Wenn Admirale irren

Die katastrophalen Fehler der Marineführung

1213 n. Chr., Seeschlacht bei Damme

Der französische König Philip Augustus bereitet eine Invasion Englands vor. Doch dann erreicht ihn die Nachricht von der Rebellion des Grafen von Flandern. Philip disponiert um und überfällt mit seiner Flotte den Seehafen von Damme. Während seine Männer die Stadt plündern, kommt der Engländer William Longford mit seinem Verband an den verlassenen Schiffen Philips vorbei. In aller Ruhe fackelt er ein Schiff nach dem anderen ab. Longford gelingt der kompletteste Sieg der Seekriegsgeschichte – er vernichtet die gesamte französische Flotte.


1545, Untergang der „Mary Rose“

Der englische König Heinrich VIII. lässt seine Karracke „Mary Rose“ vergrößern – von 600 auf 700 Tonnen. Er verstärkt die Besatzung und erhöht die Bewaffnung auf 90 Bronzekanonen, denn das Trutzschiff soll von Portsmouth aus in den Krieg gegen die Franzosen segeln. Schon in der Hafenausfahrt drückt eine Bö den Segler auf die Seite. Wegen der schweren Aufbauten kann er sich nicht mehr aufrichten. Soldaten in Rüstungen, Kanonen, Waffen, alles rutscht nach Lee. Die „Mary Rose“ kentert und sinkt wie ein Stein. Sie reißt 700 Männer in den Tod.


1905, Konvoi nach Tsushima

Nach Japans Angriff in Fernost schickt Russland seine Baltische Flotte, insgesamt 40 Schiffe, auf den 34000 Kilometer langen Weg von der Ostsee zum Kriegsschauplatz im Pazifik. Weder Material noch Mannschaft sind der Aufgabe gewachsen. Gleich in der Nordsee feuern die hypernervösen Russen auf englische Trawler, die sie für japanische Torpedoboote halten. Vor Tanger kappen sie mit einem Anker versehentlich das Unterseekabel nach Europa. Auf der Fahrt rund um Afrika sterben täglich Männer an Malaria und anderen Seuchen, die sie beim Landgang eingeschleppt haben. Admiral Roschestwenski ordnet unterwegs Manöver an. Beim Zielschießen gelingt seinen Zerstörern kein einziger Treffer. Der Admiral weiß, dass sein Konvoi zum Untergang verdammt ist, aber Befehl ist Befehl. Die Schlacht bei Tsushima ist kurz und schmerzvoll: 5045 Russen kommen um, Japan wird Weltmacht.


1917, Englands „K-Boote“

Die Erfolge der deutschen U-Boote vor Augen, lässt auch die englische Admiralität eine Tauchschiff-Serie auflegen – die „K“-Klasse. Wie so oft bei Prestigeprojekten diktiert der Wunsch nach Superlativen die technischen Vorgaben. Mehr als 100 Meter lang sollen die K-Boote sein, mit drei Kanonen bewaffnet und 20 Knoten schnell; also werden sie mit Dampfturbinen ausgerüstet. Das Problem: Ständig schwappt Wasser in deren Schornsteine, weil die Crew in der Hektik immer wieder vergisst, die Klappen zu schließen; immer wieder laufen die Maschinenräume voll. Keines der K-Boote übersteht auch nur die Probefahrt ohne ernste Zwischenfälle. Der schlimmste Tag in der Geschichte dieser unbeweglichen Fehlkonstruktion wird der 1. Februar 1918. In Geschwaderfahrt mit Zerstörern und Panzerschiffen klemmt bei „K-14“ nach einem Ausweichmanöver das Ruder. „K-19“ kann nicht stoppen und fährt auf. Ein Panzerkreuzer kommt zu Hilfe – und pflügt dabei „K-22“ unter. Von hinten kommt ein zweiter Kreuzer auf und versenkt „K-17“. „K-6“ eilt herbei und rammt „K-4“. Vier K-Boote sinken, 100 Seeleute sterben.


Februar 1940, Operation „Kaviar“

Sechs deutsche Zerstörer laufen in Richtung Doggerbank, um britische Trawler zu jagen. Am Abend erscheinen Bomber am Horizont – Freund oder Feind? Offensichtlich Briten, denn sie greifen die „Leberecht Maas“ an. Dann eine zweite Detonation: Auch die „Max Schultz“ beginnt zu sinken. Der Kommandant des Verbands fürchtet, dass sich auch britische U-Boote an der Attacke beteiligen, und befiehlt Abbruch aller Rettungsmaßnahmen und Flucht. 578 Seeleute sterben. Später stellt sich heraus: Die deutsche Admiralität hatte es versäumt, ihre Einsätze mit der Luftwaffe abzustimmen. Der Pilot eines deutschen He-111-Bombers hatte die eigenen Zerstörer für feindliche Frachter gehalten.


Juli 1942, Konvoi PQ 17

England schickt einen Konvoi von 26 Handelsschiffen nach Russland. Zwölf Kriegsschiffe und zwei U-Boote begleiten sie durchs Nordmeer, mehr kann Flottenchef Dudley Pound nicht entbehren. Und auf keinen Fall kann er es sich leisten, sie im Kampf mit dem deutschen Schlachtschiff „Tirpitz“ zu verlieren, das zurzeit in Trondheim, im von den Deutschen besetzten Norwegen, liegt. Als der britische Geheimdienst meldet, dass die „Tirpitz“ den Hafen verlässt, glaubt Pound, dass sie es auf den Geleitzug abgesehen hat. Panisch befiehlt er: „Kreuzer-Verband schnellstmöglich nach Westen abziehen! Verband ist aufzulösen!“ Die Kapitäne der Handelsschiffe müssen sehen, wie sie allein um das Nordkap nach Murmansk durchkommen. Doch ohne militärischen Schutz haben sie keine Chance. Deutsche Flieger und U-Boote versenken 23 Frachter. Die „Tirpitz“ hatte nie den Befehl erhalten, den Konvoi PQ 17 anzugreifen.


Juli 1945, Untergang der „Indianapolis“

Der US-Kreuzer „Indianapolis“ liefert das Uran für die erste Atombombe auf der Pazifikinsel Tinian ab. Danach soll er zur Task-Force 95.7 auf der philippinischen Insel Leyte stoßen. Aber der Funkspruch, der ihn ankündigt, wird falsch verschlüsselt. Die „Indianapolis“ wird nicht erwartet, und das hat fatale Folgen. Denn auf halber Strecke durch die Philippinische See wird der Kreuzer von der japanischen „I-58“ torpediert. 400 Amerikaner sterben sofort, 800 treiben im Wasser und hoffen auf Hilfe. Sie kommt nicht, dafür aber die Haie. Die US-Admiralität hat die „Indianapolis“ einfach vergessen. Erst fünf Tage nach dem Untergang entdeckt ein Bomberpilot zufällig die Trümmer. Bis die Retter endlich eintreffen, fressen die Haie noch 480 Seeleute.

mare No. 24

No. 24Februar / März 2001

Von Olaf Kanter

Olaf Kanter, geboren 1962, hat Anglistik und Geschichte studiert. Bei der Zeitschrift mare betreute er bis Ende 2007 die Ressorts Wissenschaft und Wirtschaft. Seit 2008 ist er Textchef im Ressort Politik bei Spiegel Online. Er lebt in Hamburg.

Ausführlich werden diese und andere Seekriegspatzer in einem Buch von Geoffrey Regan beschrieben: The Guinness Book of Naval Blunders, London 1993

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Vita Olaf Kanter, geboren 1962, hat Anglistik und Geschichte studiert. Bei der Zeitschrift mare betreute er bis Ende 2007 die Ressorts Wissenschaft und Wirtschaft. Seit 2008 ist er Textchef im Ressort Politik bei Spiegel Online. Er lebt in Hamburg.

Ausführlich werden diese und andere Seekriegspatzer in einem Buch von Geoffrey Regan beschrieben: The Guinness Book of Naval Blunders, London 1993
Person Von Olaf Kanter
Vita Olaf Kanter, geboren 1962, hat Anglistik und Geschichte studiert. Bei der Zeitschrift mare betreute er bis Ende 2007 die Ressorts Wissenschaft und Wirtschaft. Seit 2008 ist er Textchef im Ressort Politik bei Spiegel Online. Er lebt in Hamburg.

Ausführlich werden diese und andere Seekriegspatzer in einem Buch von Geoffrey Regan beschrieben: The Guinness Book of Naval Blunders, London 1993
Person Von Olaf Kanter