Wie das Indigo nach Europa kam

Vasco da Gama half den Malern

Nicht nur exotisches Gewürz und tropisches Holz ließ Vasco da Gama in Indien laden, nachdem er als erster europäischer Kommandant den Seeweg dorthin befahren hatte. Auch Indigo stand auf der Frachtliste, ein pflanzlicher Farbstoff, der in Europa zuvor mit Gold aufgewogen worden war. Das Blau kam über das Meer nach Europa.

Bis ins 16. Jahrhundert hinein glaubte man, dass sich das Meer am Horizont mit dem Blau des Himmels verschmelze. Jenseits dieser blauen Linie lockte das Grenzenlose, Geheimnisvolle. Jede Fahrt ins Blaue war somit auch ein magisches Unternehmen. Blau, die Farbe der Verbindung von Himmel, Luft und Meer, wurde zum Sinnbild der Ferne, der Sehnsucht nach dem Unergründlichen.

Unter allen Tönungen, schrieb Goethe in seiner Farbenlehre, übe Blau mit seiner „sonderbaren, fast unaussprechlichen Wirkung“ den stärksten geistigen Reiz aus. So wie in der „blauen Stunde“, wenn die Sonne hinter den Horizont rutscht, die Dinge im rauchblauen Zwielicht ihren Schatten verlieren und alles unwirklich zu werden beginnt.

Blau besetzt in der Grammatik der Farben den Platz des Transzendenten. Und in der christlichen Kunst symbolisiert es die göttliche Wahrheit. Bischöfe und Kardinäle beringten ihre Hände mit blauen Edelsteinen: Kaschmirsaphiren, Aquamarinen und Turmalinen – Funken mystischen Lichts, schillernd wie die bestäubten Flügel tropischer Nachtschmetterlinge. Und die Maler des Mittelalters hüllten ihre Madonnen, Heiligen und Engel in Tücher, deren überirdisches Blau anzeigte, dass diese Wesen schon der Sphäre des Himmels angehörten. Aber wo ließen sich solche Blautöne finden, die wie aus einer anderen Welt zu kommen schienen? Den Malern des Abendlandes jedenfalls standen sie nicht oder nur in Spurenelementen zur Verfügung.

Für profane Tafelbilder, Wandgemälde und Skulpturen wurde seit dem Altertum Azurit – „Armenischblau“ – verwendet. Die Pigmente des Minerals ergaben ein leuchtendes Blau, kühl und mit einem Stich ins Violette. Aber im Alter erwärmte es sich und nahm einen grünlichen Ton an. Auch Ägyptischblau – gebrannt aus Kalk, Sand und Kupfer – und die Blauschattierungen der Färberpflanze Waid waren weit verbreitet. Doch wegen des starken Tiefenlichts schimmerte das ägyptische Blau beinahe schwarz, und die Waidnuancen wirkten zaghaft und blass.

Die mittelalterlichen Maler jedoch, in denen das Feuer der Mystik brannte, sehnten sich nach eindringlicheren Farben. Sie träumten von Indigo, dem tiefen Blau Indiens. Und von Lapislazuli, dem ultimativen Blau aus dem Hindukusch. Über Tausende von Kilometern wurden Indigostaub und Lapisbröckchen ans Mittelmeer transportiert und nach Italien verschifft.

Die europäischen Künstler geizten mit den exotischen Raritäten. Und mit dem funkensprühenden Blau des Lapislazuli kolorierten sie einzig den Mantel der Madonna.

„Ultramarinum“ nannten sie die Farbe, weil sie von „ultra mare“ kam, von jenseits des Meeres. Vor allem der Maler Cennini widmet sich in seinem „Trattato della pittura“ von 1398 dem „oltramarino“, dem nach Gold wertvollsten Material der Zeit. Ein Blick durchs Mikroskop enthüllt das Geheimnis der Lapisfarbe: Ultramarin leuchtet und flimmert, als sei es mit Sternsplittern gemalt.

Erst nachdem Vasco da Gama 1497 Afrika umsegelt hatte, mit den Monsunwinden an der indischen Westküste gelandet war und so den Seeweg nach „Hindustan“ entdeckt hatte, gelangten größere Mengen an Lapislazuli und Indigo nach Europa. Da Gama sprengte das Gewürzmonopol der Araber, stieß das Tor weit auf für den Asienhandel. Bereits 1503 verschiffte der „Faktor“ Mateo di Begnino elf Zentner Indigo von der Goaküste nach Italien.

Bald bedrohte das indische Blau die europäischen Waidkulturen. 1577 erließen die Frankfurter Stadtväter ein Indigoverbot. England schloss sich dem Bann an, und wer ihn missachtete, riskierte den Einzug seines Vermögens. Rigoros ging die Stadt Nürnberg vor: Auf den Handel mit dem „Heidenblau“ stand der Tod.

Die Verbote bewirkten wenig. Schon 1629 war die Zahl der Waidbauerndörfer in Europa von 320 auf 30 geschrumpft. Und die Umsätze mit indischen Farben erreichten astronomische Höhen. 1631 löschte eine einzige holländische Kauffahrerflotte in Amsterdam eineinhalb Zentner afghanischen Lapislazuli und 333›545 Pfund Indigo aus Batavia. Aber erst 1737 wurden die Indigoverbote aufgehoben.

Das 19. Jahrhundert brachte den Niedergang der indischen Farben. Die Indigosynthese wurde entdeckt, und 1897 begann die industrielle Produktion der Pigmente. Wenig später verdrängte das künstliche Ultramarin auch den Lapisstein. Die Epoche des geheimnisvollen, fernen Blaus, das von „ultra mare“ kam, war vorbei.

mare No. 15

No. 15August / September 1999

Von Walter Saller

Walter Saller, 1956 geboren, studierte Arabisch und Religionswissenschaft. Er lebt als freier Autor in Berlin.

Mehr Informationen
Vita Walter Saller, 1956 geboren, studierte Arabisch und Religionswissenschaft. Er lebt als freier Autor in Berlin.
Person Von Walter Saller
Vita Walter Saller, 1956 geboren, studierte Arabisch und Religionswissenschaft. Er lebt als freier Autor in Berlin.
Person Von Walter Saller