Elisabeth Mann

Sie liebte die Ozeane wie kein anderes Mitglied der Familie und machte es zum Lebensinhalt. Ihr Vermächtnis wirkt bis heute

Wie viele Jahre benötigt ein Lebenswerk, und in welchem Alter konsolidiert man seine Arbeit und zieht sich ins Private zurück? Obwohl es dafür keine allgemeingültige Regel gibt, würde man nicht spontan behaupten, dass eine Person ihr Leben einer Sache gewidmet hätte, wenn sie sich dieser erst im Alter von 50 Jahren zuwandte. Die jüngste Tochter Thomas Manns war demnach vieles, nicht nur eine späte Meeresbotschaf- terin.

Elisabeth Mann Borgese war, geprägt durch die Familie, den dominanten Vater, interessiert an Kultur und Politik. Und in beiden Bereichen wurde sie mit herausragender Beharrlichkeit und verspieltem Charme bemerkenswert erfolgreich. Am Zürcher Konservatorium ließ sie sich als Pianistin ausbilden und spielte ihr Leben lang. Am Rang zweier ihrer Lehrer, Wladimir Horowitz und vor allem Rudolf Serkin, lässt sich erkennen, wie begabt Elisabeth im Spiel war. Allein diese Karriere hätte bei Normalsterblichen als Lebenswerk gegolten. In ihrem Haus bei Halifax in Nova Scotia standen zwei Flügel, ein Bechstein in der Bibliothek und ein Bösendorfer in ihrem Arbeitszimmer im ersten Stock mit Blick aus einem riesigen Fenster auf den Atlantik. Nahezu jeden Abend spielte sie. Ich lag ihr dabei viele Monate in jeder Hinsicht zu Füßen und lauschte einer romantischen, empfindsamen Elisabeth, der Pianistin.

Ihr tiefes Interesse an Politik manifestierte sich schon an der Tatsache, dass sie mit 18 Jahren ein Buch des italienischen Historikers und Politikwissenschaftlers Giuseppe Antonio Borgese las, daraufhin beschloss, ihn zu heiraten, und dies drei Jahre später auch tat. An seiner Seite verfasste sie unter dem Eindruck des Atombombenabwurfs über Hiroshima 1945 eine neue Weltverfassung, die, 1948 in einer ersten Fassung publiziert, in mehr als 40 Sprachen übersetzt und millionenfach publiziert wurde. Ihr Engagement für eine friedlichere Welt, einer zentral und von allen Nationen gleichermaßen geführten, in der sozialer Ausgleich und Nachhaltigkeit von Ökonomie und Ökologie untrennbar sind, leitete sie ihr ganzes Leben, das der Politikerin Elisabeth.

Und wo sind die Meere in Elisabeth Mann Borgeses Leben? Als ich das erste Buch bei mare verlegte, ihren zweiten Bericht an den Club of Rome, „Mit den Meeren leben“, bat ich sie um ein Vorwort. Ich wollte endlich und erstmalig schriftlich von ihr, was sie zu den Ozeanen führte. Es wurde einer ihrer persönlichsten Texte. Darin beschrieb sie zwei Strömungen, die in ihr zusammenflössen.

Die eine war ihre erste Reise ans Meer, mit ihrem Vater und ihrem Bruder Michael, nach Travemünde in ihre „Zauberwelt“. Schon auf der Fahrt „taumelte“ sie „zwischen Erregung und Benommenheit“. Als sie das Meer erblickte, beeindruckte sie zutiefst der Horizont. „Und was ist hinter dem Horizont?“, fragte sie ihren Vater. „Der Horizont und dahinter wieder der Horizont. Je weiter du hinausruderst, umso weiter zieht sich der Horizont zurück, sodass du immer nur einen Horizont siehst; bis ganz, ganz zuletzt Land in Sicht kommt, und dann ist der Horizont verschwunden.“ Weiter schrieb sie: „Am Strand sind alle Kinder brav; man kann gar nicht anders. Vielleicht ein früher Hinweis auf den Gedanken, den ich später in diesem Buch entwickeln werde: Das Leben mit dem Meer zwingt uns, anders zu denken; neu zu denken und anders zu handeln.“


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mare No. 101

No. 101Dezember 2013 / Januar 2014

Von Nikolaus Gelpke

Nikolaus Gelpke, Jahrgang 1962, ist Gründer und Verleger von mare. Elisabeth Mann Borgese wurde zum Spiritus Rector und guten Geist des Verlags.

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Vita Nikolaus Gelpke, Jahrgang 1962, ist Gründer und Verleger von mare. Elisabeth Mann Borgese wurde zum Spiritus Rector und guten Geist des Verlags.
Person Von Nikolaus Gelpke
Vita Nikolaus Gelpke, Jahrgang 1962, ist Gründer und Verleger von mare. Elisabeth Mann Borgese wurde zum Spiritus Rector und guten Geist des Verlags.
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