Weltpolitik auf der Seewolke

Die bewegten Jahre der „Sea Cloud“, einer der mondänsten Yachten: Auf ihr fuhren Diktatoren, Diplomaten und Divas

Full, Half, Slow. Port, Starboard. Messing blitzt im Motorenleitstand der Bark: der alte Maschinentelegraph. Kontrollleuchten, rot und grün. Zeigernadeln vibrieren. „Ja, sie läuft noch“, sagt Geo, der Chief aus Dubrovnik. „Du kannst ihr absolut vertrauen. Sie ist alt, aber gut in Form.“ Geo kennt „sie“ – die Maschine, das Schiff. Er verbringt seine Tage hier unten im Bauch der „Sea Cloud“.

„Fried. Krupp Germaniawerft Kiel“ steht in der Mitte der beiden blitzblanken Messingscheiben. 1931 wurde das eingraviert, als „sie“ in der Eckernförder Bucht ihre erste offizielle Meile ablief. Die Instrumente funktionieren bis heute tadellos. Die vier Maschinen, damals Sechszylinder, heute Achtzylinder-Diesel mit zusammen 6000 Pferdestärken, wurden zwischendurch ersetzt, einmal, zweimal.

Das Schiff – eine Viermastbark, 109,50 Meter Länge über alles, 25 Kilometer laufendes und stehendes Gut, Höhe des Hauptmastes 54,20 Meter – wurde auf- und abgetakelt, viele Male. Erhielt auch ungezählte Male einen neuen Strich Farbe – zuerst schwarz, im Krieg zu grau übertüncht, dann schneeweiß. Und bekam neue Namen: „Hussar“, „Angelita“, „Patria“, „Antarna“. Und „IX99“ im Krieg, als sie – zumindest gerüchtehalber – im Nordatlantik für die US-Küstenwache Nazi-U-Boote verfolgte. Und wieder „Sea Cloud“. So heißt die legendäre Bark heute noch.

Seewolke also. Wolke Sieben wäre auch ein schöner Name für sie. Denn auf keinem Schiff, das die sieben Meere befährt, verlieren Kreuzfahrtpassagiere leichter die Bodenhaftung als auf diesem in jeder Hinsicht formvollendeten Windjammer. Wenn sie das nötige Kleingeld mitbringen, gewiss, denn mit den „Sail Training“-Schiffen, die für grünes Bier zu guter Laune werben, hat die „Sea Cloud“ wenig gemein. Sie bietet sanften, exklusiven Luxus. Fünf-Sterne-Diners. Melodien von der Hammondorgel in der Bacardi-Cola-Dünung. Höfliche Konversation über die Honeymooners in der Eignerkabine und über die Herrschaften drüben am Tisch des Kapitäns. Und ein paar Salzwasserspritzer nur, wenn die Beiboote zum Fototermin um die unter Vollzeug dahingleitende weiße Lady kreisen. Abenteuer wohl dosiert.

Marjorie Merriweather Hutton-Post hat die Seewolke 1931 erfunden – als die Welt gerade von einer Wirtschaftskrise zur nächsten schlingerte. Aber soll man seine Dollars denn fressen? Die 250 Millionen schwere Gattin von Ed Hutton, Wall-Street-Tycoon und Erfinder der Tiefkühlnahrung, hatte darauf jedenfalls keinen Appetit. Von Geburt ebenfalls der Lebensmittelbranche zugehörig – sie war Erbin jenes Müsli-Konzerns, dem die Welt „Grape Nuts“ und „Elijah’s Manna“ verdankt und heute als General Mills firmiert –, teilte sie mit Ed, dem „King of Frozen Fruits“ und zweiten von insgesamt fünf Gatten, auch den Hang zum Größenwahn.

Und deshalb plusterte sich die „Hussar“, wie die Bark zuerst hieß, 1931 so auf, wie Ed und Marjorie es sich wünschten: Lkw-weise mussten Antiquitäten und Kitsch in den Bauch der „Hussar“ rollen. Mussten marmorverkleidete Kamine und Badewannen samt massiv goldenen Wasserhähnen installiert, Louis-seize-Kommoden, Chippendale-Sekretäre und französische Himmelbetten auf Teak und Mahagoni geschraubt werden. Geschätzter Preis für den ganzen Plunder: zehn Millionen Reichsmark. Notabene: Amerika mühte sich gleichzeitig mit Arbeitslosigkeit, Streiks und der Großen Depression, Deutschland mit der Frage, ob die braunen Bataillone die Macht übernehmen würden. Es stimmt, was Geo sagt: „Dieses Schiff interessiert es nicht, was mit dem Rest der Welt passiert. Politik? Gibt’s nur im Radio.“

Vielleicht am besten der Reihe nach: Mit hemmungslosem Lustsegeln, von Hawaii bis Halifax, hat die „Hussar“ ihre ersten Jahre verbracht. Ed, der Sportsmann, harpunierte Haie und brach Tauchrekorde, Dina Merrill, die Tochter und spätere Hollywood-Diva, lernte das Reiten auf Galápagos-Schildkröten, und Marjorie, die Antreiberin, posierte mit Hula-Mädchen bei polynesischen Staatsempfängem.

Aber dann kam alles anders. Erstens wegen der Scheidung von Ed, 1935. Die „Hussar“ hieß fortan „Sea Cloud“ und gehörte Marjorie allein. Zweitens wegen der raschen Wiederverheiratung mit Joseph E. Davies, ebenfalls millionenschwer, zusätzlich aber Diplomat und Roosevelt-Intimus. 1936 schickte der US-Präsident Davies samt Frau Marjorie und Schiff „Sea Cloud“ als Botschafter in die Sowjetunion, um mit Stalin über Hitlers Kriegsvorbereitungen zu reden. Und drittens wegen des Eintritts der USA in den Krieg, der Marjorie ihr Schiff nahm und zum Patrouillenboot umfunktionierte. Der, als er zu Ende ging, sogar der Müsli-Erbin den Spaß am Segeln so sehr verhagelt hatte, dass sie sich entschied, ihr Spielzeug einem Diktator zu verhökern. Aber der Reihe nach ...

Ankerplatz Newa also, damals, in den schwierigen Dreißigern. Nebst Schiff und Gattin hatte Botschafter Davies auch zwei Tonnen Tiefkühlkost ins Reich Stalins mitgenommen – die Hygieneverhältnisse in Russland, man konnte ja nicht wissen. Unsicheren Quellen zu Folge lag die „Sea Cloud“ von Sommer 37 bis Frühjahr 38 in Leningrad am Kai. Zu Marjories Ärger in den Docks und nicht direkt vor dem Winterpalast – soviel Protz durfte dem Volk nicht vor die Nase gesetzt werden. Allerdings auch zu Marjories Vorteil: Vom direkten Einblick durch die Hafenkommissare entfernt, war die „Sea Cloud“ auch ein privates und diplomatisches Chambre séparée.

Marjorie jedenfalls hat in ihren Sammelalben über das Leben auf der „Sea Cloud“ berichtet, dass sie ihre Gäste, von geneigten Politikergattinnen über derangierte Adelige und weltreisende Opernsänger bis hin zu den stets gern gesehenen Antiquitätenbeschaffern, lieber auf der Yacht „unterhielt“ als in der klammen, „gewöhnlichen“ Botschaft in Moskau. Dass sie zu Tagestörns auslief, allen behördlichen Anweisungen zum Trotz Sandbänke ansteuern ließ, die schon zum finnischen Staatsgebiet gehörten, um zu picknicken und in der Sonne zu baden. Und dass sie gern Propaganda für Hollywood machte: Filmvorführungen auf der Bark zählten zum festen Bestandteil ihrer Mission. Und, weniger uneigennützig, auch die PR für die Deep-Freeze-Methode: Einen Ausflug über die Ostsee soll sie genutzt haben, um dem König von Schweden die Vorzüge der Tiefkühlkammern des Schiffes vorzuführen: „Der Fisch, den Exzellenz gerade speisen, wurde vor sechs Monaten gefangen.“


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mare No. 17

No. 17Dezember 1999 / Januar 2000

Von Johannes Bohmann und Peter Neumann

Johannes Bohmann, Jahrgang 1958, ist Reisejournalist in Hamburg. In mare No. 16 besprach er Christian Jungbluts Reportagensammlung Hinterm Horizont.

Der Engländer Peter Neumann, Jahrgang 1949, spürt seit vier Jahren Fotos und Bauplänen der Yacht nach. Für sein Buch Sea Cloud traf sich der Fotograf mit Merriweather-Tochter Dina, mit Schiffsbauern, Offizieren und Matrosen der Viermastbark

Die „Sea Cloud“ gehört heute dem Hamburger Kaufmann Hermann Ebel und segelt unter der Flagge von Hapag-Lloyd (Telefon 040/30 0146 29) – sommers im Mittelmeer und winters in der Karibik. Die „Sea Cloud II“ geht im Mai 2000 auf ihre Jungfernreise: von Hamburg über Oslo in die Ostsee

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Vita Johannes Bohmann, Jahrgang 1958, ist Reisejournalist in Hamburg. In mare No. 16 besprach er Christian Jungbluts Reportagensammlung Hinterm Horizont.

Der Engländer Peter Neumann, Jahrgang 1949, spürt seit vier Jahren Fotos und Bauplänen der Yacht nach. Für sein Buch Sea Cloud traf sich der Fotograf mit Merriweather-Tochter Dina, mit Schiffsbauern, Offizieren und Matrosen der Viermastbark

Die „Sea Cloud“ gehört heute dem Hamburger Kaufmann Hermann Ebel und segelt unter der Flagge von Hapag-Lloyd (Telefon 040/30 0146 29) – sommers im Mittelmeer und winters in der Karibik. Die „Sea Cloud II“ geht im Mai 2000 auf ihre Jungfernreise: von Hamburg über Oslo in die Ostsee
Person Von Johannes Bohmann und Peter Neumann
Vita Johannes Bohmann, Jahrgang 1958, ist Reisejournalist in Hamburg. In mare No. 16 besprach er Christian Jungbluts Reportagensammlung Hinterm Horizont.

Der Engländer Peter Neumann, Jahrgang 1949, spürt seit vier Jahren Fotos und Bauplänen der Yacht nach. Für sein Buch Sea Cloud traf sich der Fotograf mit Merriweather-Tochter Dina, mit Schiffsbauern, Offizieren und Matrosen der Viermastbark

Die „Sea Cloud“ gehört heute dem Hamburger Kaufmann Hermann Ebel und segelt unter der Flagge von Hapag-Lloyd (Telefon 040/30 0146 29) – sommers im Mittelmeer und winters in der Karibik. Die „Sea Cloud II“ geht im Mai 2000 auf ihre Jungfernreise: von Hamburg über Oslo in die Ostsee
Person Von Johannes Bohmann und Peter Neumann