Was fährt denn da?

1894 baut der britische Erfinder Magnus Volk im englischen Seebad Brighton eine Tram, die durchs Meer fährt. Es ist die größte Sensation seiner Zeit an Englands Küsten

Magnus Volk ist einer jener Erfinder, die typisch für das 19. und frühe 20. Jahrhundert sind. Ein Pionier des noch jungen technischen Zeitalters, in dem nichts mehr unmöglich zu sein scheint. Wäre Volk eine fiktive Figur, hätte er mühelos einer der Helden von H. G. Wells oder Jules Verne sein können, etwa der Tüftler Mr. Cavor in „Die ersten Menschen auf dem Mond“ oder der Erfinder Thomas Roch in „Die Erfindung des Verderbens“.

Volk wird am 19. Oktober 1851 im englischen Seebad Brighton als Sohn eines deutschen Uhrmachers geboren, der sich im Ausland bessere Chancen erhofft. Der Vater hat mäßigen Erfolg und stirbt 1869. Magnus tritt in dessen Fußstapfen und kümmert sich einige Zeit um den Uhrturm, eines der Wahrzeichen der Stadt, und installiert auf dem Dach eine neuartige Stundenglocke. 1879 wird ein entscheidendes Jahr, denn er heiratet Anna Banfield, die ihm sieben Kinder schenkt. Es ist zugleich das Jahr, in dem er die Elektrizität als Energie der Zukunft für sich entdeckt und faktisch für jede seiner Erfindungen nutzt.

Kaum sind die Hochzeitsfeierlichkeiten überstanden, spannt er Drähte zum Haus seines Freundes William Jago und führt wenig später das erste Telefongespräch in der Geschichte Brightons. Sein Haus erhält 1880 als erstes der Stadt elektrisches Licht, versorgt vom hauseigenen Generator.

Seine Erfindungen machen Volk bekannt und steigern die Nachfrage, sodass er 1881 eine neue und deutlich größere Werkstatt eröffnen kann. Von dort aus elektrifiziert er ein öffentliches Gebäude nach dem anderen, Bücherei und Kunstmuseum inklusive. Zur kleinen Sensation wird sein neuartiges elektrisches Feuermeldesystem, das er im selben Jahr präsentiert. Es folgen Elektrobarkassen, die auf der Themse fahren, und dreirädrige Elektroautos. Eines davon erwirbt 1888 der türkische Sultan Abdul Hamid.

Zum ökonomischen Fundament der Unternehmungen des umtriebigen Erfinders wird jedoch die 1883 von ihm gebaute elektrische Straßenbahn, deren erste Strecke gerade einmal 402 Meter lang ist. Als Vorbild dient die 1879 von Werner Siemens für die Berliner Gewerbeausstellung gebaute erste elektrische Eisenbahn der Welt. Volks Straßenbahn, Volk’s Electric Railway, kann dafür in Anspruch nehmen, die älteste in Betrieb befindliche elektrische Eisenbahn der Welt zu sein. Die Strecke wurde mehrfach verlängert und die Spur verbreitert. Nach dem Tod von Magnus Volk am 20. Mai 1937 ging das kleine Unternehmen in den Besitz der Stadt über; die Straßenbahn gilt heute als Touristenattraktion.

Brighton ist Ende des 19. Jahrhunderts eines der beliebtesten Urlaubsziele und in den Sommermonaten komplett ausgebucht. Mehr und mehr suchen die Gäste in den umliegenden Ortschaften nach Alternativen. Dabei gerät besonders das fünf Kilometer entfernte Dorf Rottingdean ins Visier der Touristen. Der Weg ist jedoch beschwerlich und führt auch noch über einen Hügel. Nach dem Erfolg seiner Straßenbahn denkt Volk an eine zweite Strecke, die Brighton mit Rottingdean verbinden könnte. Das Interesse ist groß und die Strecke auch technisch  zu bewältigen – wäre da nicht besagter Hügel­. Die Steigung macht deutlich stärkere Motoren erforderlich, die Volks Kalkulationen sprengen würden. Ein Tunnel oder ein Viadukt, das den Hügel umgeht, wäre noch kostenintensiver.

Aber der Erfinder gibt sich nicht geschlagen und findet schließlich eine Lösung, wenn auch eine verwegene. Bei einem Spaziergang am Strand kommt ihm die Idee, die Schienen einfach im Wasser in Ufernähe zu verlegen. Denn dort gibt  es keine Höhenunterschiede. Der Uferbereich zwischen Brighton und Rottingdean ist flach und gewinnt erst langsam an Tiefe. Volk kalkuliert das kuriose Projekt und kommt zu einem erstaunlichen Ergebnis. Die Wasserbahn ist zwar teurer als eine gewöhnliche Straßenbahn, jedoch güns­tiger als die Landvariante.

Zunächst erntet der Erfinder Kopfschütteln und Spott für sein Vorhaben, kann dann aber doch lokale Investoren gewinnen, etwa den Unternehmer Edward Bleackley, der auch gleich den Vorsitz der eigens gegründeten Offshore-Company übernimmt. Da die Bahn durchs Wasser fährt, sieht sich Volk neben bislang unbekannten technischen Herausforderungen auch mit den Bedingungen des Seerechts konfrontiert. Zur Unterstützung engagiert Volk den namhaften Ingenieur Richard St. George Moore, der auch die 1899 eröffnete Seebrücke Brighton Ma­rine Palace and Pier konzipierte. Während Moore sich auf die Wasserbauten konzentriert, kümmert sich Volk um die Elektrik.


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mare No. 115

No. 115April / Mai 2016

Von Bernd Flessner

Bernd Flessner, Jahrgang 1957, Autor in Uehlfeld bei Erlangen, stieß bei seiner Recherche zu dem „Was ist was“-Buch Die Eisenbahn auf „Daddy Longlegs“.

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Vita Bernd Flessner, Jahrgang 1957, Autor in Uehlfeld bei Erlangen, stieß bei seiner Recherche zu dem „Was ist was“-Buch Die Eisenbahn auf „Daddy Longlegs“.
Person Von Bernd Flessner
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