Wie Hollywood Geschichte macht

Hollywoods Filmmaschinerie half den US-Militärs bei der Darstellung der Invasion. Sie prägt bis heute das Bild des Krieges

Wie viel Zeit passt in einen Tag, wie viele Schiffe an einen Horizont, wie viele Soldaten auf einen Strand? Wie viele Menschenleben kostet ein Schlachtplan? Der D-Day sprengt die Dimensionen alles zuvor militärisch Dagewesen und bringt die Vor- und Darstellungskraft an ihre Grenzen. Die Invasion der alliierten Truppen am 6. Juni 1944 in der Normandie ist kaum in ein einzelnes Schlachtengemälde zu bannen. Und ohne Weiteres auch nicht in einen Film. Dieser Unmöglichkeit hat Darryl F. Zanucks Blockbuster „Der längste Tag“ aus dem Jahr 1962 auf virtuose Weise getrotzt. Um aber die Bedeutung des teuersten Schwarz-Weiß-Epos der Filmgeschichte (vor der Entstehung von Steven Spielbergs „Schindlers Liste“) vor allem für sein amerikanisches Publikum zu begreifen, muss man weit vor dem Tag der Invasion ansetzen.

Erst seit dem 7. Dezember 1941 konnte man von einem Weltkrieg sprechen; am Tag nach Pearl Harbor hatten die Vereinigten Staaten dem japanischen Kaiserreich den Krieg erklärt. Diese beiden Daten, Pearl Harbor und D-Day, sind die Eckpfeiler der heroischen Kriegserzählung Amerikas. Ohne Pearl Harbor wäre das Land niemals in diesen Krieg eingetreten, ohne den D-Day wäre der Krieg nicht gewonnen worden.

Eine unauffällig wirkende Urszene all dessen datiert auf das Jahr 1939, in dem in Europa der Krieg ausgebrochen war: Der oscardekorierte Regisseur John Ford, sein Schauspielerstar und späterer „Der längste Tag“-Darsteller John Wayne sowie ein paar andere Filmleute aus Hollywood segeln an Bord von Fords Yacht „Araner“ entlang der kalifornischen Küste. Bei Mazatlán steuern sie in den Golf von Kalifornien, vor Guaymas gehen sie vor Anker. Ford hat ein Fernglas. Er beobachtet, zieht Schlüsse und verschickt einen Bericht an seinen Auftraggeber Ellis Zacharias, einen Geheimdienstoffizier der 11. Marinedivision.

Ford ist auf einer informellen Mission. Da die Amerikaner noch keinen Auslandsgeheimdienst unterhalten, wird die Spionageaktion, mit der die Augenmenschen aus Hollywood betraut sind, von Zacharias aus privaten Mitteln finanziert. John Ford berichtet an diesem Tag von japanischen Krabbenkuttern, die britischen Kriegsschiffen angeblich verdächtig ähnelten, und von deren japanischer Besatzung in gut geschnittenen Ausgehuniformen und lackierten Schuhen, die ihm so gar nicht als Fischer erscheinen wollen.

Der Regisseur folgert daraus, dass die Männer hochrangige Angehörige der kaiserlichen Marine sein müssen. „Ich würde sie“, schreibt Ford, „als ‚Samurai der militärischen Kaste‘ bezeichnen.“ Ihre Aufgabe könne nur darin bestehen, sich mit der Küste im Golf von Kalifornien vertraut zu machen. Eine Invasion der Japaner auf nordamerikanischen Boden, folgert Ford, lange vor Pearl Harbor, stünde bald bevor.

Im April 1940 bekam die private Initiative einen zumindest halb offiziellen Charakter. John Ford gründete die „Naval Field Photographic Reserve“ (kurz: „Field Photo“), eine Gruppe von Filmspezialisten aus Hollywood, darunter Kameramänner, Cutter, Special-effects-Spezialisten und Drehbuchautoren. Ihr Know-how sollten die Filmschaffenden in den Dienst militärischer Geheimdienstaktivitäten stellen, sobald die Vereinigten Staaten in den Krieg einträten.

Auf dem Gelände der Twentieth Century Fox, also jenem Studio von Darryl F. Zanuck, das später den Spielfilm „Der längste Tag“ produzieren sollte, traf man sich zum sogenannten Drill: Man probte mit Waffen und Uniformen aus dem Fundus der Western Costume Company, und es heißt, dass John Ford die paramilitärischen Trainingseinheiten dirigierte wie bei Dreharbeiten zu einem Film. Die „Field Photo“ entwickelte auch eine leichtgewichtige 35-Millimeter-Kamera, die sich auf einen Gewehrschaft montieren ließ und später bei der Dokumentation des Kampfgeschehens zum Einsatz kam. Hollywood war schon lange, bevor die Regierung ihn offiziell erklärt hatte, in den Krieg gezogen.

Aus dieser ein wenig karnevalesk an- mutenden Aktivität ergab sich eine umfassende Verquickung von Krieg und Kino. Der nach der Westernlegende Wild Bill Hickok benannte William „Wild Bill“ Donovan gründete im Auftrag Präsident Roosevelts das Office of Strategic Services (OSS), jenen Auslandsgeheimdienst, aus dem nach Kriegsende die CIA hervorgehen sollte. Und „Field Photo“ wurde eine – nun staatlich legitimierte – Unterabteilung dieses Dienstes. Ihre Aufgabe: Spionage, Dokumentation und Propaganda.


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mare No. 103

No. 103April / Mai 2014

Von Ronald Düker

Ronald Düker, Jahrgang 1970, ist Journalist und schreibt für Zeit sowie verschiedene Magazine. Wie sich die Wege von Hollywood und Militär im Zweiten Weltkrieg kreuzten, darauf stieß er vor vielen Jahren durch die Propagandafilme des Western-Regisseurs John Ford.

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Vita Ronald Düker, Jahrgang 1970, ist Journalist und schreibt für Zeit sowie verschiedene Magazine. Wie sich die Wege von Hollywood und Militär im Zweiten Weltkrieg kreuzten, darauf stieß er vor vielen Jahren durch die Propagandafilme des Western-Regisseurs John Ford.
Person Von Ronald Düker
Vita Ronald Düker, Jahrgang 1970, ist Journalist und schreibt für Zeit sowie verschiedene Magazine. Wie sich die Wege von Hollywood und Militär im Zweiten Weltkrieg kreuzten, darauf stieß er vor vielen Jahren durch die Propagandafilme des Western-Regisseurs John Ford.
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