalhousie-Universität Halifax. Sie gehört zu den Gründungsmitgliedern des Club of Rome, rief das International Ocean Institute ins Leben, arbeitet in zahlreichen Gremien und veröffentlichte viele Bücher, darunter: Wen es angeht (Kurzgeschichten, 1962), The Ocean Regime (1968), Seafarm (eine Geschichte der Aquakultur, 1982), Die Zukunft der Ozeane und Kreislauf der Meere (Berichte an den Club of Rome, 1987 bzw. 1998).

Ihr Porträt – Nikolaus Gelpke: Botschafterin der Meere – erschien in mare No. 1. In mare No. 5 kommentierte sie den Begriff „Freiheit der Meere“. Sie war zudem Mitglied der Jury, die den mare-Förderpreis vergab (siehe Heft 12)

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Vita Elisabeth Mann Borgese, Jahrgang 1918, jüngste Tochter von Thomas Mann, ist Professorin für Seerecht an der Dalhousie-Universität Halifax. Sie gehört zu den Gründungsmitgliedern des Club of Rome, rief das International Ocean Institute ins Leben, arbeitet in zahlreichen Gremien und veröffentlichte viele Bücher, darunter: Wen es angeht (Kurzgeschichten, 1962), The Ocean Regime (1968), Seafarm (eine Geschichte der Aquakultur, 1982), Die Zukunft der Ozeane und Kreislauf der Meere (Berichte an den Club of Rome, 1987 bzw. 1998).

Ihr Porträt – Nikolaus Gelpke: Botschafterin der Meere – erschien in mare No. 1. In mare No. 5 kommentierte sie den Begriff „Freiheit der Meere“. Sie war zudem Mitglied der Jury, die den mare-Förderpreis vergab (siehe Heft 12)
Person Ein Essay von Elisabeth Mann Borgese
Vita Elisabeth Mann Borgese, Jahrgang 1918, jüngste Tochter von Thomas Mann, ist Professorin für Seerecht an der Dalhousie-Universität Halifax. Sie gehört zu den Gründungsmitgliedern des Club of Rome, rief das International Ocean Institute ins Leben, arbeitet in zahlreichen Gremien und veröffentlichte viele Bücher, darunter: Wen es angeht (Kurzgeschichten, 1962), The Ocean Regime (1968), Seafarm (eine Geschichte der Aquakultur, 1982), Die Zukunft der Ozeane und Kreislauf der Meere (Berichte an den Club of Rome, 1987 bzw. 1998).

Ihr Porträt – Nikolaus Gelpke: Botschafterin der Meere – erschien in mare No. 1. In mare No. 5 kommentierte sie den Begriff „Freiheit der Meere“. Sie war zudem Mitglied der Jury, die den mare-Förderpreis vergab (siehe Heft 12)
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