Wen haben wir denn da?

Die Geoduck, ein köstliches Weichtier, das nicht grundlos auch „Penismuschel“ heißt, macht Gourmets in aller Welt verrückt

Das Leben kann hart sein, auch für Adlige. „Kate und Wil­liam bissen sich fast die Zähne aus“, schrieb eine Boulevardzeitung, als Prinz William und Herzogin Kate im September 2016, auf Staatsbesuch an der kanadischen Westküste, lokale Spezialitäten kosten sollten. Und in der Tat wirkt die Duchess of Cambridge auf einem Paparazzofoto, das sie dort beim Verzehr einer ominösen Muschel zeigt, eher gequält als begeistert. Diese Speise habe „eine recht unveränderbare Konsistenz“, sagte Kate diplomatisch, als es ihr endlich geglückt war, einen Bissen her-unterzuschlucken – und kippte schnell ein Gläschen Cassis-Likör hinterher.

Womöglich hatten die Royals einfach nur Pech mit der Zubereitung. Denn viele Gourmets schwärmen von dem leicht süßlichen Fleisch dieser Weichtiere mit dem hübschen wissenschaftlichen Namen Panopea generosa, das in der Regel sehr zart sein soll. Serviert werden die Muscheln gekocht, gegrillt, paniert wie ein Schnitzel oder, als Sashimi, auch roh.

Gewöhnungsbedürftig ist indes ihre Physiognomie. Zwischen den Muschelschalen findet sich nicht nur kräftiges Muskelgewebe. Mehrere Handbreit weit ragt ein phallisch anmutender Stutzen hervor, sodass der restliche Organismus an einen Hodensack denken lässt. Umgangssprachlich werden diese Weichtiere, die ausschließlich in den Küsten­gewässern des Pazifiks im Westen Kanadas und Nordwesten der USA leben und ein Gewicht von mehr als 1,5 Kilogramm erreichen können, denn auch „Penis­muscheln“ genannt. 

Selbst in der kanadischen Provinz British Columbia, wo sie als Delikatesse gelten, blieb die Nachfrage lange überschaubar. In den 1970er-Jahren aber wurden Einwanderer aus Asien auf die ungewöhnlichen Muscheln aufmerksam. Aus China stammende Köche begannen sie in Gourmetrestaurants in Vancouver zuzubereiten – und bald sprach sich der Geheimtipp bis ins ferne Asien herum. 

Schnell stieg der Marktwert dieser Weichtiere stark an. Allein in Nord­amerika werden durch den internationalen Handel inzwischen jährlich rund 80 Millionen US-Dollar erwirtschaftet. Dabei pflanzen sich die seltsamen Muscheln nur langsam fort. Und es dauert immerhin sechs Jahre, bis sie ausgewachsen sind. Die Behörden in den USA und Kanada haben inzwischen strenge Fangquoten festgelegt: In manchen Gebieten im Bundesstaat Washington bekamen Indigene das Exklusivrecht verliehen, im Küstenmeer nach solchen Muscheln zu tauchen. In Wassertiefen von bis zu 21 Metern buddeln Spezialisten sie mit den bloßen Händen aus dem Meeresboden. Vor allem aber werden sie an Küsten im US-Bundesstaat Washington und in der kanadischen Provinz ­British Columbia – um die natürlichen Bestände zu schonen – in speziellen Aquakulturanlagen gezüchtet. 

Bei Jungtieren glänzt die noch dünne Muschelschale wie Porzellan. Im Adultstadium dagegen verfärbt sie sich weißlich-kreidig und wird dick und schwer. Für den Preis kommt es ausschließlich auf den weit hervorstehenden Stutzen an: Je weißer und länger dieser ist, desto kostbarer die Muschel. 

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mare No. 159

mare No. 159August / September 2023

Von Till Hein

Till Hein, Jahrgang 1969, hat selbst noch keine Geoduck-Muschel probiert, aber kulinarisch auch schon ­einiges erlebt. Bei Recherchen in einem kirgisischen Dorf wurde er zum Beispiel einmal zu lauwarmem, mit Schmalz gefülltem Schafsdarm eingeladen.

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Vita Till Hein, Jahrgang 1969, hat selbst noch keine Geoduck-Muschel probiert, aber kulinarisch auch schon ­einiges erlebt. Bei Recherchen in einem kirgisischen Dorf wurde er zum Beispiel einmal zu lauwarmem, mit Schmalz gefülltem Schafsdarm eingeladen.
Person Von Till Hein
Vita Till Hein, Jahrgang 1969, hat selbst noch keine Geoduck-Muschel probiert, aber kulinarisch auch schon ­einiges erlebt. Bei Recherchen in einem kirgisischen Dorf wurde er zum Beispiel einmal zu lauwarmem, mit Schmalz gefülltem Schafsdarm eingeladen.
Person Von Till Hein