„Wir holen das Meer an Land“

Sind Meeresalgen Treibstofflieferanten der Zukunft? Energie­konzerne investieren derzeit massiv in die Erforschung der Einzeller

Donnernd hob die Boing 747 von der Startbahn des Amsterdamer Flughafens Schiphol ab. Hinter den Triebwerken flimmerte die Luft von der Hitze der Abgase, so wie immer. Und wie immer schien der Maschine ihr enormes Startgewicht von 400 Tonnen nichts auszumachen. Mühelos flog sie 900 Kilometer in der Stunde, fast Schallgeschwindigkeit. Und doch war an diesem Novembertag im vergangenen Jahr etwas anders als sonst. Was den Jumbojet in den Himmel schweben ließ, war die Kraft von Lebewesen aus dem Meer: Algen.

Nur eines der vier Triebwerke lief mit Algensprit, sicherheitshalber. Und der war verrührt mit herkömmlichem Kerosin sowie Biokraftstoff aus anderen Pflanzen. Und doch, der Testflug des US-Flugzeugbauers Boeing hat gezeigt: Energie aus Algen, das funktioniert.

„Wir holen das Meer an Land“, sagt der Geowissenschaftler Laurenz Thomsen, Leiter des Ocean Lab an der internationalen Jacobs University in Bremen. Für ihn sind Algen eine Wunderwaffe im Kampf gegen den Klimawandel. Thomsen und seine Kollegen arbeiten an einem Projekt, bei dem Meeresalgen im ersten Schritt das Treibhausgas Kohlendioxid (CO2) auffangen und im zweiten zu Biokraftstoff verarbeitet werden. Auch Unternehmen wie der Ölmulti Exxon Mobil, der Chemieriese Dow Chemical oder der Energiekonzern RWE interessieren sich brennend für die Kleinstlebewesen. Ihr Potenzial als Lieferanten von Energie sei enorm, heißt es.

Um Einzeller oder winzige Mehrzeller geht es, sichtbar erst in der Masse als dünner Schleim. Doch die wandeln Sonnenlicht mit Fotosynthese in Bioenergie um, wirkungsvoller als irgendein anderes Lebewesen und erst recht effizienter als jede Hightech-Solarzelle. Im Vergleich zu Raps sind die grünen Meeresgewächse 15-mal produktiver. Algen, die in einer ein Hektar großen Zuchtanlage gedeihen, können 200-mal mehr CO2 binden als ein gleich großer Eichenwald, theoretisch jedenfalls.

Schon seit Urzeiten hängt das Überleben der Menschheit von Algen ab. Jeden zweiten Atemzug verdanken wir ihnen, weil sie die Hälfte des weltweit vorhandenen Sauerstoffs produzieren. Ohne sie wäre die Erde ein toter Planet. Und es gäbe kein Erdöl. Denn der kostbare Rohstoff besteht aus abgestorbenen Meeresorganismen wie Algen, die sich im Lauf von mehreren Millionen Jahren auf dem Meeresgrund abgelagert haben. Algen gehören zu den ältesten Lebewesen der Welt. Nun sollen sie die Zukunft sein, die Lösung für die Energiekrise – als Biokraftstoff der dritten Generation.

Die erste Generation, das waren Raps und Mais, energiereiche Pflanzen, die Öl, Zucker und Stärke enthalten. Die Debatte „Tank gegen Teller“ aber zerstörte ihr Ökoimage. Stroh und Blätter gehören zur zweiten Generation. Solche landwirtschaftlichen Abfälle sind allerdings chemisch schwer zu verwerten.

Die dritte Generation schließlich sind gezüchtete Pflanzen, die dem Ackerbau keine Flächen wegnehmen – weil sie auf nicht nutzbaren, etwa verdorrten Böden gedeihen, einige Sträucher gehören dazu. Und eben Algen, wenn sie in Schläuchen gezüchtet werden. Sie brauchen keinen fruchtbaren Boden, wachsen enorm schnell und können sogar aus verschmutztem Abwasser Nährstoffe herausholen. Gefüttert werden die Mikroorganismen mit CO2 aus Industrieabgasen.

Genügsam, klimafreundlich und effizient – Algen sind erstaunliche Multitalente. So verwundert es nicht, dass die Algentechnologie mittlerweile bei manchen Konzernen zum Lieblingsprojekt geworden ist. Vor allem die Luftfahrtindustrie setzt ihre Hoffnungen auf die marinen Lebewesen.

Denn die Branche steht wirtschaftlich unter Druck. Von 2012 an werden Fluggesellschaften in den Emissionshandel der Europäischen Union einbezogen, dann wird der Ausstoß von Treibhausgasen teuer. Außerdem ist das Kerosin der höchste Posten bei den Betriebskosten, mit steigender Tendenz, weil das Öl immer knapper wird. „Je schneller wir Technologien anbieten können, die unseren Fußabdruck in der Umwelt verringern, desto konkurrenzfähiger sind wir“, sagt Boeing-Chef Jim McNerney.

Die International Air Transport Association, der Dachverband der Fluggesellschaften, hat sich daher ein ehrgeiziges Klimaziel gesetzt. Bis 2020 will man jährlich 1,5 Prozent Kerosin einsparen. Ab dann soll das Wachstum ganz ohne zusätzliche CO2-Belastung erfolgen. Auf dem Weg dorthin geben die Airlines den Algen die besten Chancen, weil nämlich viele Arten nicht einfach Biomasse produzieren, die man zur Energiegewinnung erst vergären muss, sondern winzige Fetttröpfchen und manchmal sogar benzinähnliche Kohlenwasserstoffe. In Raffinerien lässt sich daraus Treibstoff herstellen. Boeing kooperiert bereits mit Petrochemieunternehmen. Zuchtanlagen in der Größe Belgiens könnten die gesamte Weltluftfahrt versorgen, glauben Optimisten.


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 81. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 80

No. 80Juni / Juli 2010

Von Jonas Viering

Jonas Viering, Jahrgang 1971, freier Autor im Berliner Journalistenbüro Schön & Gut, war überrascht, wie sensibel das Thema Algenenergie bei manchen Unternehmen ist. Oft verwies die Forschungsfirma auf den geldgebenden Ölkonzern und umgekehrt. Manche E-Mails blieben wochenlang unbeantwortet.

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Vita Jonas Viering, Jahrgang 1971, freier Autor im Berliner Journalistenbüro Schön & Gut, war überrascht, wie sensibel das Thema Algenenergie bei manchen Unternehmen ist. Oft verwies die Forschungsfirma auf den geldgebenden Ölkonzern und umgekehrt. Manche E-Mails blieben wochenlang unbeantwortet.
Person Von Jonas Viering
Vita Jonas Viering, Jahrgang 1971, freier Autor im Berliner Journalistenbüro Schön & Gut, war überrascht, wie sensibel das Thema Algenenergie bei manchen Unternehmen ist. Oft verwies die Forschungsfirma auf den geldgebenden Ölkonzern und umgekehrt. Manche E-Mails blieben wochenlang unbeantwortet.
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