Wenn ich komme, störe ich

Wegen haarsträubender Zustände an Bord zittern Reeder und Kapitäne vor dem Hafenkontrolleur

Der griechische Kapitän zieht hektisch an seiner Zigarette, dem Manager der Reederei treten kleine Schweißperlen über die Oberlippe. Kopfschüttelnd und scheinbar empört lesen beide die lange Liste mit den Beschwerden der Crew. Die hat gerade der Besuch, der Hamburger Inspektor der Internationalen Transportarbeiter-Föderation (ITF) Ulf Christiansen, unvermittelt aus der Tasche gezogen: Stets betrunken sei der Kapitän, zuwenig Proviant gebe es, die Seife sei ausgegangen, das Trinkwasser knapp, die Heuerzahlungen kämen verspätet zu Hause an, viele Überstunden, alles unbezahlt… Insgesamt 16 Punkte hatte die philippinische Crew der „Montreux“ aufgelistet und anonym an die ITF geschickt. Jetzt herrscht erstmal angespannte Stille im Büro des Kapitäns an Bord des Schiffes.

Draußen saugen die dicken Rüssel lärmend das Getreide aus den zig Meter tiefen Ladeluken heraus ins Getreidesilo der Ölmühle unter der Köhlbrandbrücke im Hafen von Hamburg. Süßlich-staubig liegt der Geruch über dem Schiff. Seit drei Tagen wird gelöscht, um Mitternacht soll es dann weitergehen nach Venezuela. Alles ist genau getimed, jede Verzögerung kostet Geld. Da passt der Besuch eines ITF-Inspektors nicht besonders. Schon gar nicht, wenn er sich partout nicht mit Beschwichtigungen abwimmeln lässt.

Wenn ich komme, störe ich, daran muß man sich erstmal gewöhnen, dass der andere einen am liebsten sonstwohin wünschen würde. Wenn ein Kapitän so unfreundlich wird wie neulich und mich von Bord weisen will, dann bleib ich einfach sitzen. Das war keine Art, miteinander umzugehen. Wir berufen uns auf die Vereinigungsfreiheit, das ist internationale Übereinkunft. Ich versuche immer, zu verhandeln. Und wenn ein Seemann beschissen wird, dann dauert’s eben ein bisschen länger.

Dabei hatte man auf der „Montreux“ kurz zuvor noch so nett über griechische Inseln geplaudert, hatte von Seemann zu Seemann versichert, dass man sich um seine Leute kümmere, sie gut und regelmäßig bezahle. „Unfortunately“, unglücklicherweise habe die „Montreux“ keinen ITF-Tarifvertrag, aber die griechische Reederei ziehe dies ernsthaft in Betracht, doch, doch, there is always a way, nächste Woche gleich werde man darüber nachdenken. Hatte alles nichts genützt, Inspektor Ulf Christiansen ist einfach sitzengeblieben, ganz ruhig, und hat gefragt und gefragt, immer unangenehmer die Fragen, nach der Höhe der Heuern, nach den Lebensbedingungen für die philippinischen Seeleute auf dem schon 25 Jahre alten Bulkcarrier unter der Billigflagge von St. Vincent. Und dann hat er plötzlich auch noch diese Liste herausgezogen.

Ulf Christiansen ist einer von vier deutschen Inspektoren der ITF, die sich für Rechte und menschenwürdige Arbeits- und Lebensbedingungen der Seeleute auf Billigflaggenschiffen einsetzt. Wie die meisten seiner Kollegen hat der 42jährige das große Kapitänspatent und weiß, wofür er streitet. Ein weltweites Netz spannen die 95 Inspektoren in den Häfen von 40 Ländern. Die ITF ist die Dachorganisation von etwa 400 nationalen Gewerkschaften aus der Transportwirtschaft, davon 120 Seeleutegewerkschaften. Gegründet haben europäische Hafenarbeiter und Seeleute sie vor 101 Jahren nach einem Streik in Rotterdam. Heute laufen die Fäden in London zusammen. Mit der Kampagne gegen Billigflaggen, die es seit 1948 gibt, greift die ITF direkt in tarifliche Beziehungen ein. Darin unterscheidet sie sich von anderen internationalen Berufssekretariaten.

Denn in der Seefahrt gilt schon lange, womit viele Gewerkschaften aus anderen Branchen heute zu kämpfen haben: Die Arbeitsplätze sind mobil, Reedereien haben ihren Sitz in dem einen Land, das Schiff ist in einem anderen registriert, und die Crew wiederum kommt aus einem dritten, vierten, fünften Land. Dorther, wo die Seeleute gerade am billigsten zu haben sind. Jeder fünfte Seemann stammt von den Philippinen, immer stärker wird die Konkurrenz aus China. Matrosen aus Estland oder Burma unterbieten auch sie noch im weltweiten Kampf um einen Arbeitsplatz.

Dabei machen die Kosten für die Crew gar nicht so viel aus. Liegegebühren, Treibstoff – das ist alles viel teurer. Aber die Heuern sind das einzige, wo man noch dran drehen kann.

Bemannungsagenturen und Manager mischen mit, Charterer und Eigner, sie alle wollen verdienen. Wer ausflaggt, hat’s einfacher auf einem hart umkämpften Markt. Das heißt für Reeder, Steuern zu sparen, sich strengeren Auflagen ihres Heimatlandes zu entziehen, vor allem beim Arbeitsrecht, den Sozialabgaben und den Sicherheitsstandards. Auf etwa 15900 von insgesamt 84264 Schiffen der Welthandelsflotte flattern die bunten Flaggen von Panama oder Liberia, Belize oder Vanuatu, Malta oder Kambodscha.

Für ein Viertel der Schiffe haben ITF und Reeder Tarifverträge abgeschlossen. Eignerschaft und Flagge wieder zusammenzuführen, das ist das eigentliche Ziel für Ulf Christiansen und seine Kollegen in der Londoner Zentrale und rund um den Globus. Nur so sei es möglich, Vorschriften durchzusetzen. Oft nämlich sind die Eigentumsverhältnisse der Schiffe verworren und verdeckt, die Eigner werden von Agenten vertreten, und manchmal gibt es nur einen Briefkasten irgendwo in der Südsee.

Mit Briefkastenfirmen hat Ulf Christiansen seine eigene Erfahrung gemacht, mit einem Reeder aus Brunsbüttel, einem ehemaligen Kanallotsen.

Da sitzt der doch in meinem Büro, sagt mir ins Gesicht, dass die Forderungen von zwei Seeleuten berechtigt sind – und zahlt nicht! Das ist entweder irre oder ganz abgebrüht. Hat behauptet, die Arbeitsverträge mit den Seeleuten habe nicht er geschlossen, sondern eine Agentur auf Zypern. Das war immer derselbe Trick. Er hat zwar mit den Seeleuten verhandelt, dann aber waren die Arbeitsverträge nicht fertig. Sie wurden nachgeschickt, als die Seeleute schon an Bord gegangen waren. In den Papieren tauchte als Arbeitgeber plötzlich die Firma „Hibiscus“ auf Zypern auf. Das war allerdings eine Scheinfirma. Den Mann hab’ ich gejagt, über ein Jahr lang. Eine Nacht musste er sogar in den Knast. Zweimal war er nicht zu Gerichtsverhandlungen erschienen. Dann hat er endlich seine Vermögenssituation offenbart. Und kurz vor dem nächsten Termin beim Arbeitsgericht war das Geld plötzlich da. 42000 Mark für vier Seeleute, immerhin 70 Prozent dessen, was wir gefordert hatten.

Indessen kommt auf der „Montreux“ Leben ins Büro des Kapitäns. Er springt von der Sitzbank auf, zerrt eine große Kiste mit neuen Gläsern, Kochgeräten hervor, da, alles da! Voll sei der Kühlschrank, immer könne sich die Crew außerhalb der Mahlzeiten Salami holen oder Suppe, Proviant sei gestern gekommen. Er hält dem Inspektor die Rechnung unter die Nase. Ja, zugegeben, im Amazonasgebiet sei die Seife einmal knapp gewesen, Air-Condition habe selbst der Kapitän nicht, das Schiff ist eben eine 25 Jahre alte Lady, ein Jahr vielleicht wird sie noch fahren.

Fahrig greift der Kapitän den Ordner mit den Heuerabrechnungen aus dem Regal neben dem riesigen Schreibtisch und übergibt ihn dem Inspektor. Die Liste ist nur mit Bleistift ausgefüllt, nicht gegengezeichnet von der Crew. Nein, bedauerlicherweise befindet sich keine Kopie der Originale an Bord. Gewiss, das sei nicht ganz korrekt, gibt sich der Reedereimanager betreten.

Die Heuern belaufen sich teilweise nur auf 570 US-Dollar pro Monat inklusive Überstunden und Urlaubsgeld für einen Matrosen, moniert der Inspektor. Wenn die Bleistiftzahlen stimmen, dann ist das unter der Empfehlung der Internationalen Arbeitsorganisation und nur halb soviel, wie die ITF fordert. Alles inklusive stünden einem Matrosen dann 1107 Dollar zu.

Allerdings heißt das noch gar nichts, denn allzu oft sind die Unterschriften der Reedereien nichts wert: Von doppelter Buchführung berichten die Inspektoren, von unzulässigen Abzügen oder Drohungen, wenn Seeleute sich an die ITF wendeten.


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 4. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 4

No. 4Oktober / November 1997

Von Angelika F. Pfalz

Angelika F. Pfalz, Diplom-Ökonomin, lebt in Hamburg und war früher Redakteurin beim Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt. Ihre liebsten Themen sind Meer, Hafen, Schifffahrt und Fischerei.

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