Wo bleibt John?

Seit 60 Jahren glauben die Bewohner der Pazifikinsel Tanna an einen Gott namens John. Seine frohe Botschaft lautet: Arbeitet nicht, feiert lieber. Dann bringe ich Geschenke

Dies ist eine Südseegeschichte. Sie handelt von der Sehnsucht. Von der bunten Ferne, jener nie gesehenen, vertrauten Gegenwelt, nach der sich ein Mensch streckt. Ein Mensch wie Chief Isaac Lastuan.

Seine Geschichte beginnt auf der Pazifikinsel Tanna, zu einer Zeit, als man dort noch nichts von der Fremde wusste. Jeder Tag war wie der andere, und jeder Tag war gut. Der Dschungel schloss noch das Licht aus ihrer Welt. Ein immerdunkles Immergrün. Dann erhob sich die Erde, Vulkan Yasur stach durch die Pflanzendecke und spuckte Lichtungen. Es wurde hell. Tags zerrieben die Männer Kräuter an heiligen Steinen als Aphrodisiakum für die Gartentriebe, fischten Großbarsche und Snapper, dämmerten mit Kavatrank in den Abend. Die Frauen kochten, wurden in Nachbardörfer gegeben, Ehen zu schließen, vor allem aber den Frieden ihrer Männer. Sommertage kamen, Sommertage gingen.

Dann kam James Cook. 1774 ging er mit der „Resolution“ im Osten von Tanna vor Anker. Missionare folgten, Presbyterianer, Katholiken, Schulen und Kirchzwang. Weichen mussten Kava, Tanz und Vielweiberei, die heiligen Steine landeten auf Geröllhalden. Zeitenwende. Neue Hebriden hieß die Inselgruppe nun. Doppelte Kolonialverwaltung: Großbritannien und Frankreich. Wer Unzucht betrieb, durfte die Nationalität seines Gefängnisses wählen. Meist entschied man sich für das bessere Essen.

Dann kam John an die Sulphur Bay, Schwefelbucht. Im selben Jahr, als hier Chief Isaac Lastuan als Letzter von sechs Geschwistern geboren wurde. Das war 1940.

Die Gegend wird nicht viel anders ausgesehen haben als heute. Eine Siedlung im Aschestaub am Fuß des Vulkans Yasur, eine freigehackte Lichtung im Busch. An den Flanken stemmen sich Banyanbäume in den Dschungel, breite Wehr gegen das Grün. Die Beschaulichkeit geharkter Wege und gestutzter Vorgartenzier. Rote Flamboyants und schwarze Pfade, Buschhütten, Schweine und Hühner. Gepflegte Einfachheit.

Es ist heiß. Schmetterlinge fächeln über den Schläfrigen. In einer Hütte, etwas abseits, Isaac. Auf seinem Gesicht liegt der geschlitzte Schatten von der Jalousie zerfranster Bananenblätter. Kriegsbemalung. Ein zorniger Geist, eine Wand aus Willenskraft. So stellt man ihn sich vor: breites Kreuz, tiefer Bass. Doch er ist schmächtig, zieht die Schultern hoch, lässt die Arme baumeln.

„Zigarette“, befiehlt er sich und macht eine wegwerfende Handbewegung. „Früher hat mir noch die ganze Insel gehorcht.“ Nun ist er ein alter Mann, dem schon die Beine nicht folgen. Mit aufgerissenen Augen saugt er die Glut durch den Stengel. „Ich“, räuspert sich Isaac, „ich bin der Führer der John-Frum-Bewegung. Das hat John selbst gesagt.“

Wer war John?
Anthropologen sagen, ein G.I., der um 1940 auf die Insel kam. Überall im Pazifikraum landeten die Amerikaner mit Schiffen und errichteten Militärbasen, um den Vormarsch der Japaner einzudämmen. Vielleicht stellte sich einer den Tannesen vor als „John from America“, woraus John Frum wurde. Der ihnen gottgleich vorkam, im Besitz so wundersamer Sachen wie Trucks, Kühlschränke, Fleischkonserven, Haartrockner. Die er nicht jagte, nicht erntete. Eigentum ohne Arbeit. Das Kunststück musste er aus Amerika herhaben, wo er wohl zu Besuch gewesen war, denn eigentlich konnte er doch nur von Tanna sein, schwarz wie er war.

Vielleicht beflügelte ihre Fantasie auch ein gleichnamiger Mitarbeiter des Roten Kreuzes, der Medikamente unter den Tannesen verteilte. Medizin, die wirkte. Noch eine Theorie: Nach Meinung mancher Historiker hieß jener Mysteriöse gar nicht John, sondern erzählte von einem: John Brown und sein Kampf gegen die Sklaverei im Amerika des 19. Jahrhunderts. Oder er war ein Abtrünniger der St.-John-Baptisten, der gegen das Joch der Missionare wetterte. Wer auch immer er war: Er war eine Verheißung. Oder wurde zu ihr gemacht. Die eigentlichen Triebkräfte des Führerkults waren, wie schon zu Zeiten Jesu, selbst ernannte Propheten, die einen Unbekannten zum übernatürlichen Wesen mystifizierten.

„Zuerst war da ein Schatten, der über die Lava huschte“, sagt Isaac und streicht den Boden, „und Lärm. Ich blickte nach oben. Ein seltsamer Vogel, der so viel Krach macht. Meine Mutter kam gerannt und drückte mich in den Busch. ‚Araplän heißt er, und er kämpft‘, flüsterte sie.“ Und sie erzählte mehr. Von Rauchwalen mit Stahlkiemen, die aufklappten und Männer an Land ließen. Weiße und schwarze Männer in Uniformen. Von Trucks, die über Rampen holperten. Die allerdings kannte Isaac schon. Wenn sie vorbeifuhren, atmete er tief ein. Auch Götter stinken, dachte er.

Die Mutter zog ihn zurück auf die Lichtung, wo die Aufpasser schon nach ihnen riefen. Das ganze Dorf, aus dem der Aufrührer kam, musste zur Strafe den Busch roden, weil Isaacs Vater die Botschaft eines Herrn verkündet hatte, der Kolonialisten und Missionare ins Meer fegen wollte. John, König von Tanna und Amerika.


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mare No. 51

No. 51August / September 2005

Von Dimitri Ladischensky und Juan Manuel Castro Prieto

Dimitri Ladischensky, Jahrgang 1972, mare-Redakteur für Reisen und Genuss, bekam von Joe Gedu zwar kein Geldbriefchen, dafür ein lebendiges Huhn. Weil es bei Air Vanuatu nicht mitfliegen konnte, kam eine Frau am Schalter unverhofft zu cargo.

Juan Manuel Castro Prieto, geboren 1958, lebt in Madrid. Der Fotograf der Agentur VU arbeitet regelmäßig für Geo, Le Monde und El País. Er hat mehrere Bildbände veröffentlicht, darunter einen über Peru, wo er, wie auf Tanna, mit einer alten Plattenkamera und schwarzem Überhangtuch unterwegs war. Kava hat er ein Mal probiert, danach nie wieder.

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Vita Dimitri Ladischensky, Jahrgang 1972, mare-Redakteur für Reisen und Genuss, bekam von Joe Gedu zwar kein Geldbriefchen, dafür ein lebendiges Huhn. Weil es bei Air Vanuatu nicht mitfliegen konnte, kam eine Frau am Schalter unverhofft zu cargo.

Juan Manuel Castro Prieto, geboren 1958, lebt in Madrid. Der Fotograf der Agentur VU arbeitet regelmäßig für Geo, Le Monde und El País. Er hat mehrere Bildbände veröffentlicht, darunter einen über Peru, wo er, wie auf Tanna, mit einer alten Plattenkamera und schwarzem Überhangtuch unterwegs war. Kava hat er ein Mal probiert, danach nie wieder.
Person Von Dimitri Ladischensky und Juan Manuel Castro Prieto
Vita Dimitri Ladischensky, Jahrgang 1972, mare-Redakteur für Reisen und Genuss, bekam von Joe Gedu zwar kein Geldbriefchen, dafür ein lebendiges Huhn. Weil es bei Air Vanuatu nicht mitfliegen konnte, kam eine Frau am Schalter unverhofft zu cargo.

Juan Manuel Castro Prieto, geboren 1958, lebt in Madrid. Der Fotograf der Agentur VU arbeitet regelmäßig für Geo, Le Monde und El País. Er hat mehrere Bildbände veröffentlicht, darunter einen über Peru, wo er, wie auf Tanna, mit einer alten Plattenkamera und schwarzem Überhangtuch unterwegs war. Kava hat er ein Mal probiert, danach nie wieder.
Person Von Dimitri Ladischensky und Juan Manuel Castro Prieto